Beim Gipfel einigen sich die 27 Staats- und Regierungschefs, jetzt erst einmal eine Phase der Reflexion einzulegen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Jetzt ist Nachdenken angesagt. Eine Generalreform der EU findet nach dem Ausstiegsbeschluss der Briten so schnell nicht statt. Stattdessen wollen die Staats- und Regierungschefs sich voll darauf konzentrieren, eine gute Arbeit für Europa abzuliefern. Im September treffen sie sich zu einem Sondergipfel in Bratislava. In der Slowakei, das Land übernimmt in wenigen Tagen die Ratspräsidentschaft in der EU, soll dann die Reformdiskussion weitergehen. Darauf einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrer ersten Gesprächsrunde im neuen Format.

 

Unter dem Strich kann man festhalten, dass sich damit Kanzlerin Angela Merkel beim Gipfel in Brüssel durchgesetzt hat. Von Anfang an hatte sie in der Brexit-Krise für ein bedachtsames Vorgehen geworben. „Es gab niemanden in der Runde, der einen Verfassungskonvent gefordert hätte“, berichtete Merkel nach Abschluss der Gespräche. Eine „Vertragsänderung“, so die Kanzlerin weiter, „ist jetzt nicht das Gebot der Stunde“. Die Runde erkennt aber ausdrücklich an, dass es um die Akzeptanz der EU nicht gut bestellt ist und gehandelt werden muss. Im Abschlussdokument heißt es: „Die Europäer erwarten von uns besseres Handeln, um Sicherheit, Wohlstand und Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben. Wir müssen diese Erwartung erfüllen, auf eine Weise, die uns eint – nicht zuletzt im Interesse der Jugend.“

Merkel machte deutlich, was die Schwerpunkte der Debatte hinter verschlossener Tür waren. Es gehe nicht um die Frage, ob „mehr Europa“ oder „weniger Europa“ angestrebt werde. Damit ordnet sich die Debattenlage: In den ersten Tagen nach dem Referendum hatten Mitgliedsländer und SPD-Politiker weitere Schritte zur Vertiefung der Zusammenarbeit angemahnt. Davon ist nun nicht mehr die Rede. In der Runde der Regierungschefs sei man sich einig gewesen, dass die Grundlinien in der EU-Politik stimmten. Nun müsse es darum gehen, gute Arbeit abzuliefern. Dafür biete die strategische Agenda, auf die sich Kommission, Rat und Parlament vor zwei Jahren geeinigt haben, eine gute Grundlage. Als wichtigste Ziele wurden dabei definiert: das Schaffen neuer Arbeitsplätzen, bessere Rahmenbedingungen für Wachstum und Wettbewerb im Binnenmarkt.

Die Bürger durch gute handwerkliche Arbeit überzeugen

Die Kommission unter Führung von Jean-Claude Juncker habe bereits einen Stilwechsel eingeleitet, hob die Kanzlerin hervor. Sie versuche, die Bürger mit handwerklich guter Arbeit zu überzeugen. Merkel machte an einem Beispiel deutlich, wie die EU besser bei den Bürgern punkten kann: „Wenn wir etwa bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit über Ländergrenzen enger zusammenarbeiten, dann ist es ,mehr Europa‘ und überaus sinnvoll.“

Auf der anderen Seite solle die Kommission nur dann Gesetzesvorhaben anstrengen, wenn es dringend nötig sei. „Im Zweifel kann man auch auf eine Richtlinie aus Brüssel verzichten. Das ist dann ,weniger Europa‘ und auch sinnvoll.“

Auf längere Sicht dämpft die Kanzlerin die Aussicht auf eine grundlegende Reform. „Der Lissabonner Vertrag bietet eine sehr gute Grundlage für unsere Arbeit.“ Man könne nicht „alle zwei, drei Jahre die Dinge neu machen“.

Abwarten, bis die Briten für Klarheit sorgen

Das zweite große Thema des Tages war der Scheidungsprozess der EU mit Großbritannien. So vorsichtig, wie Merkel bei der Reformdiskussion auftritt, so energisch ist sie bei der Frage, wie jetzt mit London umzugehen ist. Deutlich plädiert sie dafür, die „Schrittfolge“ einzuhalten.

„Ich werde nicht verhandeln, solange ich kein Austrittsgesuch der Briten auf dem Tisch habe.“ Man warte hier auf die britische Seite. Klarheit darüber, wie die Verhandlungen strukturiert werden und wer die Verhandlungen auf EU-Seite führt, auch das gibt es noch nicht. Merkel zitierte den Vertragstext, wonach „die EU“ die Gespräche führe. Sie werbe dafür, dass alle Institutionen eingebunden werden, also der Rat, das Parlament und die Kommission. Zu einem Kompetenzgerangel zwischen dem Rat und der Kommission soll es aber nicht kommen. Wegen des großen Sachverstandes sei klar, so die Kanzlerin, „dass die Kommission bei den Verhandlungen eine herausgehobene Rolle hat“. Da das  Ausstiegsdokument auch vom Europaparlament beschlossen werden muss, müssten wiederum die Abgeordneten die Verhandlungen eng begleiten.