Region: Verena Mayer (ena)

Sarah Alber macht sich Sorgen. Die 22-Jährige gehört zu den Erstsemestern von Professor Kies. Sie hat Politik- und Verwaltungswissenschaften studiert und hofft auf eine Stelle in der Europaabteilung einer Stadt oder eines Ministeriums. Am besten an Europa findet sie, dass die Menschen hier seit fast 70 Jahren in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben. Darüber macht sie sich Sorgen. Was ist das für ein Europa, in dem wütende Griechen Kaffee auf den deutschen Generalkonsul schütten oder die deutsche Flagge verbrennen und in dem Portugiesen Angela Merkel mit Hitler vergleichen? Keins, das Sarah Alber gefällt.

 

Klar, sagt die Studentin, die Lage in Griechenland ist schwierig, ein Ende nicht in Sicht. Keiner wisse, ob die vielen Rettungsmilliarden wirklich ausreichten. Aber jemanden hängenzulassen oder gar aus Europa rauszuwerfen, weil er viel schwächer ist als die anderen Mitglieder, irgendwie gehe das auch nicht. „Wir wollen doch eine Gemeinschaft sein.“ So klingen Eurofighter aus Ludwigsburg.

Ohne Feuer geht nichts

Wenn Dieter Kies solche Sätze hört, hebt sich sein Schnäuzer, und seine Augen blitzen. Der 55-Jährige ist begeistert von seinen Erstsemestern. Kies hat sie mit ausgewählt. Er sitzt in der Kommission, die die Bewerbungsgespräche mit den jungen Frauen und Männern führt und deren Essays liest. Dieses Jahr mussten sie zum Beispiel aufschreiben, wo Europa enden soll und was von den Stabilisierungsmaßnahmen für den Euro zu halten ist.

Die Grundvoraussetzung für die Aufnahme in den Masterstudiengang ist ein Abschluss in Verwaltungs- oder Sozialwissenschaften, Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften. Doch noch wichtiger ist das, was Dieter Kies das Feuer nennt. Wenn er und seine Kommissionskollegen eine lodernde Begeisterung spüren, kann es sein, dass auch ein Bibliothekar in Ludwigsburg Europa studieren darf. Oder ein Ungar, dessen Englisch alles andere als fließend ist. Oder eine Russin, deren erster Studienabschluss nicht überdurchschnittlich ist. Die Studenten unterstützten sich gegenseitig, sie seien unglaublich teamfähig, schwärmt der Studiendekan, den nur eine Generation von jenen Männern trennt, die mit der Parole groß wurden: Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos. „Heute lernen wir gemeinsam. Das ist doch toll“, sagt Dieter Kies.

Ines Steinhauser könnte einen ruhigeren Feierabend haben. Hätte sie die Stelle im Landratsamt angenommen. Doch dann kam die Zusage für den Masterstudiengang, und Ines Steinhauser entschied sich gegen ruhigere Feierabende, gegen Feierabende überhaupt könnte man meinen. An manchen Tagen dauern die Vorlesungen bis acht Uhr abends und halbe Samstage. Europäische Gesetzgebungsverfahren, die Geschichte der Integration, interkulturelle Kommunikation, die Feinheiten des Haushaltsverfassungsrechts sind harte Arbeit. Wenn Ines Steinhauser ihren Master hat, möchte sie in Brüssel arbeiten, in einem Abgeordnetenbüro oder einer Landesvertretung.

Die 23-Jährige weiß nicht, wie es war, vor dem Urlaub in Frankreich Geld umzutauschen. Und an Kontrollen vor der Grenze erinnert sie sich vage. Nur daran, dass der Vater plötzlich ganz langsam fuhr und fremde Gesichter ins Auto stierten. Im Frühjahr hat Ines Steinhauser ein Praktikum in Brüssel gemacht, danach einen Englischkurs in Südengland belegt und im Sommer in Frankreich gejobbt. Vor ein paar Wochen war sie mit ihren Kommilitonen in Luxemburg, nächstes Jahr reisen die Erstsemester gemeinsam nach Ungarn. „Das Denken in Nationalstaaten muss aufhören“, sagt Ines Steinhauser. Dann geht der Unterricht weiter. Irgendwann in der Nacht wird sie noch ihr Referat für Europarecht vorbereiten. Thema: der rechtswissenschaftliche Subventionsbegriff.

Mit Schaschlik durch den Steuerdschungel

Die Luft war schon besser in Raum 6.109. Rotbackig lauschen die Studenten Professor Kies. Er spricht von ruhenden Lieferungen, bewegten Lieferungen, Ursprungsländern, Bestimmungsländern, Drittländern. Er spricht von Reihengeschäften im Sinne von Paragraf drei Absatz sechs Nummer fünf Umsatzsteuergesetz und malt Pfeile und Kreise auf die Folie des Tageslichtprojektors. Die Studenten wälzen ihren Steuerschmöker, unterstreichen Passagen mit Leuchtstiften, stöhnen ein bisschen. „Kompliziert?“, fragt Kies. Ja. „Brauchen Sie eine Pause?“ Ja! Vor dem Fenster hängt Nebel, ein paar letzte blasse Blätter klammern sich an die Äste dürrer Bäume. Die Nachrichten in diesen Tagen handeln von neuen Hilfen für Griechenland. Von strengeren Regeln für Ratingagenturen. Von verunsicherten Märkten. Von debattierenden Abgeordneten. Von Problemen und Protesten. Das Übliche.

Sorgen um die Einheit

Sarah Alber macht sich Sorgen. Die 22-Jährige gehört zu den Erstsemestern von Professor Kies. Sie hat Politik- und Verwaltungswissenschaften studiert und hofft auf eine Stelle in der Europaabteilung einer Stadt oder eines Ministeriums. Am besten an Europa findet sie, dass die Menschen hier seit fast 70 Jahren in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben. Darüber macht sie sich Sorgen. Was ist das für ein Europa, in dem wütende Griechen Kaffee auf den deutschen Generalkonsul schütten oder die deutsche Flagge verbrennen und in dem Portugiesen Angela Merkel mit Hitler vergleichen? Keins, das Sarah Alber gefällt.

Klar, sagt die Studentin, die Lage in Griechenland ist schwierig, ein Ende nicht in Sicht. Keiner wisse, ob die vielen Rettungsmilliarden wirklich ausreichten. Aber jemanden hängenzulassen oder gar aus Europa rauszuwerfen, weil er viel schwächer ist als die anderen Mitglieder, irgendwie gehe das auch nicht. „Wir wollen doch eine Gemeinschaft sein.“ So klingen Eurofighter aus Ludwigsburg.

Ohne Feuer geht nichts

Wenn Dieter Kies solche Sätze hört, hebt sich sein Schnäuzer, und seine Augen blitzen. Der 55-Jährige ist begeistert von seinen Erstsemestern. Kies hat sie mit ausgewählt. Er sitzt in der Kommission, die die Bewerbungsgespräche mit den jungen Frauen und Männern führt und deren Essays liest. Dieses Jahr mussten sie zum Beispiel aufschreiben, wo Europa enden soll und was von den Stabilisierungsmaßnahmen für den Euro zu halten ist.

Die Grundvoraussetzung für die Aufnahme in den Masterstudiengang ist ein Abschluss in Verwaltungs- oder Sozialwissenschaften, Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften. Doch noch wichtiger ist das, was Dieter Kies das Feuer nennt. Wenn er und seine Kommissionskollegen eine lodernde Begeisterung spüren, kann es sein, dass auch ein Bibliothekar in Ludwigsburg Europa studieren darf. Oder ein Ungar, dessen Englisch alles andere als fließend ist. Oder eine Russin, deren erster Studienabschluss nicht überdurchschnittlich ist. Die Studenten unterstützten sich gegenseitig, sie seien unglaublich teamfähig, schwärmt der Studiendekan, den nur eine Generation von jenen Männern trennt, die mit der Parole groß wurden: Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos. „Heute lernen wir gemeinsam. Das ist doch toll“, sagt Dieter Kies.

Angela Merkel ist irgendwie auch dabei

Das Poster, das an der Wand in Raum 6.109 hängt, ist ein Blickfang. Auf strahlend blauem Grund leuchten gelbe, orangefarbene und blaue Jahreszahlen. Sie erzählen die Geschichte vom Europa mit dem Euro. Die visuelle Studienreise beginnt in Rom, wo 1957 die Gründungsdokumente der heutigen EU unterzeichnet wurden. Sie stoppt unter anderem in Schengen (1985), Maastricht (1991), Lissabon (2009) und den 27 Mitgliedstaaten. Sie passiert die Öl- (1973) und die Finanzkrise (2008), verweilt bei der Zollunion (1968) und dem gefallenen Eisernen Vorhang (1989), sie rastet bei den neuen Scheinen und Münzen (2002) samt ihren rettenden Schirmen (2010). Doch das Poster lässt nichts Gutes ahnen. Die Reise endet im Jahr 2011, als Estland den Euro einführt. Platz gibt es auf der Route keinen mehr, dabei strengen sich die Reiseveranstalter in Brüssel mächtig an, damit Europa und sein Geld nicht am Ende sind.

In zwei Jahren machen Sarah Alber und Ines Steinhauser ihren Master. Dass die Krise dann Geschichte ist, glauben sie nicht. Dass Europa Geschichte ist, glauben sie allerdings auch nicht. Sie glauben an ein stärkeres Europa. An eine Gemeinschaft, die den Titel Vereinigte Staaten von Europa tragen könnte.

Das könnte Angela Merkel auch gefallen. Doch die Bundeskanzlerin war noch nie bei den Ludwigsburger Studenten. An der Wand neben dem blauen Poster hängt trotzdem ein Foto von ihr. Dieter Kies ist auch darauf, er hält ein Weinglas in der Hand und lacht, im Hintergrund steht ein Werbebanner der Hochschule. Das Foto ist eine Montage.