Das Brexit-Dilemma taucht als Thema auch in Neuerscheinungen für junge Leser auf. Wir stellen zwei Bücher vor, die Lust auf Europa machen.

Stuttgart - Es war diesseits wie jenseits des Ärmelkanals ein Schock, als sich die Briten im Juni 2016 in knapper Mehrheit für einen Ausstieg aus der Europäischen Union entschieden. In England zogen sofort junge Menschen auf die Straßen, um dagegen zu protestieren. Viele von ihnen hatten beim Referendum gar nicht mit abgestimmt; die Freizügigkeit der Gemeinschaft fühlte sich für sie viel zu selbstverständlich an, um in Gefahr zu sein.

 

Erkämpft, gewachsen und nicht einfach da: dass die Staatengemeinschaft nicht nur ein Wirtschafts- sondern vor allem ein Friedensprojekt mit Werten ist, wird allen angesichts der anstehenden Europawahlen bewusst, auch weil in vielen Ländern Kandidaten antreten, die mit nationalistischem Gedankengut die europäische Idee zerstören wollen. Kindern und Jugendlichen vor diesem Hintergrund europäische Errungenschaften nahezubringen, hat sich der Verlag Belz & Gelberg mit zwei Neuerscheinungen auf die Fahnen geschrieben.

Fragen an Europa, Antworten per Grafiken

Das Sachbuch „Fragen an Europa. Was lieben wir? Was fürchten wir?“ will, wie der Titel andeutet, nicht belehren. Es stimmt vielmehr neugierig auf diesen Erdteil, der geografisch kein solcher ist und weit über die EU hinausreicht. So war der Übergang zu Asien lange Zeit Verhandlungsmasse. Die uns heute vertraute Grenzlinie am Ural wünschte 1730 ein Zar, um Russland enger an Europa zu binden. Wie bei diesem Beispiel mischen die beiden Autorinnen gekonnt Politik, Kultur, Alltag und Kuriositäten. Auf sechzig kommentierten, grafisch gestalteten Doppelseiten entfaltet sich über Piktogramme, Karten, Zeichnungen und Comics ein spannendes Panorama aus Informationen und Denkanstößen.

Eine Abbildung zeigt, wie im Lauf der Geschichte weltweit nur die Antarktis dem europäischem Kolonialstreben entronnen ist. Dazu passt die Grafik aus Hightech-Gerätschaften, mit denen europäische Länder heute ihre Grenzen schützen samt der wie hingekritzelt wirkenden Notiz, die festhält, wie viele Menschen in den letzten Jahren auf der Flucht im Mittelmeer ertranken.

Die als Fragen formulierten Überschriften geben Spielraum für eigene Überlegungen: „Wie kann Familie aussehen?“ ist das Thema Vielfalt überschrieben. Unter „Was glaubst denn Du?“ finden sich Blitzlichter auf die Religion. Man spürt, dass ein Jugendbeirat das Buchprojekt begleitet hat, denn da stehen neben witzigen Schokofiguren („Wer isst am meisten Schokolade?“) Zahlen zur Tierhaltung: Dass vierbeinige Freunde und Nutztiere auftreten, bringt nicht nur junge, vegan lebende Menschen ins Grübeln.

Die Entwicklung der EU und ihre Institutionen kommen genauso zur Sprache wie mögliche langwierige Bei- und Austritte. Alles ist von den Autorinnen Gesine Grotrian und Susan Schädlich gleichermaßen sachlich wie pointiert gehalten. Das trifft ebenso auf die knappen Zusatzartikel im Anhang zu, von Jugendarbeitslosigkeit in Europa bis hin zum Erasmus-Programm für Studien in einem anderen EU-Land. Kurz: Die vielseitigen Aspekte dieses Bands ermöglichen einen frischen Blick auf Europa.

Zeichnen für ein geeintes Europa

Den werfen auch die 45 Künstler, die auf Einladung des Kinderbuchillustrators Axel Scheffler, ja, der mit dem Grüffelo, für ein geeintes Europa zeichnen. Weil eine bereits auf dem Kontinent gezeigte Ausstellung für eine Station in Großbritannien erweitert wurde, mischt sich in ihre Werke, die nun in Buchform vorliegen, aber auch Brexit-Trauer und die Sorge um die Zukunft einer besonderen Gemeinschaft.

„Kinderbücher zu machen erfordert Offenherzigkeit und Aufgeschlossenheit“, schreibt der in London lebende Scheffler im Vorwort. Und so nehmen viele Künstler, in deren Vita ein Leben ohne Grenzen vieles ermöglicht hat, den drohenden Brexit zum Anlass, um eine Hommage ans Zusammenhalten zu zeichnen: Was wäre, wenn flügge werdende Vögel das Familiennest aus der Balance bringen? Wenn ein Musiker das Orchester verlassen würde? Die Konsequenzen sind auch für Kinder leicht ersichtlich und erlauben eine Annäherung an komplexere Zeichnungen: an die von Jutta Bauer, auf der Europa sich für den Ritt in die Zukunft eine Kuh statt des heißblütigen Stiers herbeisehnt. Oder an die von Martin Brown, die in gute und schlechte Zuwanderer einteilt. Oder an die von Emily Gravett, die eine arme britische Maus mit einem Stück Cheddar unter einer Käseglocke zeigt, während die nebenan aufgetürmte Vielfalt an europäischen Produkten für sie unerreichbar bleibt.

Appetit auf Europa? Das machen diese Bücher auf jeden Fall und helfen, bewusster zu handeln und die europäische Idee besser zu verstehen.