Eiszeit-Europäer mussten tiefgreifende Konsequenzen aus dem damaligen Klimawandel ertragen. Erst waren sie gut vernetzt, dann getrennt. Infolge der klimatischen Veränderungen ließen viele ihr Leben.
Anhand menschlicher Zähne aus dem eiszeitlichen Europa hat ein internationales Wissenschaftlerteam herausgefunden, wie prähistorische Jäger und Sammler mit Klimaveränderungen umgingen. Die Zahl der Menschen habe während der kältesten Periode stark abgenommen. Im Westen des Kontinents standen die Eiszeit-Europäer sogar vor dem Aussterben, heißt es in einer jetzt im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlichten Studie.
Wanderungsbewegungen im Jungpaläolithikum
Der Forscher vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen entwickelte für die Analyse der Fossilien in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universitäten Tübingen und Ferrara in Italien sowie der New York University in den USA eine neue Methode. Diese basiert auf einem sogenannten maschinellen Lernalgorithmus. Das neue analytische Verfahren ermöglicht es demnach, das wahrscheinlichste demografische Szenario unter vielen getesteten zu identifizieren.
Vor etwa 45.000 Jahren wanderten die ersten modernen Menschen während der letzten Eiszeit nach Europa ein und markierten damit den Beginn des sogenannten Jungpaläolithikums. Diese frühen Gruppen besiedelten den europäischen Kontinent durchgehend – selbst während des sogenannten Letzten Glazialen Maximums vor etwa 25.000 Jahren, als Gletscher einen Großteil Nord- und Mitteleuropas bedeckten.
Zähne als Beweis
„Zähne sind das härteste Gewebe im menschlichen Körper und daher die am häufigsten von Archäologen gefundenen fossilen Skelettelemente. Auf diese Weise konnten wir einen beispiellosen Datensatz sammeln, der bisherige in seiner Größe deutlich übertrifft“, erläutert Rathmann. Die neue Sammlung umfasse Zahn-Daten von 450 prähistorischen Menschen aus ganz Europa, die den Zeitraum zwischen 47 000 und 7000 Jahren vor heute abdeckten.
Die Forscher suchten kleine Varianten innerhalb des Gebisses, wie die Anzahl und Form der Kronenhöcker, Kamm- und Rillenmuster auf der Kaufläche oder das Vorhandensein oder Fehlen von Weisheitszähnen. „Diese Merkmale sind vererbbar, was bedeutet, dass wir sie nutzen können, um genetische Beziehungen unter den Eiszeit-Menschen zu verfolgen, ohne gut erhaltene alte DNA zu benötigen“, so Rathmann.
Demografischer Wandel durch massive Klimaveränderungen
Die Studie zeigt, dass die Gemeinschaften in West- und Osteuropa vor etwa 47 000 bis 28 000 Jahren genetisch gut vernetzt waren. In Europa gab es in jener Zeit größtenteils offene Steppenlandschaften. Auf ihnen lebten große Herden von Säugetieren, einer wichtigen Nahrungsquelle der Jäger und Sammler. Diese Bedingungen begünstigten wahrscheinlich eine Vernetzung der Gruppen.
In der nachfolgenden Periode vor 28 000 bis 14 700 Jahren, der kältesten Periode, fanden die Forscher dagegen keine genetischen Verbindungen zwischen West- und Osteuropa. Zudem zeigen die Analysen, dass sich die Populationsgröße in beiden Regionen erheblich verringerte. Dies führte zu einem Verlust der genetischen Vielfalt und schwindender Population.
Rückzug in klimatisch günstigere Refugien
Das sich verschlechternde Klima habe eine Verschiebung der Vegetation von einer Steppen- zu einer überwiegend Tundrenlandschaft verursacht, was die Lebensräume der Beutetiere und folglich der von ihnen abhängigen Jäger und Sammler beeinflusst, wie Rathmann erklärt.
„Unsere Ergebnisse unterstützen die lang gehegte Theorie, dass Populationen nicht nur durch vorrückende Eisschilde nach Süden getrieben wurden, sondern auch in weitgehend isolierte Refugien mit günstigeren Umweltbedingungen aufgeteilt wurden“, fügt Ko-Autorin Judith Beier vom DFG Center for Advanced Studies “Words, Bones, Genes, Tools” an der Universität Tübingen hinzu.
Neue Migrationsbewegungen
Eine weitere bemerkenswerte Entdeckung der Studie sei die Erkenntnis, dass Populationen in Westeuropa am Übergang vom Mittleren zum Späten Pleniglazial ausstarben und durch eine neue Bevölkerung ersetzt wurden, die aus Osteuropa migrierte.
Nach dem Späten Pleniglazial stiegen die Temperaturen wieder stetig an, Gletscher zogen sich zurück, und Steppen- sowie Waldvegetation kehrten zurück, was eine erste Wiederbesiedlung zuvor verlassener Gebiete ermöglichte. Während dieser Periode beobachtete das Forschungsteam, dass die zuvor isolierten und stark reduzierten Populationen in West- und Osteuropa wieder an Zahl zunahmen und die Migration zwischen den Regionen wieder aufgenommen wurde.
Folgen der klimatischen Veränderungen
Auch damals gab es, wie heute, große klimatische Veränderungen. „Unsere Studie lieferte wichtige Einblicke in die demografische Geschichte der Eiszeit-Europäer und hebt die tiefgreifenden Auswirkungen von Klima- und Umweltveränderungen auf das Leben prähistorischer Menschen hervor. Wir sollten dringend aus unserer Vergangenheit lernen, wenn wir den komplexen Umweltproblemen der Zukunft begegnen möchten“, resümiert der Tübinger Forscher.
Info: Wann der moderne Mensch nach Mitteleuropa kam
Neandertaler
Bis vor rund 45 000 gehörte Europa dem Neandertaler, der zwischen 450 000 und 40 000 die Steppen und Höhlen Süd-, Mittel- und Osteuropas bevölkerte. Der ausgestorbene Verwandte des heutigen Menschen entwickelte sich in Europa – parallel zum modernen Menschen in Afrika – aus gemeinsamen afrikanischen Vorfahren der Gattung „Homo“.
Homo sapiens
Einige Tausend Jahre lebten beide Menschentypen in den gleichen Gegenden. Vermutlich begegneten sie sich. Aber was passierte dann? Haben sie miteinander gesprochen, einander bekämpft oder sich vielleicht sogar gepaart? Heute glauben Forscher: Es gab damals tatsächlich gemeinsame Kinder von Neandertalern und modernen Menschen. Sie vermuten sogar, dass die allermeisten Menschen Erbgut von Neandertalern in sich tragen. Die Neandertaler starben vor etwa 30 000 Jahren aus.
Frühe Migration
Ab rund 45 000 gab es mehrere große Einwanderungswellen gegeben, die sehr unterschiedliche Spuren im Erbgut des heutigen Europäers hinterlassen haben:
Aurignacien-Kultur
Die Menschen in der darauffolgenden Aurignacien-Kultur (40.000 bis 31.000) fertigten die ersten Musikinstrumente und Kunstwerke wie die berühmte Venus aus dem Hohle Fels. Sie wanderten wahrscheinlich aus dem Nahen Osten entlang der Donau nach Zentraleuropa ein.
Übergang
Die nächste große Wanderungsbewegung erfolgte vor 14.000 Jahren aus dem Nahen Osten. Es ist nicht genau bekannt, welcher Kultur diese Menschen zugeordnet werden müssen.
Neolithische Revolution
Um 7000 kamen Menschen aus dem Nahen Osten, die bereits Ackerkultur betrieben. Aus Jäger und Sammlern werden Bauern und Viehzüchter – sogenannte Neolithische Revolution.
Osteuropa
Vor etwa 5000 Jahren kam es zu einer massiven Einwanderung aus den zentralasiatischen Steppen. Die lokale Bevölkerung Mitteleuropas wurde kurzfristig fast komplett verdrängt (mit dpa-Agenturmaterial).