Erstmals kommen die 27 EU-Staaten und andere europäische Länder zusammen. Das Format sei keine Alternative zu einer EU-Erweiterung, sagt Initiator Macron. Der Überraschungsgast sitzt am Katzentisch.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Der Gründungsgipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft startet mit einer mittleren Überraschung. In letzter Minute hat die neue britische Regierungschefin Liz Truss ihren Besuch an diesem Donnerstag in Prag angekündigt. Seit dem Brexit-Referendum vor sechs Jahren haben die Regierungsmitglieder aus London einen großen Bogen um alle EU-Veranstaltungen gemacht. Doch die Zeiten haben sich dramatisch geändert.

 

Nach dem britischen Austritt aus der Union gleichen die von den Brexit-Befürwortern marktschreierisch versprochenen blühenden Landschaften eher einer wirtschaftlichen Brache, zudem verlangt der Überfall Russlands auf die Ukraine nach einem Zusammenrücken Europas. Also nimmt London in Prag zähneknirschend am Katzentisch Platz – mit der Ansage, eine Führungsrolle übernehmen und auch das nächste Treffen ausrichten zu wollen.

Macron weist Vorwurf zurück

Insgesamt 44 Staats- und Regierungschefs sind zu dem Treffen in die tschechische Hauptstadt eingeladen. Neben den 27 EU-Ländern sind die Ukraine, die Türkei, Großbritannien und die Schweiz mit dabei. Zudem werden Norwegen, Island, Liechtenstein, Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan sowie die sechs Westbalkanstaaten Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und das Kosovo erwartet.

Die Idee für die neue politische Gemeinschaft hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 9. Mai bei einer Rede im Europaparlament lanciert und damit einige Aufregung entfacht. Der Grund: Paris steht dem EU-Erweiterungsprozess vor allem auf dem Westbalkan sehr skeptisch gegenüber. Sofort wurde deshalb der Vorwurf laut, Macron wolle mit dem neuen Format den Erweiterungsprozess ersetzen, was dieser allerdings weit von sich weist.

Bei dem Treffen geht es unter anderem um Sicherheit und Verteidigung

Nach seinen Worten geht es ihm darum, die strategische Zusammenarbeit mit Partnern zu verbessern, die in absehbarer Zeit nicht in die EU aufgenommen werden oder dies gar nicht wollen. Konkret nannte er immer wieder auch die Ukraine, die jüngst offiziell EU-Beitrittskandidat wurde, nach derzeitigen EU-Regeln aber wohl frühestens im nächsten Jahrzehnt Mitglied werden kann.

Angesichts der Bedrohungen durch Russland und der Coronapandemie umriss Emmanuel Macron als konkrete Themenbereiche für die zukünftige Zusammenarbeit die Bereiche Sicherheit und Verteidigung, Energie, Gesundheit und Wirtschaft.

Kiew drängt in Richtung Europa

Bereits der Name der Europäischen Politischen Gemeinschaft macht deutlich, dass es sich nicht nur um den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Staaten handeln soll. Diese Idee ist allerdings nicht neu. Schon im Lissabonner Vertrag von 2009 wird in Artikel 8 festgehalten, dass die Europäische Union „besondere Beziehungen zu den Ländern in ihrer Nachbarschaft“ aufbauen und auch „spezielle Übereinkünfte“ abschließen kann, um die Bindung an die Gemeinschaft und deren Werte auszubauen. Dieser Vorsatz wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt wirklich vorangetrieben, da bei allen Bemühungen der beitrittswilligen Staaten immer der schnelle Beitritt zur EU im Vordergrund stand.

Mit der offiziellen Aufnahme der Ukraine in den erlauchten Kreis der EU-Beitrittskandidaten hat sich die Situation allerdings verändert. Kiew drängt zur eigenen Sicherheit mit Macht in Richtung Europa, wird nach dem Krieg allerdings in Sachen Wiederaufbau und Annäherung an das EU-Recht viele Jahre brauchen. Eine vollständige Aufnahme liegt also in ziemlich weiter Ferne. Gleiches gilt für Georgien und Moldau, die ebenfalls laut an der Brüsseler Tür klopfen. Das stellt die Europäische Union vor immense Herausforderungen, weil sich auch diese beiden Staaten nicht nur sicherheitspolitisch in einer überaus schwierigen Lage befinden.