Die EU bietet den Briten zwei Optionen für eine Verschiebung des Brexits. Das hat einen großen Vorteil: das Risiko, dass die Europawahlen angefochten werden können, ist deutlich geringer geworden.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Der Europäische Rat, also die 28 Staats- und Regierungschefs der EU, hat einen kurzen Aufschub für das Austrittsdatum des Vereinigten Königreichs aus der EU beschlossen. Ursprünglich war der Brexit für den 29. März vorgesehen. Nun wird er entweder am 12. April oder am 22. Mai stattfinden. Es gibt allerdings auch noch die Möglichkeit, dass der Austritt ganz abgesagt wird.

 

Unter welchen Umständen ist der Austritt am 22. Mai?

Dies ist das Szenario, bei dem der Austritt geordnet und nach dem Drehbuch des Austrittsvertrages abläuft. Dafür müsste Theresa May schon in der kommenden Woche den Austrittsvertrag zum dritten Mal dem britischen Unterhaus zur Prüfung vorlegen und dann eine Mehrheit der Abgeordneten für den Vertrag gewinnen. In diesem Fall würde das Land einen Tag vor Beginn der Europawahl austreten, faktisch würde sich aber bis Ende 2020 wenig ändern. Die Briten wären weiter in Binnenmarkt, müssten weiter für die EU zahlen, könnten aber nicht mehr an Abstimmungen in Brüssel teilnehmen. Prognose: Es gibt zwar Bewegung im Unterhaus, es ist aber eher unwahrscheinlich, dass May die Mehrheit der Stimmen holt.

Und wann wird es der 12. April?

Dieses Szenario greift, wenn May nächste Woche keine Mehrheit im Unterhaus für den Austrittsvertrag erhält. Nach der abermaligen Pleite im Parlament hätte die britische Regierung dann zwei Wochen Zeit zum Handeln. Sie hat dann noch drei Möglichkeiten: Erstens könnte sie immer noch versuchen, eine Mehrheit für den Vertrag zu organisieren. Zweitens könnte sie den Austritt ohne Vertrag („No-Deal-Szenario“) vollziehen. In diesem Fall gäbe es einen ungeordneten chaotischen Brexit mit langen Warteschlangen an den Grenzen, möglicherweise Lieferengpässen bei Lebensmitteln und Materialien für die Industrie. Und drittens könnte sie die Austrittserklärung des Landes aus der EU zurückziehen. In diesem Fall würden die Briten dann auch noch an der Europawahl vom 23. bis 25. Mai teilnehmen. Der Brexit wäre abgeblasen. Der Austrittstermin 12. April ergibt sich aus dem britischen Wahlrecht für die Europawahl. Bis zu diesem Termin müssten die Europawahlen im Vereinigten Königreich angekündigt werden. Prognose: Mays Scheitern im Parlament ist wahrscheinlich, was dann bis 12. April passiert, ist nicht vorhersehbar.

Wie ist die Lösung mit den zwei Optionen zu bewerten?

Zum einen ergreift damit die EU erstmals die Initiative, um für Klarheit im Austrittsprozess zu sorgen. Brüssel nimmt May, die hilf- und konzeptlos agierte, das Heft des Handelns aus der Hand. May hat damit endgültig die Kontrolle über das Verfahren verloren. Aus Sicht der EU hat das jetzt beschlossene Vorgehen deutliche Vorteile: Die rechtlichen Risiken einer Anfechtung der Europawahl sind beseitigt, weil das austretende Land vor der Europawahl die EU verlässt. Brüssel erhöht zugleich den Druck auf zaudernde britische Abgeordnete, weil die britische Regierung bei einer erneuten Abstimmungsniederlage binnen weniger Tage eine Alternative präsentieren muss. Das erscheint derzeit als nahezu unmöglich. Womöglich sichert dies ja noch die Zustimmung. Hinzu kommt: Einige im EU-Lager befürchten, dass May längst auf das „No-Deal“-Szenario zusteuere und Hinhaltetaktik betreibe, um das Land auf den wilden Brexit möglichst gut vorzubereiten. Wenn dies so sein sollte, hätte Brüssel mit dem Austritts-Szenario am 12. April die Pläne Mays durchkreuzt.

Welche Rolle hatte May beim Gipfel?

Wie bereits bei vorherigen Gipfeln machte sie einen hilflosen Eindruck. Sie sprach anderthalb Stunden zu den anderen 27 Staats- und Regierungschefs, konnte dem Vernehmen nach aber weder eine Strategie formulieren noch Auskunft geben über die weiteren Schritte, die sie bei einer erneuten Abstimmungsniederlage ergreifen wolle. Die konservative Premierministerin konnte auch nicht erklären, warum sie nach Brüssel mit dem Vorschlag zur Verschiebung des Brexit bis zum 30. Juni angereist ist.

Gab es Streit in der Gruppe der EU der 27?

Nach Berichten von EU-Diplomaten lagen immer wieder die Nerven blank. So gab es einen Konflikt auf offener Bühne zwischen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Ratspräsident Donald Tusk. Macron bestand offenbar auf dem Austrittsdatum 7. Mai, weil am nächsten Tag ein Feiertag in Frankreich ist und so die chaotischen Folgen eines ungeregelten Brexit für die Franzosen um einen Tag hinausgeschoben würden. Tusk favorisierte den 22. Mai. Merkel soll sich mit Macron angelegt haben. Sie hielt es dem Vernehmen nach für unverantwortlich, dass Macron auf ein „No-Deal“-Szenario zusteuerte. Auch mit Tusk geriet sie aneinander: Sie soll ihn angeranzt haben, sie doch bitte nicht permanent zu unterbrechen. Sie soll ihm zudem gesagt haben: „Es mag sein, dass du die Briten nicht brauchst, wir (die EU) brauchen sie.“ Merkel schien den Abend aber genossen zu haben. Als sie nach Mitternacht den Sitzungssaal verließ, strahlte sie und lobte eine „sehr ehrliche“ und „der Ernsthaftigkeit der Lage angepasste Diskussion“.