Der Europäische Gerichtshof stellt klar, dass die EU-Mitgliedsstaaten ein Mitspracherecht bei Brüssels Handelspolitik haben – allerdings nur für wenige Bereiche.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Es ging auch um das Handelsabkommen zwischen der EU und der Republik Singapur (Eustafa). Die unmittelbaren Folgen des lange ersehnten Gutachtens vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für Eustafa sind schnell erklärt: Die EU darf nicht, was sie anpeilte, nämlich das Abkommen in Gang setzen, ohne die Mitgliedstaaten anzuhören. Die Luxemburger Richter kamen zur Überzeugung, dass zwei Teilbereiche des Abkommens in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten fallen. Dies sind die Investitionsschiedsgerichte sowie „Portfolioinvestitionen“ (Beteiligungen an Unternehmen ohne eine Kontrollabsicht). Dies heißt: Eustafa ist also ein gemischtes Abkommen. Die Zustimmung der Parlamente der Nationalstaaten muss nun eingeholt werden. Ohne sie kann das Abkommen nicht in Kraft gesetzt werden. Da Eustafa seit Jahren komplett ausverhandelt ist, rät Daniel Caspary (CDU), Handelsexperte im Europaparlament: „Eustafa sollte nicht aufgeschnürt werden. Mit den Hauptstädten sollte ausgelotet werden, ob sie grünes Licht geben können.“

 

Globalisierungsgegner wie Befürworter von Handelsabkommen erhofften sich Klarheit

Doch in Luxemburg ging es nicht nur um Singapur. Globalisierungsgegner wie Befürworter von Handelsabkommen der neuen Generation erhofften sich Klarheit: Die Richter sollten eine rote Linie ziehen, in welchen wirtschaftlichen Bereichen die EU das alleinige Verhandlungsmandat beanspruchen kann. Hintergrund sind die quälenden Auseinandersetzungen um das Abkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta). Die Wallonie, eine von drei Regionen Belgiens mit einer Einwohnerzahl von gerade einmal 3,6 Millionen Menschen, drohte 2016 über Wochen mit einem Veto gegen Ceta. Das Handelsabkommen, das als das fortschrittlichste von allen gilt, von dem sich Politiker und Unternehmer viele Impulse für Handel und Jobs im Binnenmarkt mit 500 Millionen EU-Bürgern erhoffen, hing an einem seidenen Faden. Aus durchsichtigen parteitaktischen Motiven beanspruchte ein Sozialist aus der Wallonie für ein Regionalparlament, in der Handelspolitik der EU mitzumischen. Er manövrierte damit die gesamte EU an den Rand er Handlungsfähigkeit.

Damit ist klar, welche Wünsche die beiden Seiten hegten: Globalisierungsgegner setzten darauf, dass Luxemburg den Nationalstaaten ein Vetorecht im Freihandel beschert. Die EU erwartete dagegen Klarheit der Richter, um Mandate für künftige Abkommen so formulieren zu können, dass die EU-Kommission die alleinige Zuständigkeit hat. Ziel ist, Abkommen künftig nur dem Europaparlament sowie dem Rat, also dem Gremium der Mitgliedstaaten, zur Billigung vorzulegen.

Beide Seiten interpretieren das Gutachten unterschiedlich

Nun liegt das Gutachten vor. Die Globalisierungsgegner triumphieren und sprechen von einem Rückschlag für die EU-Kommission. Die Grünen-Fraktionschefin Franziska Keller sagte etwa: „Die Europäische Kommission schießt gern über das Ziel hinaus, wenn es um Handelsabkommen geht.“ Deshalb müssten die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten frühzeitig in den Verhandlungsprozess einbezogen werden. Das Ziel sei, „die EU-Kommission dort in die Schranken zu weisen, wo es notwendig ist“.

Das kann man auch anders sehen. „Der EuGH hat die europäische Handelspolitik deutlich gestärkt“, stellt Caspary fest. Er verweist darauf, dass die meisten Themen, bei denen sich EU und Mitgliedstaaten zuletzt um die Kompetenzen gestritten haben, eindeutig der EU zugeordnet wurden. „Es ist gut, dass wir hier nun Klarheit haben.“ In der Tat: Schon die EuGH-Generalanwältin hatte im Dezember gefordert, der EU die alleinige Kompetenz beim Handel mit Waren und Dienstleistungen, beim Umweltschutz und bei ausländischen Direktinvestitionen zu geben. Sie identifizierte sechs Bereiche gemischter Zuständigkeiten von Brüssel und nationalen Hauptstädten. Diese strich das Gutachten des Gerichts nun auf nur noch zwei Bereiche zusammen: Die Mitgliedstaaten sollen lediglich Mitsprache bei den indirekten Investitionen („Portfolio“) haben, die aus Sicht der Handelspolitik aber uninteressant sind, sowie bei den Schiedsgerichten zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten. Hier ist denkbar, dass die Nationalstaaten bereit sind, die Kompetenz für Investitionsschutzgerichte an die EU abzugeben. Caspary skizziert, wie es weiter gehen soll: „Wir brauchen in Zukunft separate Abkommen über die Dinge, die in EU-Verantwortung liegen, sowie für die Bereiche, für welche die Mitgliedsstaaten zuständig sein.“ Bald schon könnte es konkret werden: Als Nächstes will die EU mit Chile, Australien und Neuseeland über umfassende Vereinbarungen für den Freihandel reden.