Nicht zuletzt der Unfall des Stürmers Barnabas Varga beim EM-Vorrundenspiel in Stuttgart zeigt: Profi-Fußball ist viel schneller und körperlich aggressiver als früher. Steigt damit das Verletzungsrisiko? Das sagen Experten.
Es waren dramatische Bilder beim EM-Vorrundenspiel Schottland gegen Ungarn, als der Stürmer Barnabas Varga nach einer Kollision mit dem schottischen Nationaltorwart zu Boden ging. Bewegungslos blieb der Ungar liegen. Das Sicherheitspersonal baute eine Abschirmung auf, während der Spieler behandelt wurde. Es zeigt sich wieder: Der Profi-Fußball von heute ist ein schnelleres und dynamischeres Spiel geworden – mit höheren Anforderungen an die physische und geistige Fitness. Welche Verletzungen entstehen können und wie diese therapiert werden, klärt diese Übersicht:
Ist das Verletzungsrisiko mit den Jahren größer geworden?
Studien aus England belegen: Fußballspieler im Profibereich haben heute ein wesentlich höheres Verletzungsrisiko als vor zehn Jahren. Demnach fielen Profifußballer in dem Untersuchungszeitraum durchschnittlich zweimal pro Saison verletzungsbedingt aus. Im Jahr 2001 hatte diese Quote noch bei 1,3 gelegen. Den Orthopäden und Sportmediziner Christian Knop wundert das nicht: „Schließlich hat nicht nur das Tempo im Profifußball zugenommen, sondern auch die Belastungen, denen die Spieler ausgesetzt sind“, sagt der Ärztlicher Direktor der Sportklinik, Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Stuttgart auf Anfrage. Im Klinikum wurde auch der verletzte Stürmer Varga nach seiner Kollision operiert und medizinisch betreut.
Was sind die häufigsten Verletzungen?
Der VfB-Mannschaftsarzt Raymond Best, der während der Europameisterschaft 2024 im Namen der UEFA das medizinische Team in der MHP-Arena für die jeweiligen Mannschaften und die Delegationen leitet, betont, dass vor allem im Turnier- und Spielbetrieb das Verletzungsrisiko kurzfristig nochmals ansteige: „Typisch sind Muskelverletzungen, aber auch Kniegelenktraumata und Verletzungen am Sprunggelenk“, sagt der Sportorthopäde und Chirurg, der mit Kollegen die Sportheum Sportklinik Fellbach leitet, auf Anfrage. Frakturen, also Knochenbrüche, sind dagegen eher selten.
Schwachstelle Knie: Welche Verletzungen sind hier häufig?
Hier sind vor allem die Innenbänder betroffen. Derartige Verletzungen können aber in der Regel nach vier bis sechs Wochen ausheilen, wenn sie konservativ behandelt werden – also mit entsprechender Ruhigstellung, Mobilisation und Physiotherapie. Der Kreuzbandriss, der beispielsweise entsteht, wenn man nach einem Sprung landet, abrupt die Laufrichtung ändert, plötzlich stoppt oder sich dreht und in die X-Bein-Stellung gerät, muss dagegen fast immer operiert werden. Dabei wird das Kreuzband meist durch körpereigenes Material – etwa von einer Sehne – ersetzt. Diese Verletzung sei aber zum Glück bei Fußballern im Vergleich zu anderen Verletzungen weniger häufig als es oft wirkt, sagt Best.
Wie werden Verletzungen am Sprunggelenk am besten therapiert?
Den Kapitän der englischen Nationalmannschaft, Harry Kane, hat es im März erwischt, den für die Nationalmannschaft vorgesehenen Bayern-Spieler Aleksandar Pavlovic dann wenig später: Beide verletzten sich im Spiel am Sprunggelenk. Die Außenbänder sind dabei sehr häufig betroffen, seltener die Innenbänder, wie Raymond Best erläutert. In der Regel können solche Verletzungen konservativ behandelt werden, und die Spieler können nach einer funktionellen konservativen Therapie mit Schutzmaßnahmen, die das Gelenk stabilisieren, wieder aufs Feld.
Welche Verletzungen am Sprunggelenk wiegen schwer?
„Eine schwere Verletzung ist der sogenannte Syndesmosenriss“, sagt Knop. Damit ist die Verbindung zwischen Schien- und Wadenbein gemeint. Reißt diese Halterung, ist in der Regel eine OP notwendig. Bei einem Anriss hilf auch eine konventionelle Therapie. Eine solche Verletzung hatte in der vergangenen Saison beispielsweise der BVB-Spieler Karim Adeyemi erlitten. Von Dezember bis Mitte Februar konnte er an den Bundesligaspielen nicht teilnehmen.
Wie behandelt man Muskelverletzungen?
Verletzungen – auch kleinere Muskelverletzungen – sind immer ernst zu nehmen, sagt Raymond Best. „Als Mannschaftsarzt stellt sich immer die Frage: Wie heilt die Verletzung so sicher und stabil aus, dass dem Spieler kein weiterer Schaden entsteht, wenn er weiterspielt?“ Spielt der Fußballer beispielsweise nach einer kleinen Muskelzerrung weiter, riskiert er durch die weitere Belastung eine schwerere Muskelverletzung. Allerdings heilen Muskelverletzungen aufgrund der guten Blutversorgungssituation bei entsprechender Pause, Physiotherapie und stufenweiser ansteigender Belastung sicher und gut aus. Selten müssen Muskelverletzungen operiert werden.
Wie geht man bei Gehirnerschütterung bei Fußballern vor?
Best erinnert an den damaligen VfB-Kapitän Christian Gentner, der 2017 nach einem ganz ähnlichen Vorfall wie bei Varga aufgrund mehrerer Frakturen im Gesicht operiert werden musste. „Bei einem solchen großen Trauma ist eine Gehirnerschütterung immer dabei“, sagt Best. Grundsätzlich wird das Thema bei UEFA, FIFA und in den nationalen Ligen sehr ernst genommen: durch wiederholte und ignorierte Gehirnerschütterungen können langfristig kognitive Defizite entstehen, auch das Risiko einer Demenz ist erhöht. „Kommt es zu einem Vorfall auf dem Spielfeld, bei dem der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung besteht, bekommt der Mannschaftsarzt auch mehr Zeit vom Schiedsrichter zugestanden, um dies zu überprüfen“, sagt Best. Auch Knop betont: Liegt eine Gehirnerschütterung vor, wird der Spieler genau untersucht und kontrolliert, um ihn nicht zu früh ins Spiel zu bringen.
Nichtbakterielle Schambeinentzündung – ist das häufig?
Die Schambeinastentzündung ist oft der Endpunkt einer längeren krankhaften Entwicklung. Die Ursachen sind mannigfaltig – angefangen von gestörtem Bewegungsverhalten bis hin zu einer orthopädischen Instabilität, es kann aber auch eine Entzündung der Prostata dahinterstecken, erklärt Best. „Das ist oft mit einer langwierigen Ursachenforschung verbunden, die aber sein muss.“ Behandelt man nur die Schambeinentzündung, bekämpft aber nicht den Auslöser, kann diese Erkrankung wiederkehren. Die Therapie der Entzündung an sich dauert etwa vier bis sechs Wochen, erklärt Christian Knop. „Wichtig ist vor allem die Entlastung – ohne den Spieler ruhigzustellen, damit kein Muskelabbau stattfindet“, sagt der Orthopädie-Experte. Hier ist eine gute Zusammenarbeit von Spieler und Arzt wichtig.
Wie werden Verletzungen eingeteilt?
Für nahezu jede Verletzung gibt es eine bestimmte Klassifikation, bei der die Verletzungsart und der Schweregrad beurteilt werden kann. Auf dieser Basis kann man dann ungefähr die Ausfallzeit einschätzen. „Dann kommt es noch darauf an, wo sich die Verletzung befindet“, sagt Best. Beispielsweise dauert eine sogenannte 3A Verletzung der Oberschenkelvorderseite – also ein Muskelfaserriss – nicht so lange wie eine 3A Verletzung der Wade. Und dann spielt dabei auch die Position des Spielers eine Rolle – ist es ein Torwart oder ein Stürmer? Letztlich braucht es die Erfahrung eines Sportarztes, um verlässliche Prognosen abgeben zu können, wann ein Spieler wieder aufs Feld darf.