Rund 400 Millionen Bürger der EU werden bald über die Zusammensetzung des Europaparlaments bestimmen. Der Bundeswahlleiter hat jetzt über den Urnengang und seine Besonderheiten aufgeklärt.

Berlin - Die neunte Wahl des Europäischen Parlaments findet vom 23. bis zum 26. Mai statt. Diesmal stellt die Wahl die Organisatoren vor besondere Herausforderungen – nicht nur wegen des britischen Austritts aus der Europäischen Union. Auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe stellte noch neue Bedingungen ans Wahlrecht.

 

Wann und was wird gewählt?

Die deutschen Wahllokale werden am Sonntag, den 26. Mai, von 8 bis 18 Uhr geöffnet sein. An diesem Tag wird in den meisten Mitgliedsstaaten gewählt. Das Europäische Parlament ist das einzige direkt von den EU-Bürgern gewählte Organ der EU und spielt bei 75 Prozent aller Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene eine entscheidende Rolle. Aktuell gibt es 751 Abgeordnete im Europaparlament, darunter 96 aus Deutschland gewählte.

Im Falle eines Brexits verringert sich die Zahl der Abgeordneten auf 705, an Deutschlands Sitzanzahl ändert sich nichts. Einige von Großbritanniens Sitzen würden bei einem vollzogenen Brexit an bislang leicht unterrepräsentierte Staaten, wie zum Beispiel Irland, Frankreich, Spanien, Italien und die Niederlande, gehen. Vorläufige Ergebnisse werden frühestens am Wahlsonntag ab 23 Uhr mitgeteilt, da erst dann die letzten Wahllokale in Italien schließen werden. Das endgültige Wahlergebnis wird am 24. Juni bekannt gegeben.

„In meiner Funktion als Bundeswahlleiter appelliere ich an alle Bürgerinnen und Bürger, Deutsche wie die hierlebenden Unionsbürgerinnen und –bürger anderer Mitgliedsstaaten, an der Europawahl teilzunehmen“, sagte Bundeswahlleiter Georg Thiel am Dienstag in Berlin. Europäische Regelungen prägten das Leben in den Mitgliedstaaten immer stärker, das Europäische Parlament habe eine große Bedeutung, sagte Thiel.

Wer ist wahlberechtigt?

Wahlberechtigt sind alle volljährigen Unionsbürger. Das sind insgesamt rund 400 Millionen Menschen. In Deutschland gibt es etwa 64,7 Millionen Wahlberechtigte, darunter circa 60,8 Millionen in Deutschland lebende Deutsche und 3,9 Millionen wahlberechtigte Unionsbürger. Diese können entweder in ihrem Land, oder in Deutschland wählen. Wenn sie deutsche Abgeordnete wählen möchten, dann müssen sie sich bis zum 5. Mai ins deutsche Wählerverzeichnis eintragen lassen.

Am Montag entschied das Bundesverfassungsgericht, dass auch Menschen mit einer gerichtlich angeordneten Betreuung an der Europawahl teilnehmen dürfen. Das betrifft knapp 85 000 Personen, sagt Bundeswahlleiter Thiel. Diese müssen bis zum 5. Mai einen Antrag stellen, um ins Wählerverzeichnis aufgenommen zu werden. „Das ist nochmal ein erhöhter Arbeitsaufwand, aber durchaus in der Zeit zu meistern“, sagt Thiel. Dass psychisch kranke und behinderte Menschen nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden dürfen, beschloss das Bundesverfassungsgericht bereits im Januar. Das erweiterte Wahlrecht sollte jedoch nach dem Beschluss des Bundestags erst ab dem 1. Juli, also nach der Europawahl, gelten. Die Grünen, Linken und die FDP stellten daraufhin einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht. Nun können die betreuten Personen ebenfalls an der Europawahl teilnehmen.

Wen kann man wählen?

In Deutschland gibt es 1380 Kandidaten, darunter 479 Frauen, für die insgesamt 96 deutschen EU-Parlamentssitze. Aus Baden-Württemberg kommen 131 Kandidaten. Insgesamt treten bei der Wahl 41 Parteien an, darunter die Bundestagsparteien, aber auch kleinere und neue Parteien, wie zum Beispiel die pan-europäische Partei Volt. Die meisten treten mit einer bundesweiten Kandidatenliste an. Die CSU hat für Bayern eine eigene Liste, die CDU für die restlichen 15 Bundesländer ebenso, wodurch jeder Wähler in Deutschland letztendlich 40 Wahlmöglichkeiten haben wird.

Das Durchschnittsalter der Kandidaten in Deutschland liegt bei 45,2 Jahren. Die Zahl der Kandidaten unter 40 Jahren ist im Vergleich zu der Wahl 2014 gestiegen.

Zur Wahl stellen kann sich prinzipiell jeder volljährige Unionsbürger in einer zugelassenen Partei. So kann man in Deutschland auch Unionsbürger aus anderen Mitgliedsstaaten wählen. Umgekehrt haben sich 18 Deutsche auf Listen in ihren Wohnsitzländern in anderen Mitgliedsstaaten zur Wahl gestellt.

Welche Auswirkungen hat das Brexitchaos auf die Wahl?

Aktuell gibt es zwei wahrscheinliche Szenarien. Das erste wäre ein Brexit noch vor der Europawahl. Dann können Briten nicht mehr an der Europawahl teilnehmen und in Großbritannien lebende Deutsche, die sich dafür entschieden haben, in Großbritannien britische Abgeordnete zu wählen, ebenfalls nicht mehr. Um sicher zu gehen, dass ihre Stimme definitiv zählt, müssten sich in Großbritannien lebende Deutsche noch bis zum 5. Mai in deutsche Wählerlisten eintragen lassen.

Falls Großbritannien nicht bis zum 22. Mai austritt, muss das Vereinigte Königreich an der Europawahl teilnehmen. Aktuell hat der Europäische Rat den Briten eine Brexit-Fristverlängerung bis zum 31. Oktober gegeben. Wenn die Briten dann austreten, müssen die frisch gewählten britischen Abgeordneten ihre Sitze räumen, die Zahl der Sitze im EU-Parlament wird auf 705 verringert und aus bisher unterrepräsentierten Ländern dürfen einige Abgeordnete nachrücken. „Ich gehe davon aus, dass das keine Auswirkungen auf die Anfechtbarkeit des Wahlergebnisses haben wird“, sagt Thiel.

Was ist mit Fake-News-Kampangen oder Wahlmanipulationen?

Die Gefahr einer Beeinflussung oder Manipulation der Wahl besteht an unterschiedlichen Stellen. Nachrichtendienste warnen insbesondere vor russischer Einflussnahme, sowohl auf die Meinungsbildung durch Falschinformationen online im Voraus als auch durch Cyberangriffe auf die Wahlergebnisse selbst.

Der Aktionsplan gegen Desinformationen der EU soll die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Kampf gegen Falschinformationen verstärken. Onlineunternehmen wie Google, Facebook und Twitter unterzeichneten im Oktober einen Verhaltenskodex. Darin verpflichten sie sich, für Transparenz zu sorgen und Desinformationen zu bekämpfen.

Die Europäische Kommission veröffentlichte Empfehlungen für eine effiziente Durchführung der Wahl, der Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten wurde auch hier verstärkt. Auch der Bundeswahlleiter gab Empfehlungen an die Länder weiter. „Das endgültige Wahlergebnis wird in Deutschland ausschließlich papierbasiert ermittelt. Es ist somit sehr wenig manipulationsanfällig“, sagt Bundeswahlleiter Thiel. Die Gefahr einer Manipulation der Wahlergebnisse durch Hacker sei nur beim vorläufigen Wahlergebnis gegeben, sagt Thiels Büroleiterin, Karina Schorn. Um Falschinformationen wie „das Wahllokal schließt bereits um 15 Uhr“ am Wahltag zu verhindern, habe man Vorkehrungen getroffen und arbeite auch mit den Medien zusammen, sagte Thiel.