Wer die Bankentrutzburg und den in unruhigen Träumen gefangenen Hauptbahnhof hinter sich lässt, betritt Stuttgarts größte Baustelle und sieht die „Verwandlung“ der Stadt: Eine von Treppenstufen umfasste betonierte Fläche darf sich ungestraft Pariser Platz nennen, obwohl den meisten Betrachtern wohl nichts ferner liegt, als in dieser Ödnis Paris zu entdecken. Hinter dem Pariser Platz beginnt die Zukunft der Stadt, die sich inzwischen schon in Teilen aus Baugruben heraus in die Höhe geschoben hat: Die Stadtbibliothek steht bereits, und in vielen Wohnungen der „Pariser Höfe“ leuchtet Licht.

 

Auch diese Wohneinheiten für Besserverdienende schotten sich nach außen ab – nichts öffnet sich auf Erdgeschosshöhe. Bistroflair wird den Bewohnern und den Besuchern nicht um die Nase wehen. Großklotzig stehen diese „Pariser Höfe“ wie ein Massiv unweit der Bibliothek, und dieser Formensprache wird auch die Sparkassenakademie folgen, die in unmittelbarer Nachbarschaft schon an Konturen gewinnt. Noch ist das letzte Wort über die Zukunft des Europaviertels nicht gesprochen. Auch nachts sprühen Schweißgeräte Funken. Ein Einkaufszentrum wächst aus Fundamenten empor.

Fritz K. wird zur Eröffnung kommen

Mächtig werden fast alle Bauten wirken, die hier entstehen, und sie werden versuchen, das Leben der Menschen zu steuern: Kauft mehr ein! Arbeitet! Schlaft! In diesem Sinne werden die Menschen fremdbestimmt, wie viele von Kafkas Romanfiguren. Andererseits: das meiste davon wird im Gegensatz zur Bankenwelt leicht zu durchschauen sein. Für eine Kafka-Verfilmung wird das neue Europaviertel zu wenig rätselhaft. Dass ausgerechnet Fritz K. die meisten Bauten hier eröffnen wird, ist jedoch schon ein wenig kafkaesk.