Der Sieg von Conchita Wurst beim ESC ist ebenso sensationell wie historisch. Selten hat sich jemand so schnell von der Lachnummer zum strahlenden Sieger gewandelt. Und: Aus ganz Europa kamen Stimmen für Wursts Song – und gegen Homophobie.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Kopenhagen - Conchita Wurst gewinnt mit der Hymne „Rise like a Phoenix“ den Eurovision Song Contest 2014 in Kopenhagen. Am Schluss der Wertungen aus 37 Ländern lag der österreichische Travestiekünstler mit 290 Punkten deutlich vor den Niederlanden (238 Punkte) und Schweden (218 Punkte).

 

Diese Nachricht ist in der nun beinahe 60-jährigen ESC-Geschichte ebenso sensationell wie historisch. Sensationell ist sie, weil bis vor wenige Tagen im Kreis der Songcontest-Beobachter Österreichs Beitrag für Kopenhagen nur als Lachnummer gehandelt wurde: Ein Transvestit in Glitzerrobe und Vollbart singt eine Ballade im James-Bond-Stil? Spott und Häme zog sich durch die Blogs – und auch in Österreich hagelte es teilweise wütende Kritik am TV-Sender ORF, der im Alleingang, ohne nationalen Vorentscheid Conchita Wurst nominiert hatte.

Doch spätestens seit einem grandiosen Auftritt beim Halbfinale am Donnerstag wendete sich das Blatt. Conchita brachte mit ihrem Titel „Rise like a Phoenix“ nicht nur den Saal in Kopenhagen zum Toben, sondern auch die Fangruppen und Journalisten auf ihre Seite. Bis zum Samstagmittag kletterte sie in den Rankings der Wettbüros nach und nach auf Platz 1. Und tatsächlich siegte sie am Samstagabend schließlich souverän in einem musikalisch breit gefächerten und vielfach hochwertigen Song Contest.

Ganz Europa gibt Stimmen

Historisch ist dieses Ergebnis, weil der österreichische Beitrag Punkte aus fast allen der diesjährigen ESC-Teilnehmerstaaten bekam. Ob Irland, Schweden, Portugal, Spanien, Italien, Griechenland, Georgien – überall gab es hohe und höchste Punktzahlen. Mithin stimmte es also nicht, wie vorher vielfach zu hören und zu lesen, die Performance von Conchita Wurst würde polarisieren. Erstaunlich eher, wie quer durch alle Gesellschaften des Kontinents sich hier Zustimmung des Publikums und der Fachjurys niederschlug.

Conchita Wurst selbst brauchte am Schluss geraume Zeit, um sich zu sammeln und die Tränen in den Griff zu kriegen. Sie widmete in einer kurzen Dankesrede ihren Sieg allen Menschen, die für Freiheit und für Frieden eintreten: „We are unity. We are unstoppable“, rief sie und stemmte ihre Siegestrophäe in die Höhe.

Ganz vorn: die besten Songs

Aber auch sonst können die ESC-Fans mit dem Ergebnis des diesjährigen Wettbewerbs sehr zufrieden sein. Auf den ersten Plätzen finden sich tatsächlich auch die besten Titel des Abends. Wunderbar der zweite Platz für das niederländische Duo The Common Linnets und ihren ruhigen Song „Calm after the Storm“ im Countrystyle. Und die beste klassische Popnummer hatte zweifellos Sanna Nielsen für Schweden geliefert; „Undo“ kam auf Platz drei.

Doch die Geschichten des nächsten Tages werden sich nun sicher um Conchita Wurst alias Tom Neuwirth drehen. Der 25-jährige Popsänger hat sich vor zwei Jahren die Kunstfigur geschaffen. Er will damit nicht nur unterhalten, sondern gegen Homophobie und Ausgrenzung in Europa protestieren. Der Nachname „Wurst“ steht für den Anspruch, dass es doch eigentlich wurscht sein soll, wie jemand aussieht und nach außen wirkt; Respekt habe er oder sie in jedem Fall verdient.

Respekt verdient vor allem Conchita Wurst. Mit ihrer Performance wagt sie viel – und hat in diesem Fall viel gewonnen. Ach ja, und auf einer Stufe mit Udo Jürgens steht sie auch, denn der gewann 1966 den Grand Prix. Zwei Österreicher, die ein kleines Stück Popgeschichte geschrieben haben.

Achja: das Trio Elaiza landete mit 38 Punkten auf Platz 18. Schade drum.