In einer Woche tritt Lena zum zweiten Mal beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf an. Noch ist die Stimmung erstaunlich gedämpft.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Düsseldorf - Kann sich Geschichte wiederholen? Das erste Mal, es war am 29. Mai 2010, stürzte eine junge Hannoveranerin, die Ausdrücke wie "Verdammte Axt" benutzt und beim Tanzen X-Beine macht, mit ihrem Sieg in Oslo beim 55. Eurovision Song Contest (ESC) Deutschland in einen kollektiven Lena-Taumel. Nun, in nur acht Tagen, soll es wieder so weit sein: Das "Unternehmen Titelverteidigung" von Stefan Raab erreicht seinen Höhepunkt; nach 28 Jahren geht am Samstag in einer Woche die größte Musikshow der Welt wieder in Deutschland über die Bühne.

 

Also "Lena-Manie, Klappe, die zweite"? Zweifel sind angebracht, und das nicht erst, seitdem bei Lena Meyer-Landruts Deutschlandtour im April die großen Hallen nicht ganz voll wurden. Der "Spiegel" hat eine Umfrage zur Stimmungslage im Land in Auftrag gegeben. Bei der Erhebung schnitt die 19-Jährige auf einer Sympathieskala von eins bis zehn im Rückblick vor einem Jahr mit einem Wert von 6,3 ab, jetzt erreicht sie nur noch 5,7. Und: bei FDP-Anhängern kommt sie auf 7,1. Umfragen können Ergebnisse zutage fördern, die man lieber im Dunkeln wissen will.

Auch mit Veilchenherzen wird Düsseldorf nicht zur Szenestadt

Für die gedämpfte Stimmung gibt es Gründe. Es ist nicht ungewöhnlich, denselben Interpreten mehrmals zum Grand Prix zu schicken, Katja Ebstein und die Gruppe Wind waren je dreimal für Deutschland dabei. Der Ire Johnny Logan hat als Einziger zweimal gesiegt, aber mit sieben Jahren Abstand, 1980 und 1987. Dass ein Land mit demselben Kandidaten zweimal hintereinander siegt - dagegen spricht noch jede ESC-Statistik, bislang zumindest.

Und dann: Düsseldorf. Das letzte Mal, das war Oslo, unkonventionell, jung. Dieses Mal hat sich das Spaß-Ufo namens Grand Prix mit Düsseldorf keine für ihren hohen Szenefaktor bekannte Hauptstadt als Landeplatz ausgesucht. Die Stadt hat sich zwar mächtig ins Zeug gelegt, hat Veilchen auf der Rheinwiese zu einem Herz geformt, dem diesjährigen Logo, und Straßenbahnen mit ESC-Bannern beklebt; das Fußballstadion wurde in ein gigantisches Fernsehstudio verwandelt. Doch ein Stadtimage lässt sich nun mal nicht von einem Tag auf den anderen wegschnippen. Schon gar nicht, wenn Pannen wie jene mit dem Schreibfehler im offiziellen Begleitheft ("Schwule statt Schule") passieren und am Tag des Finales ein Schützen- und Karnevalistenumzug ein Veranstaltungshighlight darstellt. So passt es ins Bild der Ernüchterung, wenn die Hoteliers noch freie Zimmer und bezahlbare Bettenpreise melden, obwohl der Probenmarathon der Teilnehmer seit Sonntag auf Hochtouren läuft. Am Samstag haben Lena und ihre in metallen schimmernden Ganzkörperanzügen steckenden Tänzerinnen die Chance, ihrem Auftritt den letzten Schliff zu geben.

"Vielleicht war das mit der Titelverteidigung eine Scheißidee"

Das letzte Mal, da war vor allem Lena in ihrer Mischung aus Unbekümmertheit, Klugheit und Sexappeal ein Novum. Sie war "echt" und "authentisch", diese Begriffe sind das höchste Lob, das Kritiker bei diesem hochgezüchteten Showspektakel zu vergeben haben. Inzwischen ist die Sängerin ein Profi im Musik- und Medienbusiness, und ihr Glanz hat trübe Flecken bekommen. Bei diversen Preisverleihungen quasselte sie Nonsens, bei ihren Konzerten gerieten vor allem Kinder in Ekstase. Ein zweites Mal ESC-Geschichte zu schreiben, könnte also schwierig werden. Wer kann sich schon selber toppen? Und verlangt nicht jeder Grand Prix nach einem neuen Star?

Schon die Wahl von "Unserem Song für Deutschland" war ein ermüdendes und abstruses Unterfangen: Bei den Vorentscheidungen machte sich Lena quasi zwölfmal selber Konkurrenz. Die TV-Quoten floppten, und Raab gab kleinlaut zu: "Kann auch sein, dass das mit der Titelverteidigung eine Scheißidee war." Das Raab'sche Vermarktungsimperium namens Brainpool, das Lenas Tour organisiert und ihre CD produziert hat, bringt ein weiteres Kuriosum hervor: Raab wird die Halbfinals und das Finale selbst moderieren, zusammen mit Anke Engelke und Judith Rakers.

Kann Lena ein zweites Mal verzaubern?

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Google sieht die Titelverteidigerin auf der Basis von Suchanfragen wieder als Siegerin. ESC-Kenner halten eine Platzierung unter den ersten fünf für machbar, auch das wäre ein Erfolg. Das Grand-Prix-Ritual wird, so oder so, seine Faszination entfalten. Und Lena ist eine starke Persönlichkeit. Vielleicht gelingt ihr ja doch überraschend das Kunststück, ein zweites Mal alle Welt zu verzaubern.

120 Millionen am Bildschirm

Wettbewerb Bei den Halbfinals (10. und 12. Mai) treten je 19 Länder an; die jeweils besten zehn treffen im Finale auf die Vertreter von Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien. Lena hat die Startnummer 16.

Event Die Federführung bei der Fernsehübertragung hat der NDR. Pro Sieben überträgt das erste, die ARD das zweite Halbfinale sowie das Finale. Neben den 36.000 Zuschauern in der Düsseldorf-Arena werden 120 Millionen an den Bildschirmen in 55 Ländern erwartet.

Countdown Die ARD berichtet von Montag an täglich um 18.50 Uhr über den Song Contest; bei Pro Sieben heißt es dann ebenfalls allabendlich um 22.10 bzw. 23 Uhr "Eurovision total".