Deutschlands beste Musiker stehen nicht gerade Schlange, um ihr Heimatland zu vertreten. Andreas Kümmert aber empörte seine Fans und das Publikum gleichermaßen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Nun stehen Deutschlands beste Musiker bekanntlich nicht gerade Schlange, um ihr Heimatland beim Eurovision Song Contest zu vertreten. Die kommerziell erfolgreichsten Sängerinnen aus dem sehr leichten Fach – Helene Fischer oder Andrea Berg – winken dankend ab, und wahrscheinlich täte es umgekehrt sogar seltsam deplatziert wirken, wenn dort die musikalisch erfolgreichen Bands Blumfeld, Tocotronic oder zum Beispiel The Notwist schroff instrumentierte Miniaturen aufführten, in denen existenzialistisch flehend die Befindlichkeiten in der Bundesrepublik gegeißelt würde. Aber das Drama, das am Donnerstagabend vorexerziert worden ist: das hätte keiner der genannten Musiker leibhaftiger in Zeilen gießen können.

 

Völlig arglos beginnt der Spaß, bei dem Conchita Wurst in einer beliebten sehr großen Mehrzweckarena in Hannovers Süden zur gesungenen Introduktion mit einem herrlich schlichten weißen Abendkleid der Gastgeberin Barbara Schöneberger im unspektakulären halblangen schwarzen Tanzschulballabschlusskleid umgehend so sehr den Schneid abkauft, dass sie sich flugs in die Kalauerei „Stimme wie eine Diva, Bartwuchs wie Bud Spencer“ flüchtet, ehe nach dem Ständchen zu ihrem Geburtstag just an diesem Tag zunächst alles gut ist.

Los geht’s mit dem Duo Mrs. Greenbird, das mit seiner Kostümwahl optisch zigeunert, künstlerisch aber doch sehr im Oberflächlichen bleibt. Alexa Feser indes singt ihr mit vielen „Ohoohoahahas“ geschwängertes Popliedchen gut. Danach die seltsam frisierte Mittelalterband Faun, die mit ihrer dudelsacktönenden Mondlichttanze und -trommelei irgendwie von vornherein auf dem Abstellgleis landet. Blass danach die dünn gesungene Eurodisconummer von Noiz Generation sowie die Sängerin Ann Sophie, die – wie im Vorjahr das Trio Elaiza- den Publikumsvorentscheid gewonnen hat, somit mit einer Wildcard anreist und respektabel singt. Nicht weiter erwähnenswert schließlich die Band Fahrenhaid, ein dürftiger Affenzirkus des Damentrios Laing, sodann der immerhin stimmlich überzeugende joe-cockerige Kapuzenpulliträger Andreas Kümmert.

„Fahr ich jetzt nach Wien?“

Alexa Feser, Ann Sophie und Andreas Kümmert aufgrund ihrer stimmlichen Qualität sowie – tja – Laing stehen bald darauf im Halbfinale. Anschließend ein Blick in den sogenannten Green Room, Alexa „weiß nicht, warum“ sie sich umgezogen hat, Ann Sophie „kann nicht fassen, warum“ sie noch dabei ist, was sie knapp darauf neben Kümmert tatsächlich noch ist.

Andreas Kümmert bringt nochmals seinen Song „Heart of Stone“, gewinnt das Duell gegen Ann Sophie nach der finalen Runde auch, wird gebührend von Barbara Schöneberger gefeiert. Und dann erklärt er, dass er verzichten möchte. Das gab’s noch nie! Entsetzte Blicke allüberall, ratloses Buhgestöhne aus dem Publikum, eine verdutze Moderatorin („Jetzt der Coitus interruptus?“), rätselratende Ungewissheit („Fahr ich jetzt nach Wien?“) auch bei Ann Sophie. Doch ja, sie fährt! Barbara Schöneberger, neidlos sei es zugestanden, rettet die Situation cool. Die Newcomerin singt nochmal ihren Siegertitel „Black Smoke“, dann fällt der Vorhang und alle Fragen bleiben offen.

Kein weißer Rauch aus Hannover. Seltsam. Allerhand Fragen aufwerfend, die der sichtlich derangierte Andreas Kümmert vielleicht sich auch schon längst selbst gestellt hat oder stellen muss. Und eine offene Antwort hinterlassend, die er der Musikerin Ann Sophie noch geben muss, die jetzt mit dem Stigma, umstandshalber Gewinnerin zu sein, nach Wien nicht reisen darf, sondern muss. Zur Tagesordnung überzugehen fällt nach dieser befremdlichen Kehrtwende schwer. Daher: morgen unbedingt mehr dazu!