Im Heimatmuseum Flacht ist seit Sonntag eine Ausstellung zu sehen, die die Rolle der Gesundheitsämter bei der „Erb- und Rassenpflege“ des NS-Regimes beleuchtet.

Weissach - Drei Jahre und sieben Monate durfte Gerda Metzger aus Flacht leben. Am 12. Juli 1943 starb das kleine Mädchen im Städtischen Krankenhaus in Stuttgart. Oder, um es genau zu sagen: Sie wurde dort ermordet. Gerda wurde ein Opfer der Ideologie der Rassenhygiene im Nationalsozialismus. In einer von damals 34 „Kinderfachfabteilungen“ an deutschen Krankenhäusern wurde ihr junges Leben beendet. Der Grund: Das Kleinkind litt an einer leichten geistigen und körperlichen Beeinträchtigung.

 

Gerda ist eines von tausenden Opfern

Das Schicksal von Gerda Metzger steht exemplarisch für Tausende von sogenannten Euthanasie-Opfern, unter ihnen viele Kinder. Eine zentrale Rolle bei der „Erb- und Rassenhygiene“ übernahmen ab 1935 die Gesundheitsämter. Deren Funktion hat das Institut für Geschichte und Ethik in der Medizin an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin nun aufgearbeitet. Die daraus entstandene Ausstellung „Volk Gesundheit Staat“ wird jetzt im Heimatmuseum in Flacht gezeigt, das die erste Station außerhalb des medizinischen Bereichs ist. Bürgermeister Daniel Töpfer sagte bei der Eröffnung: „Wir sind dankbar, dass wir diese Ausstellung bei uns in Flacht haben dürfen.“ Töpfer erinnerte daran, dass das Flachter Heimatmuseum bereits 2018 einen Fahrradkorso von Flacht nach Stuttgart organisiert habe, wo der Euthanasie-Opfer gedacht wurde.

Mediziner arbeiten Geschichte auf

Im Fokus stehen Forschungsergebnisse der Medizinhistoriker über die Gesundheitsämter am Beispiel von Württemberg und Thüringen während der NS-Zeit. Auf großen Tafeln und mit vielen Beispielen wird die Geschichte lebendig gemacht. Die Leiterin des Landesgesundheitsamtes im Regierungspräsidium Stuttgart, Karlin Stark, sagte am Sonntag bei der Eröffnung, dass man sich beim Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes schon lange mit der unrühmlichen Geschichte auseinandersetze. „Die Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes im Nationalsozialismus war brutal und unmenschlich“, sagte sie. „Was nicht passte, wurde einfach eliminiert.“ Auch nach 1945 behielten viele Akteure mehrheitlich ihre Arbeit, vermutlich, weil sie in der Nachkriegszeit gebraucht wurden, so Karlin Stark. Auch damit beschäftigt sich die Ausstellung.

Gerdas Mutter vertraut sich Therapeut an

Doch zurück zu dem kleinen Mädchen aus Flacht, deren Geschichte einer breiteren Öffentlichkeit erst vor etwa acht Jahren bekannt wurde. Denn Gerdas Mutter Berta Metzger hatte ihrem Therapeuten im Altenheim, Matthias-Herbert Enneper aus Friolzheim, das Versprechen abgenommen, über Gerda erst nach ihrem Tod zu sprechen. Der Physiotherapeut Enneper hatte im Radio von der Aktion Stolpersteine für Kinder in Stuttgart gehört, die staatlich verordnet ermordet wurden. Enneper erzählte dem Stuttgarter Arzt Karl-Horst Marquart, der sich schon lange mit dem Kinder-Euthanasie-Programm befasst, was Gerdas Mutter von ihrer Tochter erzählt hatte.

Im Sommer 1943 einfach mitgenommen

Im Sommer 1943 sei plötzlich ein Wagen vor ihrer Haustür gestanden mit einem Mann, der das kleine Kind ohne seine Mutter untersuchte und es mit nach Stuttgart nahm, „in eine Spezialklinik“, wie man ihr sagte, um sie zu behandeln. Die Mutter marschierte 30 Kilometer zu Fuß nach Stuttgart in das städtische Kinderkrankenhaus in der Türlenstraße, wo sie das Mädchen in einem völlig apathischen Zustand vorfand. Am nächsten Tag informierte man sie, dass es an einer „ansteckenden Krankheit“ gestorben sei. Gerda war eines von 46 Kindern, davon 33 aus Stuttgart und 13 aus anderen württembergischen Regionen, die in diesem Krankenhaus ermordet wurden, sagte Karl-Horst Marquart, der viele Jahre beim Stuttgarter Gesundheitsamt arbeitete und Mitbegründer der Stolperstein-Initiativen ist.

Stolperstein in Stuttgart

Für das NS-Opfer Gerda Metzger aus Flacht gibt es seit 2013 einen Stolperstein in der Türlenstraße in Stuttgart. In Flacht gibt es keinen. Berta Metzger hat ihrem Therapeuten Enneper auch erzählt, dass sie nach dem Krieg mit niemandem in Flacht über die Vorgänge habe sprechen können, berichtet der Friolzheimer. Wenn sie es versucht habe, habe es geheißen, sie solle nicht mehr darüber reden, das sei jetzt vorbei. Barbara Hornberger sagte, sie wisse von einer Familie am Ort, von der auch ein Mitglied Opfer der Euthanasie wurde, die es strikt ablehne, darüber zu sprechen. Anders Friedrich Buhlrich aus Delmenhorst, der den rund 100 Besuchern der Ausstellungseröffnung eindrucksvoll die Geschichte seiner drei ermordeten Geschwister erzählte.