Die Verbitterung nach der synodalen Ablehnung der Homo-Ehe ist bei vielen Protestanten groß. Manche wollen sich auch über das Kirchenrecht hinwegsetzen. In diesem Fall will Stadtdekan Sören Schwesig nicht mit dem „eisernen Besen kehren“.

Stuttgart - Nach der Synode ist vor der Synode. Das Kirchenparlament hat sich zuletzt mit knapper Mehrheit gegen eine Öffnung der Homo-Ehe ausgesprochen, aber ein Ende der Diskussion ist damit nicht erreicht. Angesehene Theologen, wie etwa der emeritierte Professor Siegfried Zimmer, sind „tief enttäuscht“. Zimmer sieht in der Entscheidung eine „gewisse Tragik“. Auch Prälatin Gabriele Arnold spürt eine „Traurigkeit“. Die Reaktionen in Stuttgarter Gemeinden und der Region sind ähnlich. Die Debatten werden teilweise schärfer denn je geführt. Ein offener Brief von Pfarrer Moritz Twele, Pfarrerin Friederike Strauß und dem gesamten Kirchengemeinderat der Christus-Kirchengemeinde in Böblingen fasst die Stimmungslage in und rund um Stuttgart gut zusammen.

 

„Unsere Betroffenheit und Hilflosigkeit ist groß“, heißt es da: „Wir erleben das Abstimmungsergebnis der Landessynode zudem als ein fatales Signal für unsere Gesellschaft, das dazu führen wird, dass weitere Menschen der Kirche den Rücken zukehren werden.“ Die Unterzeichner befürchten zudem, „dass auch junge Theologinnen und Theologen unserer Landeskirche verlassen werden. Wir wissen um Theologiestudierende und um Vikarinnen und Vikare, die sich angesichts der aktuellen Beschlussfassung ernsthaft die Frage stellen, ob sie in unserer Landeskirche arbeiten wollen.“

Aktivistin gibt der Landeskirche „Chance auf Bewährung“

Auch viele Kirchenmitglieder überlegen nun, ob diese Landeskirche noch ihre Heimat sein kann. Dazu zählt Maike Pfuderer, Bezirksbeirätin in Stuttgart-Mitte und Aktivistin in der schwul-lesbischen Szene. „Zunächst dachte ich an den sofortigen Austritt aus der Kirche, habe dann aber beschlossen, dass das Wegrennen unsere Kirche denen überlässt, die durch Missdeutung der Bibel weiterhin diskriminieren wollen.“ Sie und andere geben der Landeskirche die „Chance auf Bewährung bis zum Jahr 2020, wenn sich die am ersten Advent 2019 zu wählende Landessynode gefunden hat und arbeitsfähig ist“. Bis dahin – und zur nächsten Kirchenwahl im Jahr 2019 – will sie mit anderen nach dem Motto „Auftreten statt Austreten“ kirchenpolitisch aktiv werden und neue Bündnisse schmieden: „Eine offene Kirche gibt es nicht auf dem Sofa, dafür müssen wir arbeiten und dann auch unser Wahlrecht ausüben“, so Pfuderer.

Der evangelische Stadtdekan Søren Schwesig hat in seiner beruflichen Zeit „noch nie so eine bitteren Tag“, wie den der Abstimmung erlebt. Selbst Vertreter der Gruppe „Lebendige Gemeinde“ berichten über eine gewisse Schockstarre in den eigenen Reihen. Die frühere Pfarrerin der pietistischen Ludwig-Hofacker-Gemeinde und heutige Leiterin des Bibelmuseums, Franziska Stocker-Schwarz, spricht von einer „echten Betroffenheit“. Gleichzeitig warnt sie davor, den Dialog abzubrechen: „Wir müssen mit einander im Gespräch bleiben und uns gegenseitig aushalten.“

Pfarrern, die Votum ignorieren, droht ein Disziplinarverfahren

Auch für Schwesig wäre Anarchie der falsche Weg: „Es wird eines Tages eine andere Entscheidung kommen. Auf diesem Weg dürfen wir nicht unsere Einheit verlieren.“ Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Wortes Synode – gemeinsamer Weg: „Anders können wir nicht gemeinsam Kirche sein.“ Ungeachtet dieser Mahnung wird in Pfarrer-Kreisen schon jetzt über die „katholische Lösung“ gesprochen. Bedeutet: Was von oben kommt, wird von der Basis einfach ignoriert. Der Tenor: Wir segnen homosexuelle Menschen öffentlich, egal was die Kirchenleitung sagt. Solchen Pfarrern droht ein Disziplinarverfahren. Doch soweit soll es in Stuttgart nie kommen. „Es nicht die Zeit, mit dem eisernen Besen zu kehren“, so der Stadtdekan. Statt einer „generellen Lösung“ würde Schwesig das Gespräch mit dem jeweiligen Kollegen suchen, um zu fragen: „Wie kann die Segnung aussehen, wenn eine Anfrage dazu kommt.“

Einen Kontrapunkt zu allen Konflikten und Debatten stellt der Stuttgarter Jesustreff dar. „Bei uns ist das Ganze kein großes Thema“, sagt Jesustreff-Initiator Tobi Wörner, „das mag daran liegen, dass bei uns Vielfalt und theologische Weite gelebt wird.“ Weiter sagt er: „Ich will ein Lernender bleiben. Denn Glaube ist dynamisch. Glaube ist wachstumsfähig. Deshalb rate ich es meinem Glauben immer wieder: Halte unterschiedliche theologische Sichtweisen aus.“ Wie sich das in der Praxis auswirkt, erklärt Wörner mithilfe einer Begebenheit, die sich vor drei Wochen ereignet haben soll: „Nach unserem Gottesdienst kam ein junger Mann auf mich zu und sagte: ,Tobi, ich bin schwul und ich bin in meinem Leben schon aus drei Gemeinden geflogen. Hier ist das erste Mal, dass ich merke, dass ich mich zu Hause fühle.’“