Im Luther-Jahr verzeichnet die evangelische Landeskirche auch in Stuttgart steigendes Interesse an ihren Angeboten. Die Kirche erhofft sich eine Eintrittswelle. Aber auch die Ökumene profitiert vom neu erwachten Interesse am Glauben.

Stuttgart - Wer sich profilieren will, grenzt sich automatisch ab. Wenn aber Abgrenzung auf Kosten von anderen geht, drohen Konflikte. Und die galt es im Jahr des Reformationsjubiläums um jeden Preis zu vermeiden. „Wir wollten nicht auf Kosten der Katholiken feiern“, sagt Kirchenrat Dan Peter. Damit ist er auf einer Linie mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Auch der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm ist froh, dass es gelungen sei, das Reformationsgedenkjahr „ohne nationalistische und anti-katholische Stoßrichtung“ gefeiert zu haben.

 

Wohin man bei den Protestanten auch hört: die meisten halten das 500-jährige Jubiläum für gelungen. Tolle Feste, tolle Impulse, wichtige Selbstbestätigung und Findung. Jedermann sei im zurückliegenden Jahr vom Geiste Martin Luthers und der evangelischen Identität berührt worden. „Ich bin glücklich, dass die Themen des Jubiläums in der Fläche der Landeskirche angekommen sind“, sagt Christiane Kohler-Weiß, die Beauftragte für das Reformationsjubiläum: „Es war beeindruckend zu sehen, wie durch das Jubiläum in den Gemeinden auch der Mut zu neuen Formaten entwickelt wurde. Überdies hätten die Veranstaltungen zur 500-Jahr-Feiern „einen Bildungsschub ausgelöst“. Mehr Menschen sei nun klar, „was es heißt, evangelisch zu sein“.

Hoffnung auf neues Hoch bei Wiedereintritten

Messbar sei das jedoch nicht. Noch nicht. Im Dezember erwartet Dan Peter die Statistik zu (Wieder-)Eintritten oder Konvertiten. Insgeheim rechnet man jedoch, die Zahl (1800) der Eintritte aus dem vergangenen Jahr zu übertreffen. Anlass zum Optimismus gibt Sabine Löw. Die Pfarrerin sitzt am Wiedereintrittstelefon der Landeskirche und berichtet Erstaunliches: „Ich habe das Gefühl, nur noch am Telefon zu sitzen. Ich komme an manchen Tagen gar nicht mehr hinterher.“ Gefühlsmäßig würde sie sagen, die glühenden Drähte hängen auch mit dem Reformationsjubiläum zusammen: „Durch die enorme mediale Präsenz kommen viele zu ihren evangelischen Wurzeln zurück oder finden neu zu uns.“ Manche kehrten esoterischen Angeboten den Rücken, manche auch dem Katholizismus, so Löw: „In vielen Gesprächen werden wir als die fortschrittlichere Kirche bezeichnet.“ Themen seien der Umgang mit Frauen, der fehlende Zölibat oder der Punkt, „dass die evangelische Kirche weniger Skandale produzieren“.

Auch Pfarrerin Löw ist bemüht, kein falsches Bild abzugeben. Sie mag dem ökumenischen Rückenwind des Reformationsjubiläums nicht die Kraft rauben. Auch sie betont, wie viele in ihrer Kirche, eher die christlichen Gemeinsamkeiten anstatt das Trennende. Dass es sich dabei nicht nur um hohle Worte handelt, zeigen die Bad Cannstatter Christen. Dort haben drei evangelische Gemeinden mit zwei katholischen eine „Rahmenvereinbarung der ökumenischen Partnerschaft“ getroffen und werden diese symbolträchtig zum 500. Reformationsgedenktag unterzeichnen. Im Vorwort steht: „Die Vereinbarung will deutlich machen, dass wir an der Bitte und dem Auftrag Jesu, dass alle eins seien, jetzt und in Zukunft arbeiten.“ Der Bad Cannstatter Dekan Eckart Schultz-Berg: „Wir wollen zwar als zwei Konfessionen auftreten, aber als Geschwister enger zusammenarbeiten. Mit dieser Vereinbarung wollen wir einen Pflock einrammen, dass wir nicht mehr hinter den Ist-Zustand zurück wollen.“

Ökumenische Kontakte zwischen den beiden christlichen Kirchen intensiviert

Es scheint also, als habe das Reformationsjubiläum die Ökumene vorangebracht. Bestätigende Worte findet dazu jedenfalls der katholische Stadtdekan Christian Hermes: „In jedem Fall. Schon die Frage, ob es ein Jubelfest oder auch ein ernstes Gedenken an die ja wohl nicht zu bejubelnde Spaltung und Trennung wird, bringt uns in interessante Gespräch.“ Aber auch die Frage, was Reformation heute bedeute, wenn man Luther und die Reformation nicht ideologisch instrumentalisieren wolle, habe den Prozess der Ökumene in der Stadt beflügelt: „Es gab und gibt in diesem Jahr eine Intensivierung der ökumenischen Kontakte.“ Aber auch nach dem Fest bleibt ein Auftrag: „Nämlich, dass die Kirche und die Kirchen semper reformanda, immer zu reformieren, bleibt, und dass wir nicht nachlassen dürfen, das Trennende zu überwinden.“ In diesem Sinne scheint der Spagat der Protestanten nach fast einem Jahr der Feierlichkeiten gelungen zu sein, wie Christiane Kohler-Weiß es auf den Punkt bringt: „Wir haben Profil gezeigt und wir haben es geschafft, ohne die Schwierigkeiten der Trennung oder der Verletzungen zu verschweigen.“