Im vergangenen Jahr haben Beschwerden über Glockengeläut zugenommen. Die Glocken der Martinskirche in Stuttgart-Möhringen sollen nun leiser werden. Das kostet Geld.
Möhringen - Das zu laute Kirchengeläut soll ein Grund dafür gewesen sein, warum Pfarrer Stefan Wittig sich in der Pfarrwohnung in Oberaichen nicht wohlfühlte und die Stelle schließlich ausschlug. Der Dekan Gunther Seibold kommentierte das auf Nachfrage schriftlich mit den Worten: „Den einen tut das in der Seele gut, andere werden in ihrer Ruhe gestört.“ In Riedenberg reduzierte die evangelische Gemeinde im vergangenen Jahr die Intensität des Stundenschlags der Glocken in der Emmauskirche und reagierte so auf die Beschwerden eines Anwohners.
Die beiden Beispiele zeigen: Beim Thema Kirchenglocken gibt es immer wieder mal Misstöne. So war es zuletzt auch in Stuttgart-Möhringen. Um den Jahreswechsel war der Glockenmotor im Turm der Martinskirche kaputtgegangen. Die Bremse war defekt, eine der Glocken läutet in der Folge länger, als sie sollte. Eine Fachfirma reparierte den Schaden, doch danach war der Stundenschlag deutlich lauter als vorher. Das hatte technische Gründe und war so nicht gewollt. Die Fachleute mussten nachjustieren, was inzwischen geschehen ist. Doch in der Zwischenzeit gab es einige Beschwerden von Anwohnern des Oberdorfplatzes. Der Kirchengemeinderat hat das zum Anlass genommen, um sich noch einmal genauer mit dem Thema Kirchenglocken zu beschäftigen.
Nachts schlägt die Kirchturmuhr bereits leiser
Mittlerweile steht fest, dass in den Fenstern des Kirchturms schalldämmende Elemente aus Holz eingebaut werden sollen. „Diese bewirken, dass die Glocken vor allem in der direkten Umgebung leiser und weicher klingen“, sagt Friedemann Kammerer, der Vorsitzende des Kirchengemeinderats. Zudem sollen die Spitzbögen geschlossen werden. Bis es so weit ist, dauert es aber noch ein bisschen. Denn die Kosten sind nicht unerheblich. „Wir müssen zunächst vergleichbare Angebote von Fachfirmen einholen und können erst danach den Auftrag vergeben“, sagt Kammerer.
Etwas leiser ist es aber bereits. Denn der Kirchengemeinderat hat veranlasst, dass das Schlagen zwischen 22 und 6 Uhr, bei dem die Lautstärke ohnehin bereits gemindert ist, vom Doppelschlag auf ein einfaches Schlagen reduziert wird.
Darüber hinaus wird sich eine Arbeitsgruppe des Kirchengemeinderats mit der Läuteordnung beschäftigen. „Das stand sowieso an. Es gilt abzuwägen und den unterschiedlichen Wünschen vieler Möhringer Bürgerinnen und Bürger und Kirchengemeindemitgliedern gerecht zu werden“, sagt Kammerer. In ihrer Läuteordnung legt eine Gemeinde fest, welche Kirchenglocken zu welchem Anlass gemeinsam oder einzeln erklingen. Die evangelische Kirchengemeinde Möhringen und Fasanenhof hat das Schiedläuten, also das Läuten für ein verstorbenes Gemeindemitglied, bereits abgeschafft. Denn die Gemeinde sei flächenmäßig sehr groß und längst kenne nicht mehr jeder jeden. „Der persönliche Bezug fehlt“, sagt Kammerer.
Die Beschwerden über zu laute Kirchenglocken nehmen zu
Wie laut Glocken schlagen dürfen, ist gesetzlich geregelt. Das liturgisches Glockenläuten allerdings fällt unter das Grundrecht der Religionsfreiheit. Es stelle keine „erhebliche Belästigung, sondern eine zumutbare sozialadäquate Einwirkung dar“, heißt es dazu in einem Mitteilungsblatt der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg. Und weiter steht dort: „Beim so genannten Uhrschlag sind hingegen die Maßstäbe der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm anzulegen.“ Dort stehen Richtwerte für unterschiedliche Bereiche. So darf der Stundenschlag in einem allgemeinen Wohngebiet tagsüber nicht lauter als 55 Dezibel und 40 Dezibel nachts sein. Bei einem Dorf-, Kern- und Mischgebiet sind es 60 Dezibel am Tag und 45 in der Nacht.
Zuständig für die Bewertung ist das Amt für Umweltschutz. Die Zahl der Beschwerden hat zugenommen. In der Regel gingen beim Stuttgarter Umweltamt zwei bis drei Lärmbeschwerden pro Jahr ein. 2020 waren es jedoch fünf. Das sagte der städtische Pressesprecher Martin Thronberens im Dezember 2020 gegenüber unserer Zeitung.
Der Grund könnte Corona sein, vermutet Friedemann Kammerer. Viele Menschen seien im Homeoffice, die Kinder im Homeschooling. „Das sind sicher Stressfaktoren, und vielleicht reagiert man dann sensibler“, sagt Kammerer. Außerdem sind die Menschen wegen der Pandemie viel häufiger zu Hause und nehmen allein dadurch ihr Umfeld bewusster wahr. Kammerer ist es wichtig, dass seine Gemeinde alle gesetzlichen Vorgaben einhält. Doch hörbar sollen die Glocken weiterhin sein. „Wir haben sehr schöne Glocken, und es wäre schade, sie nicht zu läuten. Außerdem ist das ein Lebenszeichen der Kirche und der Gemeinde“, sagt er.