Evangelischer Kirchentag Es geht um Vertrauen – und um Brisantes

Sitzen auf Pappkisten: 100 000 Besucher werden beim Kirchentag erwartet. Foto: dpa

Zum 37. Evangelischen Kirchentag werden mehr als 100 000 Teilnehmer erwartet. Auch viele Prominente wollen nach Dortmund kommen.

Dortmund - In den kommenden Tagen werden im Dortmunder Fußballstadion eher ungewöhnliche Töne zu hören sein: Choräle und Predigten werden dort erklingen statt Fangesang und Sprechchöre. Im Tempel der Borussia-Anhänger werden zunächst einmal Posaunisten aus aller Welt proben, am Sonntag versammeln sich dort dann Zehntausende Gläubige zum Abschlussgottesdienst des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags. Bei dem fünftägigen Christentreffen, das an diesem Mittwoch eröffnet wird, stehen mehr als 2000 Veranstaltungen auf dem Programm. Vielerorts künden bereits die weiß-grünen Fahnen von dem Glaubensfest, das diesmal unter der Losung „Was für ein Vertrauen“ steht.

 

Das Zitat aus dem Alten Testament trifft genau den Nerv der Zeit. In der Kriegsgeschichte aus dem 8. Jahrhundert vor Christus wird von einer der unzähligen Belagerungen Jerusalems berichtet. Nach vielen Eroberungen kleinerer Städte steht das mächtige assyrische Heer vor den Toren der Stadt, und die Aussichten für die Belagerten sind schlecht. Dennoch vertraut der Herrscher Hiskia auf seinen Gott – und Jerusalem wird auf wundersame Weise verschont.

Populistische Politiker, skrupellose Wirtschaftsbosse

In den vergangenen Jahren ist viel Vertrauen verspielt worden – durch populistische Politiker, skrupellose Wirtschaftsbosse, egoistische Individuen. Globalisierung und Digitalisierung und die gewaltigen Umbrüche, die damit einhergehen, verunsichern viele und bedrohen zunehmend den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Der Kirchentag, der sich als Ort des Betens, Diskutierens und Feierns versteht, greift diese Themen auf.

Neben Kirchenleuten nutzen viele Politiker sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur die Gelegenheit, mit Besuchern ins Gespräch zu kommen und sich möglicherweise einmal von einer anderen Seite zu präsentieren. Mit dabei ist Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sie ist ein regelmäßiger Gast. Die Pfarrerstochter wird mit Ellen Johnson-Sirleaf, der ehemaligen Präsidentin von Liberia, über Vertrauen als Grundlage der internationalen Politik diskutieren. Auch andere Kabinettsmitglieder und Vertreter der Opposition fahren an die Ruhr. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil spricht über den Wert der Arbeit, Umweltministerin Svenja Schulze über die Energiewende, Familienministerin Franziska Giffey (alle SPD) über Gerechtigkeit 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über Flüchtlinge und Integration.

Kretschmann gegen Söder

Aus Baden-Württemberg ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eingeladen, der mit seinem bayerischen Amtskollegen Markus Söder (CSU) darüber streiten könnte, was noch konservativ und was schon rechtspopulistisch ist. Mit seinem 2018 erschienenen Buch „Worauf wir uns verlassen wollen“ hat der Katholik Kretschmann bereits kräftig für eine „neue Idee des Konservativen“ geworben.

Nicht zu Diskussionen eingeladen sind diesmal hingegen offizielle Vertreter der AfD. Mehrere Landtagsfraktionen warfen der Kirche deshalb kürzlich vor, sie biedere sich bei den Regierungsparteien an und grenze die AfD aus. Es sei „nicht gut, wenn sich Kirchenfunktionäre mit dem Zeitgeist ins Bett legen“, erklärte etwa der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke.

Kein Forum für die AfD

Das sieht Kirchentagspräsident Hans Leyendecker ganz anders: „Hetze hat auf unseren Podien nichts zu suchen.“ Die AfD habe sich weiter radikalisiert. Heute marschierten ihre Anhänger mit Neonazis und Identitären auf und stützten Parteifreunde, die heimlich oder offen Rassisten seien. Diesen wolle man kein Forum bieten. Mit Sympathisanten werde man aber gerne reden. „Der Kirchentag ist entstanden als Reaktion auf das Versagen der Kirchen im Faschismus.“ Beim letzten Kirchentag 2017 in Berlin hatte Bischof Markus Dröge mit der damaligen Vorsitzenden der Christen in der AfD, Anette Schultner, debattiert. Diese ist inzwischen ausgetreten, weil aus ihrer Sicht zu wenige der AfD-Funktionäre den Extremisten in der Partei Einhalt gebieten.

Aus unserem Plus-Angebot: Interview mit dem Kirchentagspräsident Hans Leyendecker

Themen wie Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder Stimmungsmache gegen Muslime nehmen in Dortmund großen Raum ein. Ebenso wie der Klimawandel. Luisa Neubauer, Mitbegründerin der Klimaschutzinitiative Fridays for Future in Deutschland, wird den Besuchern vermutlich einige Hausaufgaben mit auf den Weg geben.

Per Straßenbahn von Karlsruhe nach Dortmund

Manche Initiativen haben das Problem bereits selbst angepackt. Eine Straßenbahn auf den Schienen der Deutschen Bahn bringt Kirchentagsbesucher von Karlsruhe nach Dortmund und zurück – eine Initiative der Evangelischen Studentengemeinde in Karlsruhe. Der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh wird darüber sprechen, was die Gemeinden tun können, um auch Menschen zu erreichen, die nicht zu ihrem Milieu zählen.

Sein württembergischer Kollege Frank Otfried July, vor vier Jahren Gastgeber in Stuttgart, wird diesmal nicht beim Kirchentag sein. Er habe eine Einladung nach Taizé angenommen, sagt eine Sprecherin. Dafür präsentieren Stuttgarts Stadtdekan Søren Schwesig und der Ulmer Münster-Pfarrer Peter Schaal-Ahlers als Die Vorletzten ihr neues Kabarettprogramm „Eine kleine Sehnsucht – von kleinen und großen Träumen“.

Zu diesen zählt auch das gemeinsame Abendmahl von Katholiken und Protestanten, dem bisher die katholische Lehre entgegensteht. Vielleicht klappt es ja 2021 – beim 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt.

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