Ein Sensationsfund aus Baden-Württemberg schließt eine Lücke im Stammbaum der Schildkröten: Forscher am Naturkundemuseum Stuttgart präsentieren ein Missing Link, das sie in jahrelanger Kleinarbeit zusammengesetzt haben. Es zeigt, wie sich der Panzer entwickelte.

Stuttgart - Es ist schon bemerkenswert, was man aus einer 240 Millionen Jahre alten Knochenansammlung alles herausfinden kann. Oder besser gesagt: die Erkenntnisse aus 18 unterschiedlichen Funden so zusammenführen kann, dass eine biologische Sensation daraus wird. Pappochelys heißt sie, und sie ist die bisher älteste Schildkröte der Welt. Rekonstruiert wurde das Tier aus Funden, die seit 2001 in Vellberg bei Schwäbisch Hall gemacht wurden.

 

Dort, am Boden eines etwa fünf Kilometer langen Sees, lagerten sich vor etwa 240 Millionen Jahren die Überreste dieser Urschildkröten ab. Das Knochenmaterial der Fossilien ist noch erhalten, in den Hohlräumen haben sich Sedimente abgelagert. Nach sorgfältiger Präparation, die mehrere Wochen dauert, lassen sich sehr genaue Details an den Knochen erkennen, etwa Rillen oder feine Knötchen. Anschließend erfordert es viel Erfahrung, die Knochen richtig zusammenzupuzzeln, so dass eine zeichnerische Rekonstruktion des gesamten Tieres möglich wird. Der Paläontologe Rainer Schoch vom Naturkundemuseum in Stuttgart und sein Kollege Hans-Dieter Sues vom amerikanischen Nationalen Naturkundemuseum in Washington haben das in den vergangenen Jahren getan und ihre Erkenntnisse jetzt – wie berichtet im Fachblatt „Nature“ veröffentlicht. Zudem haben sie ihre Originalfunde im Naturkundemuseum der Öffentlichkeit präsentiert.

Besonders bemerkenswert an Pappochelys ist, dass dieses Tier zwar noch keinen Panzer hat, aber dazu beitragen kann, die Entstehung des Schildkrötenpanzers zu erklären. Dies ist für die Evolutionsbiologen nämlich ähnlich schwierig wie die Erklärung, wie das Auge entstanden ist oder die Vögel fliegen lernten. Die Bauchrippen dieser Urschildkröte sind schwer gebaut, so dass sie bei einer möglichen Lebensweise im Wasser den Auftrieb des Tieres verminderten. An den Fossilien ist bereits zu erkennen, dass die Bauchrippen dabei sind, mit Teilen des Schultergürtels zu einer Platte zu verschmelzen. In der Folgezeit vereinen sie sich dann zu einem Bauchpanzer, wie eine in China gefundene Urschildkröte namens Odontochelys zeigt.

Dem Forscher kamen die Knochen bekannt vor

Dieses 220 Millionen Jahre alte Fossil galt bisher als ältester Nachweis panzertragender Urschildkröten. Es hatte zwar einen Bauchpanzer, aber der Rücken bestand „nur“ aus verbreiterten Rippen. Auf der anderen Seite der Zeitskala hatte auch ein 260 Millionen Jahre alter, in Südafrika gefundener Schildkröten-Vorgänger namens Eunotosaurus bereits verbreiterte Rippen – also Vorläufer des Rückenpanzers. Das Vellberger Fossil füllt also eine Fundlücke: Als sogenanntes Missing Link markiert es den Übergang zwischen der saurierartigen Echse Eunotosaurus und der am Bauch gepanzerten Schildkröte Odontochelys.

Als Rainer Schoch 2009 die Knochen der chinesischen Urschildkröte im Original begutachtete, erinnerte er sich, dass er ganz ähnliche Knochen schon einmal gesehen hatte. Er wusste zunächst nur nicht mehr wo – und auch eine längere Suche in den Stuttgarter Fossilienlagern half ihm angesichts der dortigen großen Knochenfülle zunächst nicht weiter. Doch irgendwann kam die Erinnerung: Es waren die Vellberger Knochen. „Da habe ich doch selbst gegraben.“ Und so wurde wieder intensiver an den dortigen Funden des etwa 20 Zentimeter langen echsenartigen Tieres geforscht. Neben den Panzern wurden dabei auch andere Übergangselemente erkannt, beispielsweise im Bau des Schädels.

Auch nach der „Nature“-Veröffentlichung bieten die Fossilien viele Ansätze für weitere Forschungsarbeiten: „Wir haben noch ein großes Puzzle vor uns“, betont Schoch, zumal die Funde in Vellberg eine sehr artenreiche Tierwelt dokumentieren. Gleichwohl können die Stuttgarter Paläontologen erst einmal den Erfolg genießen, die derzeit ältesten Schildkrötenknochen in ihrem Inventar zu haben. Für Johanna Eder, die Chefin des Naturkundemuseums, zeigt dies, dass „unser Museum nicht nur Ausstellungen macht, sondern auch exzellente Wissenschaft und Forschung“.