Der Anthropologe Michael Tomasello erklärt in Tübingen, was den Menschen von den Affen unterscheidet – mit vielen Beispielen aus seiner Forschung.

Stuttgart - Der kleine Junge ist zutiefst entrüstet: „Der Elefant schummelt“, ruft er immer wieder. Gemeint ist eine von einem Erwachsenen bediente Handpuppe, die ein Spiel mit ihm spielt – und tatsächlich willentlich gegen vorher vereinbarte Spielregeln verstößt. Für Michael Tomasello ist dies ein klarer Beleg, wie wichtig bereits für kleine Kindern soziale Normen sind – deren Einhaltung sie dann auch vehement einfordern.

 

Der in Florida geborene Anthropologe und Verhaltensforscher leitet am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie die Abteilung für vergleichende und Entwicklungspsychologie. Er ist zur Unseld Lecture am Forum Scientiarum an die Uni Tübingen gekommen, um über seine Experimente und Erkenntnisse zum diesjährigen Thema „Ursprung der menschlichen Kooperation“ zu berichten. Diese jährliche Veranstaltungsreihe will einen Dialog zwischen den Wissenschaften und hier vor allem zwischen Natur- und Geisteswissenschaften anstoßen.

Soziale Zusammenarbeit und Kooperation sind für Michael Tomasello zentrale Kennzeichen menschlicher Kultur. Das macht er bei seinem Vortrag im prall gefüllten Audimax in Tübingen immer wieder deutlich. Und er belegt dies mit zahlreichen Beispielen aus seiner langjährigen Forschung, bei der es um soziales Erkennen und Lernen sowie um Kommunikation und Sprache geht. Schwerpunkt dabei ist der Übergang von der biologischen zur kulturellen Evolution – für Tomasello der entscheidende Punkt für die Sonderstellung des Menschen.

Vergleich zwischen Mensch und Affe

So verglichen er und seine Kollegen zum Beispiel die physische wie auch soziale Kognition von 48 Kindern zwischen zwei und vier Jahren mit der von 44 gleich alten Schimpansen und Bonobos, also Zwergschimpansen. Das Ergebnis: im körperlichen Bereich waren die Leistungen der zweijährigen Menschen und Affen vergleichbar. Doch dann entwickelten sich die Menschenkinder deutlich schneller als die Menschenaffen. Und bei den sozialen Leistungen waren die Kinder stets deutlich überlegen und entwickelten sich auch kräftig in ihren sozialen Kompetenzen weiter – während die Affen kaum noch dazu lernten.

In zahlreichen weiteren Experimenten demonstrierte Tomasello dann die seiner Meinung nach deutliche Überlegenheit von Menschenkindern in den Bereichen soziales Lernen, Kommunikation und Zusammenarbeit. Da legen zum Beispiel zwei Mädchen ihren Streit um Gummibärchen, die sie zur Belohnung bekommen haben, mit einer gerechten Teilung bei – dank eines ausgeprägten Hangs zur Fairness. Auch wird hartnäckig bei einem Experiment zusammengearbeitet, bis das Problem gelöst und jeder seine Belohnung bekommen hat – ein Vorhaben, das bei Schimpansen so kaum funktioniert, weil hier jeder auf seinen Vorteil bedacht ist.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, dass bereits ein 18 Monate altes Kind Sinn und Wesen von Zusammenarbeit versteht, ist ein Experiment mit Zeitschriftenstapeln. Der Vater trägt einen Stapel Magazine ins Zimmer und verstaut es in einem offenen Schrank, den er danach schließt. Nun kommt er mit einem weiteren Stapel an – und hat keine Hand frei, um die Schranktür zu öffnen. Bereitwillig übernimmt der Junior diese Aufgabe und zeigt auch noch, wohin der Stapel muss.

Für Tomasello ist dies ein wichtiger Vorgang, der in drei Schritten abläuft: Zunächst hat das Kind keine Ahnung, dann kapiert es, was vor sich geht – und bietet im dritten Schritt echte Kooperation an. Die Kinder reflektieren also bereits früh kollaborative Rollen – was Schimpansen in dieser Form nicht tun.

Dieses Wir-Gefühl und die enge Zusammenarbeit sind somit kennzeichnend für die menschliche Evolution. Und für das Gerechtigkeitsgefühl, dass man auch etwas dafür getan haben muss, wenn man an einer gemeinsamen Sache teilhaben möchte. Daher sind Trittbrettfahrer bereits bei Kindern unerwünscht – im Gegensatz zu Schimpansen, wo sie geduldet werden.

Tomasellos Schlussfolgerungen aus all diesen Experimenten: Kinder sind in einer Art und Weise an Kooperationen angepasst, wie es bei keinem Menschenaffen vorkommt. Dies wiederum ist fundamental verantwortlich für rein menschliche Prozesse wie Kognition, Kommunikation, Kultur und Moral.