Thomas Vilgis hat was übers Essen zu erzählen. Vergangene Woche sprach er im Wohnstift Augustinum in Riedenberg über die Evolution des Essverhaltens und über Wissenswertes zur schwäbischen Küche.

Riedenberg - Er hat nicht nur gute Nachrichten mitgebracht. „Es ist viel verloren gegangen, wir haben vergessen, Hunger zu haben“, sagt der Professor Thomas Vilgis. „Wir beschäftigen uns nicht mehr mit dem, was wir uns einverleiben.“ Daran ist sicherlich etwas Wahres dran, doch es gilt nicht für den vergangenen Donnerstag. Da sprach Vilgis im Wohnstift Augustinum über die schwäbische Kochkultur und die Evolution der Essgewohnheiten.

 

Die schwäbische Küche gilt seit jeher als sparsam. Und das hat auch einen guten Grund, wie Vilgis sagte. „Sie ist eine Folge der Überlebenssicherung in kargen Zeiten und in kargen Regionen wie der schwäbischen Alb.“ Für Vilgis ist Kochen nicht nur der Vorgang, bei dem in Töpfen gerührt wird. Der Diplom-Physiker am Max-Planck-Institut interessiert sich viel tief greifender fürs Thema. So sprach er am Donnerstag zum Beispiel auch über die chemischen Prozesse beim Fermentieren und physikalische Veränderungen beim Kochen.

In Urzeiten aßen Menschen den Mageninhalt von Tieren

Der Mensch hat nicht immer gekocht. Das habe erst in der Urzeit begonnen, nachdem das Feuer entdeckt worden war. „Davor wurde roh gegessen, zum Beispiel Beeren, verfaulte Reste sowie der Mageninhalt von gejagten, zurückgelassenen Tieren“, erzählte er. Das Feuer wandelte das Essverhalten. „Als unsere Urvorfahren das Feuer entdeckten, entwickelte sich rund um die Feuerstelle herum die Kochkultur“, sagte Vilgis. Das sei gleichzeitig der Übergang vom Natur- zum Kulturmenschen gewesen. Es wurde fortan gebraten, geräuchert und gesotten, keimfrei gemacht.

Kochen hat stets mit Essen zu tun – und Essen mit Geschmack. Zu den wichtigsten Geschmacksrichtungen gehört umami. „Umami ist ein tiefer, herzhafter Geschmack“, erklärte er. Im Schwäbischen schmecken beispielsweise saure Kutteln, saure Nierchen und der Sauerbraten umami. Für dieses Geschmackserlebnis köchelt in Italien die Bolognese stundenlang im Topf, und der Parmesan reift mindestens ein bis zwei Jahre im Regal. „Was tun wir, wenn wir essen?“, fragte Vilgis in die Runde. „Wir setzen unsere Sinne ein, um unsere Lebensmittel zu erleben, zu erfahren. Wir hören, schmecken, fühlen, sehen, riechen unser Nahrung.“ Der Geschmacksinn steuert die Ernährung.

Es kam auf den Tisch, was das Huhn hergab

„Früher wurde alles gegessen, was das Huhn hergab, es wurden Köstlichkeiten aus Hühnerhälsen, Kopf, Kamm und Kragen mit viel umami gekocht“, sagte Vilgis. „Man muss ein Herz für Hähnchenteile haben. Heute essen wir nur noch die Brust, dafür werden die Tiere geschlachtet.“

Kurz ging es noch um Fertignahrung. Für ihn ein Verlust an Lebensqualität und Geschmack. „Wir können viel mehr, wir können unser Wissen, was wir haben, wiederbeleben und nachhaltig kochen“, sagte er. „Die Vielfältigkeit auf unserem Essteller hat eine höhere Sättigung als die Pizza, die schnell satt macht. Nach zwei Stunden haben wir wieder Hunger, weil unser Geschmackszentrum im Gehirn nicht angeregt wurde.“ Der Mensch hat eben vergessen, hungrig zu sein. Dafür empfahl Vilgis: „Raus auf den Markt zum Schnuppern, zum Unterschiede erkennen.“