Eine Schule fürs Leben.
Meine Jobs während des Studiums haben mir viel gebracht. Ich lieferte als Taxifahrer türmeweise Pizza ins Dreifarbenhaus und lernte, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden. Einmal habe ich eine vermeintlich vermögende Dame nach dem Opernball zum Killesberg gefahren. Kurz darauf rief mich die Taxizentrale an, weil sie ihre Handtasche vergessen hatte. Ich solle sie öffnen und nach ihrer Adresse schauen. In der Tasche fand ich nichts – außer einem Pfändungsprotokoll.
Wie hat damals Ihre Karriere begonnen?
Ich gab als Student auch Tennisunterricht auf den Plätzen hinter dem Stadion. Dort spielte ich mit einem Partner der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz, wenig später fing ich in der Kanzlei an.
Anwalt – damit verbinden Menschen positive wie auch negative Vorurteile. Ich nenne mal ein paar: viel Geld verdienen, pausenlos arbeiten, konservativ sein, Golf spielen.
Golf wollte ich nie spielen, da hätte ich nur immer dieselben Leute getroffen, die ich schon von der Arbeit her kenne. Aber eines stimmt: als Anwalt habe ich Tag und Nacht gearbeitet. Jeder, der in einem freien Beruf gut ist, hat irgendwann ein Zeitproblem. Andererseits freut es einen, wenn man als Anwalt in schier aussichtslosen Situationen doch noch etwas erreichen kann. Aber es stimmt schon: lange Zeit hatte ich kaum ein Privatleben.
Sie sind 1999 aus dem Anwaltsleben auf den Chefsessel des Pharmagroßhändlers Gehe gewechselt, der heute Celesio heißt. Wie groß war der Schritt zum Manager für Sie?
Ich betrat kein völliges Neuland, weil ich das Unternehmen schon über Jahre hinweg als Anwalt beraten hatte. Bevor ich anfing, ging ich für ein Dreivierteljahr nach Boston an die Harvard Business School. Ich lebte zusammen mit Studenten aus allen Winkeln der Erde auf dem Campus in einem Fünf-Quadratmeter-Zimmer inklusive Dusche. Seit dieser Zeit in Harvard kann ich die amerikanische Sicht der Dinge viel besser einordnen. Amerika liebt pragmatische statt dogmatische Lösungen.
Welche Eigenschaften aus Ihrem Anwaltsleben haben Ihnen als Konzernchef geholfen?
Ich wollte als Anwalt nie einfach nur recht haben, ich wollte Lösungen finden, die für meine Mandanten wirtschaftlich attraktiv sind. Ein guter Jurist zeichnet sich dadurch aus, dass er sich in komplexen Sachverhalten wie ein Schachspieler bewegt und zügeübergreifend denkt. Das hat mir auch als Celesio-Chef geholfen.
Sie haben zwölf Jahre die Geschicke des Unternehmens bestimmt. Dann kam es nach einem Machtkampf zur Trennung. Eben noch Alphatier, kurz darauf freigesetzt – wie machtlos haben Sie sich gefühlt?
Ich habe Herzblut und viel Kraft bei Celesio gelassen. Wenn man dann gehen muss, tut es weh, das gebe ich zu. Aber in so einer Position ist es normal, dass der Job weg ist, wenn man selbst die Zukunft des Unternehmens anders sieht als der Mehrheitsgesellschafter. Entweder man radelt mit dem Wind, oder man steigt ab und ist raus.
Derzeit sind Sie Aufsichtsratsvorsitzender einer polnischen Apothekenkette. Mich interessieren aber keine Umsatzkurven, ich hätte von Ihnen gerne ein anderes Rating: Wie gut lebt es sich in Stuttgart?
Manche Quartiere haben sich toll entwickelt. Ich finde den Westen mit seiner Stadtteilkultur attraktiv und glaube, dass mittelfristig die Gegend rund um das Neckartor gute Perspektiven hat. Wie sich Stuttgart kulturell entwickelt hat, ist fantastisch. Man hätte sich vor Jahren nicht vorstellen können, welche tollen Konzerte im Innenhof des Neuen Schlosses stattfinden. Und erst die Clubszene: wenn Freunde meiner Kinder in Stuttgart sind, sind sie ganz erstaunt. Oft fällt dann der Satz: „Wir wussten gar nicht, was hier abgeht!“
Auf den Baustellen in der Stadt geht es gerade mindestens genauso ab wie in den Clubs.
Ich finde es allerdings schade, dass bei der  Stadtplanung keine Handschrift mehr zu erkennen ist. Bei den großen Bauvorhaben in der Stadt denke ich oft: „Schon wieder von der Stange.“ Die neuen Einkaufszentren sind architektonische Fehlleistungen, das Gerber hat für mich den Charme eines Speer-Baus. Es werden Hunderte von Millionen vergraben ohne architektonischen oder städtebaulichen Anspruch.
Den müsste die Stadt formulieren.
Ja, aber auch die Bauherren und Investoren! Beim Milaneo oder beim Gerber hat der gestalterische Anspruch für die Bauherren offenbar gar keine Rolle gespielt. Dabei müsste man bei so zentralen Bauvorhaben zunächst eine grundsätzliche Frage stellen: Wie bleibt ein neues Quartier oder öffentliches Gebäude auch nach Jahren so spannend, dass es dauerhaft „lebt“? Wir brauchen prägende Architektur und keine hirnlose Konfektion.
Je weiter der Umbau der Stadt voranschreitet, desto mehr besinnen sich viele Stuttgarter auf ihre Geschichte: Internetseiten mit Baudenkmälern boomen, die Nostalgie hat Hochkonjunktur.
Kein Wunder. Wenn Investoren heute in Stuttgart – aber nicht nur dort – große Projekte stemmen, geht es ihnen meistens nur noch um Geschossflächenoptimierung.
Ihre Haltung erstaunt mich: als Wirtschaftmann müssten Sie für Renditeziele der Investoren eigentlich Verständnis haben.
Das habe ich auch. Aber gute und große Architektur hat sich immer dadurch ausgezeichnet, dass sie wirtschaftlich Nötiges mit planerischer Qualität verbindet. Dies geht nur, wenn es dafür einen öffentlichen Willen gibt.
In der Zukunft hat die Stadt die Chance, es auf dem heutigen Gleisfeld beim Bahnhof bei der Stadtplanung besser zu machen.
Ich bin ein Befürworter von Stuttgart 21 und sehe in diesem Quartier tatsächlich eine große Chance für die Stadt. Wenn das Gelände aber dann so zugeklatscht wird, wie es derzeit beim Europaviertel geschieht, hätten wir nichts gewonnen.