Früher war er Kripochef in Stuttgart, heute ist Oliver Hoffmann Chefberater im Kosovo. Er baut an einem Rechtsstaat, der einem Pulverfass gleicht.

Stuttgart/Pristina- Schmal, lang und grau ist der Gang, an dessen Ende das organisierte Verbrechen wartet. Oliver Hoffmann quert ihn jeden Morgen auf seinem Weg durch halb Europa. Sein Chef ist ein Ungar, dessen Boss ein Brite ist, der von einem Dänen befehligt wird, welcher unter dem Kommando eines Franzosen steht. "Nice to meet you", hallt es über die Flure im Eulex-Police-Headquarter von Pristina.

 

Sein Büro liegt im vierten Stock. Es hat einen Computer, eine Pinnwand und eine Klimaanlage. Eine Seele hat es nicht. Von seinem Fenster aus sieht Hoffmann auf die Zentrale des kosovarischen Geheimdienstes, neben der am früheren Zentrum der Jugend ein Foto des Freiheitskämpfers Adem Jashari hängt, zu dessen Füßen die Freiheit in Rauch aufgeht - ein geschäftiger Händler bietet geschmuggelte Zigaretten feil, die Schachtel für einen Euro.

Labile Balkanrepublik

Seit April ist Hoffmann an diesem Ort als Chefberater der Kosovo-Polizei eingesetzt, zuständig für organisierte Kriminalität und Staatsschutz. Früher hat der 39-jährige Kriminalrat in Stuttgart Verbrecher gejagt, jetzt baut er mit am Rechtsstaat in der labilen Balkanrepublik. Eulex nennt sich die größte außenpolitische Mission der Europäischen Union. 2900 Beamte helfen beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung. Hoffmann ist einer davon.

Wie jeden Tag trifft sich der Ratgeber aus Stuttgart am Morgen mit seinem Kollegen von der Kosovo-Polizei, Major Gazmend Hoxha. Hoffmann hat den Sachverstand, Hoxha hat die Leute. Der Albaner trägt ein gelbes Hemd, das ein bisschen spannt über seinem genährten Bauch. Man nennt sich beim Vornamen. Gazmend sagt höflich, dass er Oliver als Partner schätze. Man plane gemeinsame Operationen, und da helfe auch der Blick von außen.

Noch immer innerlich zerrissen

"Drogenhandel, Menschenhandel und Korruption sind die größten Probleme im Kosovo", beschreibt Hoxha die Lage in seinem Land, das auch drei Jahre nach der Staatsgründung innerlich zerrissen ist. Viele regieren mit in einer Republik, die nur formell unabhängig ist. Amerika, Europa. Hoxha macht gute Miene zum internationalen Spiel. "Es hat sich einiges zum Besseren verändert", sagt er. Mit seinen 180 Beamten sei es ihm im vorigen Jahr gelungen, 400 Kilo Heroin und Marihuana zu konfiszieren. Weniger gerne erzählt der Inspektionsleiter, dass aus der Asservatenkammer seines Polizeireviers vor zwei Jahren am helllichten Tag 46 Kilo Heroin verschwunden sind. "Wir schämen uns dafür."

Die Polizei hat die Täter bis heute nicht gefasst. Der Verdacht liegt nahe, dass sie aus den eigenen Reihen kommen. Hashim Thaci, Premier und Vorsitzender der demokratischen Partei des Kosovo, hat die wichtigen Posten in der Polizei mit Getreuen besetzt. Manche davon haben früher für den Parteigeheimdienst Shik gearbeitet. Hoxha ist ein Getreuer. "Wir sind sehr interessiert, den Drogendiebstahl zu klären", sagt er.

Handgranaten im Gebüsch

Der Major muss weiter, Hoffmann macht jetzt die Post. Sein Computer meldet zwanzig neue Mails. Auf dem Tisch liegen Berichte der lokalen Polizei. In der Nacht wurde Sprengstoff abgegeben. "Es kommt öfter vor, dass die Leute hier Handgranaten im Gebüsch finden. Sie nehmen sie dann mit, tragen sie aufs Revier und legen sie dort auf den Tisch", sagt Hoffmann.

Zeit für Nine-o'clock-tea-Diplomatie. Sandor Haidu, ein bulliger Ungar, residiert ein paar Türen weiter. Er ist seit drei Jahren in Pristina, ein alter Fuchs. Hoffmann will an seinem Erfahrungsschatz teilhaben. Haidu findet, dass sich langsam Fortschritte einstellen in dem 2,2 Millionen Einwohner zählenden Land. "We are working at that system", sagt er. "But it takes time."

Die Raubüberfälle in Dakovica an der Grenze zu Montenegro machen dem Kriminalbeamten zu schaffen und auch die Verkehrstoten im Kosovo. 175 waren es im vorigen Jahr. Die Einheimischen fahren nach eigenen Regeln, Kinder turnen während der Fahrt im Auto herum. "Es gibt hier erst seit fünf Jahren Fahrschulen", sagt Haidu.

Jeder ist ein Spezialist

Hoffmann mag den Ungarn. Jeder ist hier auf seine Art ein Spezialist. Das macht für ihn den Charme des Ganzen aus. In Griechenland wird anders ermittelt als in Finnland oder Kanada. "Wir leben den europäischen Spirit", sagt Hoffmann. Dieser Geist ist es, der ihn gereizt hat, sein geregeltes Leben für zwölf Monate aufzugeben.

In Nagold ist Hoffmann aufgewachsen, in Sindelfingen zum Daimler in die Lehre gegangen. Karosseriebau war dann doch nicht seine Sache, eher staatlicher Unterbau. 1993 heuerte der Schwabe bei der Bereitschaftspolizei in Lahr an, arbeitete sich zum Kriminalkommissar hoch. Bevor Hoffmann nach Pristina kam, war er in Stuttgart Chef des Dezernats Tötungsdelikte und danach Leiter der Inspektion für Kapitalverbrechen. Für die Rechtsstaatsmission der Europäischen Union hat er sich freiwillig gemeldet - und wurde ausgewählt.

Kosovo als Kontrastprogramm

Das Kosovo ist ein Kontrastprogramm. Der Süden leidet unter Korruption, im Norden herrscht Anarchie. Eine Brücke in Mitrovica ist die Grenze. Hier endet der Arm der Regierung aus Pristina. Kosovo-Albaner schrauben vor den Augen der Polizei wie selbstverständlich die Nummernschilder an ihren Autos ab, damit ihnen die Kosovo-Serben auf der anderen Seite nicht den Wagen zertrümmern. Das Gespenst des Krieges geistert an dieser Schnittstelle mitten in Europa noch immer umher.

Zu Hause ist manches anders, aber nicht alles besser. In Stuttgart hatte es Hoffmann zuletzt mit einer Kinderleiche zu tun, die in einem Abfallcontainer im Plochinger Hafen lag. Er organisierte mit seinem Team eine würdige Beerdigung für das unbekannte Kind. Sie nannten es Maximilian. Das ist der Jungennamen, der im vergangenen Jahr am häufigsten vergeben wurde.

Dem Mörder in die Arme gelaufen

Auch mit dem Fall von Anja Aichele hat er sich befasst. Die Schülerin war 1987 auf dem Heimweg vom Konfirmandenclub ihrem Mörder in die Arme gelaufen. Seit 24 Jahren fragt sich ihre Mutter Waltraud, was in jener Nacht im März passiert ist. Hoffmanns Team fand überraschend eine DNA-Spur des Täters. Es keimt wieder Hoffnung. Das bewegt einen wie ihn. Hoffman ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Seine Familie muss ein Jahr weitgehend auf ihn verzichten, sie darf nicht einmal zu Besuch kommen. Das ist verboten bei diesem Einsatz. Alle vier Wochen fliegt Hoffmann heim. Durch Gefahrenzulagen und Zuschüsse aus Brüssel verdient er im Kosovo das Doppelte wie zu Hause. Das Geld war nicht die entscheidende Motivation. "Hier kann man unglaublich viel lernen."

Sensibler Bereich

Auch von Rainer aus Köln. Mit ihm wohnt Hoffmann in Pristina unter einem Dach. Sie sind Freunde geworden. Rainer arbeitet in einem sensiblen Bereich. Er ist Head of Intelligence im Eulex-Camp Alpha Bravo. In seiner Dienststelle fließen kriminalpolizeiliche und geheimdienstliche Informationen zusammen. Da ist einiges geboten in Europas jüngstem Staat, in welchem ein blutiger Krieg nachwirkt und die Tradition der Korruption ungebrochen ist.

Der Fisch stinkt vom Kopf, heißt es. Premier Thaci werden schwerste Kriegsverbrechen vorgeworfen. Rainer will das nicht kommentieren. Bei den Ermittlungen geht es um die Ermordung von Soldaten, die erst abgeschlachtet und dann regelrecht ausgeschlachtet worden sein sollen, um ihre Organe gewinnbringend zu verkaufen. So steht es in einem Report des Europarat-Abgeordneten Dick Marty vom Dezember 2010. Marty behauptet, dass es für Thacis Beteiligung handfeste Beweise gäbe. Er will sie an eine Sondereinheit übergeben, welche die Sicherheit der Zeugen garantiert. Im Augenblick werden die ersten Staatsanwälte für die Ermittlungen eingestellt.

Ex-Verkehrsminister

Der zweite Mann hinter Thaci heißt Fatmir Limaj, kämpfte früher für die Kosovo-Befreiungsarmee UCK und war bis vor Kurzem Verkehrsminister der jungen Balkanrepublik. Jetzt ermitteln Eulex-Juristen gegen ihn wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und weil er sich bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge das eigene Konto gefüllt haben soll. Limaj wurde für ein paar Stunden festgenommen. Die Kosovo-Albaner haben es gerne, wenn Eulex gegen Korruption vorgeht, weniger gerne haben sie es, wenn ihre Kriegshelden fallen. Während Limajs Vernehmung wäre es fast zu Schießereien gekommen. Ein Panzer musste das Camp Alpha Bravo vorsorglich sichern.

Es könnte eng werden für die Kämpfer von gestern, die heute das Land regieren. Auch deshalb, weil es prominente Zeugen gibt. Nazim Bllaca ist einer von ihnen. Er war als Auftragskiller für den Geheimdienst Shik unterwegs, ehe er sich in aller Öffentlichkeit dazu bekannte, nach dem Kosovokrieg an mehreren Morden beteiligt gewesen zu sein. Sein Wissen ist so wertvoll, dass Bllaca zum Kronzeugen wurde. Wahrscheinlich im Herbst steht der Prozess an. Personenschützer der Eulex bewachen den Mann rund um die Uhr. "Der geht nicht mal mehr allein aufs Klo", sagt Rainer.

Wie Hoffman arbeitet auch er oft am Wochenende. Es gibt viel zu tun in diesem Land. Sonntags fahren die beiden raus und schauen sich die Gegend an. Im Sommer hören sie dabei oft den unverkennbaren Sound der Kalaschnikow. Es ist "wedding season" im Kosovo, und die Hochzeiter sind es gewohnt, zur Ehre des Brautpaars ein bisschen zu ballern mit Maschinengewehren, die fast in jedem Schrank stehen. Sie nennen das hier "happy shooting".

Fahrzeugkontolle in Pristina

Fahrzeugkontrolle am Stadtrand von Pristina. Die örtliche Polizei hat sich neben einem Autofriedhof postiert. Davor prangt ein blaues Schild: Rotary Club Pristina. Die Aktion geht auf eine Idee zurück, von der Hoffmann seine Kollegen überzeugen konnte. Ein kleiner Schritt auf dem Weg zum funktionierenden Rechtsstaat.

Am Horizont rauchen die Schlote des Braunkohlekraftwerks Obilic. Irgendwo bellt ein streunender Hund. Hoffmann steht ein wenig abseits und schaut zu. Er ist eine Art Putzerfisch, der mitschwimmt im Alltag der Kosovo-Polizei. Immer in der Nähe, immer um Sauberkeit bemüht. Bei der Kontrolle geht es um noble Karossen, von denen auffällig viele unterwegs sind. Mercedes, Porsche, Audi. Nicht immer gehören sie denen, die am Steuer sitzen.

"Big shot"

Ein schwarzer Mercedes SL 600 wird herausgewunken. "Good, very good", sagt Hoffmann. Das Nummernschild passt zu den Papieren, die in Ordnung sind. Ein paar Stunden zuvor haben die Beamten einen Wagen gestoppt, dessen Fahrer sich sein eigenes Kennzeichen gemacht hatte. "Big shot" stand darauf. Damit kann man sich die Steuer von 300 Euro im Jahr sparen, von den Einfuhrzöllen gar nicht zu reden. Die Polizei steht im Ruf, nicht oft zu kontrollieren. Hoffmann will das ändern.

Am Nachmittag muss er noch einmal ins Büro. Auf den Fluren im Headquarter herrscht Aufregung. Das Privatauto eines Polizeibeamten ist im Norden durchschossen worden. Der Fahrer saß nicht am Steuer. Der Fall wird untersucht. Die Europäer arbeiten mit Militärs zusammen, mit Washington und Belgrad. Irgendwo dazwischen steht ein deutscher Kriminalrat und versucht, seinen Job anständig zu machen in einer Mission, die zur Staatsneutralität verpflichtet ist, weil fünf der 27 EU-Staaten den Kosovo nicht anerkannt haben.

Schweigen ist manchmal besser

Manchmal ist schweigen besser in einer Gegend, in der jeder kleine Konflikt Teil des Großen ist. Hoffmann weiß das. Als Ende Juli der Zollstreit im Norden eskalierte, hätte fast die ganze Region Feuer gefangen. Eine Sondereinheit der kosovarischen Polizei hatte zwei Grenzposten im Norden besetzt, um dem Schmuggel über die bisher unbewachte Grenze zu begegnen. Sie tat es ohne Mitwirken der europäischen Partner. Es war eine schlechte Idee. Ein Kosovo-Polizist starb. Es hätte auch zwanzig Tote geben können. Die Fahnder zählten nach dem Feuergefecht später fast 3000 Patronen.

Winston Churchill hat einmal über den Balkan gesagt, er produziere mehr Geschichte als er verbrauchen kann. Hoffmann, der Chief Advisor, hält dagegen, indem er auf seine Art versucht, Normalität zu schaffen. Bei internationalen Missionen, so heißt es, kämen am Anfang die Idealisten, danach die Verwalter und am Ende die Verdrossenen. Hoffmann gehört zu den Idealisten. Er glaubt daran, dass Europa vorankommt, wenn er mit Gazmend redet, auf seine Mitarbeiter einwirkt, Anregungen gibt, Berichte schreibt, Ideen einspeist.

Ende der Mission

Irgendwann im April nächsten Jahres wird er zurück nach Stuttgart fahren. "End of mission." Dann bekommt er einen Job zugewiesen und ermittelt wieder gegen Mörder. Neulich hat ihn ein Kollege gefragt, ob er nach dem Kosovo noch einmal auf eine europäische Mission gehen würde. Hoffmann weiß es nicht. Die Antwort hängt auch vom Familienrat ab.

Feierabend im Headquarter von Pristina. Der Polizeibeamte schaltet den Computer aus. Morgen wird er wieder hier sein und den neuen alten Kosovo ein kleines bisschen anschieben, von seinem Platz aus. Hoffmann weiß nicht, ob sich viel bewegt. Aber er will es wenigstens versuchen.