Deutlich vor der Justiz erfuhr die Landesregierung von möglicher Korruption beim German Center in Moskau. Doch ihr Informant wurde immer noch nicht als Zeuge gehört.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Rainer Stickelberger (SPD) musste nicht lange überlegen. Wie das Justizministerium mit Hinweisen auf möglicherweise strafbare Handlungen umgehe? Wenn solche Anhaltspunkte „bei uns auflaufen, dann geht das an die Staatsanwaltschaft, die zuständig ist“, antwortete er prompt. Wenig später wurde der Ressortchef von seinem eigenen Ressort korrigiert. Man sei „keine zur Entgegennahme von Strafanzeigen zuständige Stelle“, hieß es auf StZ-Anfrage. Hinweise würden nur dann weitergegeben, wenn „besondere Umstände“ dies geböten. So sei Stickelbergers Aussage zu verstehen gewesen.

 

Im konkreten Fall – einem möglichen Korruptionsverdacht beim LBBW-Projekt German Center in Moskau – wurden solche Umstände verneint. Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart liefen erst an, als die Medien im Februar 2012 über dubiose Geldflüsse berichteten. Ein Drittel des Kaufpreises, etwa 30 Millionen Euro, sei für die Übernahme einer Projektgesellschaft mit Sitz in Zypern an eine Firma auf den British Virgin Islands geflossen; deren Hintermänner kenne die Landesbank bis heute nicht. Der Verdacht der Korruption, kommentierten Experten, dränge sich geradezu auf. Die Staatsanwälte prüfen die Vorgänge nun schon im neunten Monat, „in den nächsten Wochen“ soll die Entscheidung fallen, ob sie ein förmliches Verfahren einleiten.

Regierung behielt Hinweise auf Korruption für sich

Ohne die Recherchen von „Spiegel“, „Süddeutscher Zeitung“ und Stuttgarter Zeitung hätten die Ermittler womöglich nie von den Moskauer Merkwürdigkeiten erfahren. Die LBBW selbst war bei der internen Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, es gebe „keine greifbaren Hinweise auf strafbare Handlungen“. Doch die Landesregierung wusste seit Wochen, wenn nicht Monaten von dem anrüchigen Firmengeflecht samt dem möglichen Korruptionsverdacht. Ein ganz besonderer Informant hatte sie wiederholt darauf hingewiesen: Markus Pflitsch, der kurzzeitige Geschäftsführer der für das Moskau-Projekt zuständigen LBBW-Immobilien-Tochter.

Angesichts der vor allem durch das Projektgeschäft entstandenen Schieflage war Pflitsch im Sommer 2009 vom damaligen Bankchef Siegfried Jaschinski als Krisenmanager entsandt und wenig später von dessen Nachfolger Hans-Jörg Vetter wieder abgelöst worden. Die Umstände des Rauswurfs sind umstritten: Man habe dort einen wirklichen Fachmann gebraucht, sagt die Bank. Er habe für seine Weigerung büßen müssen, einen falschen Halbjahresbericht zu unterzeichnen, sagt Pflitsch. Empört hatte er sich deshalb noch zu CDU-Regierungszeiten an Ministerpräsident Günther Oettinger und dessen designierten Nachfolger Stefan Mappus gewandt. Doch der Kontakt zu den Regierenden kam erst nach dem Machtwechsel zu Grün-Rot zustande. Staatssekretär Klaus-Peter Murawski (Grüne) bat ihn zu einem Gespräch in die Villa Reitzenstein und vermittelte eine Runde mit den Amtschefs des Finanz- und des Innenministeriums.

Ein Protokoll mit brisanten Vorwürfen

Dort gab Pflitsch im Dezember 2011 Brisantes zu Protokoll – nicht nur zum Thema Moskau. Als er intern den Verdacht der Korruption geäußert habe, sei er von LBBW-Vertretern ausgebremst worden: er solle da nicht weiter bohren, habe man ihm bedeutet, auch wegen der Rolle von Ex-Premier Oettinger. Der war nach StZ-Informationen eine treibende Kraft beim Projekt German Center, auch wenn die Bank das nicht bestätigt. Gegen den von Oettinger geholten LBBW-Chef Vetter, berichtete Pflitsch weiter, bestehe womöglich ein Verdacht der Untreue: Durch sein Vorgehen bei der Sanierung von Münchner Großprojekten sei der Bank ein Millionenschaden entstanden. Der monatelange Baustopp sei unvertretbar, die Finanzierung würde sich dadurch erheblich verteuern – davor habe ein Münchner Geschäftspartner Vetter sogar schriftlich gewarnt. Zudem beklagte der Ex-Geschäftsführer, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Vorgänge um die Halbjahresbilanz 2009 so schnell zu den Akten gelegt habe. Trotz seines Insiderwissens sei er nie als Zeuge gehört worden, was Zweifel am Aufklärungswillen der Ermittler nähre. Zu all diesen Punkten gebe es Dokumente, verblieb Pflitsch, durch die er die Regierung gerne als „Pfadfinder“ lotsen könne.

Der vertrauliche Gesprächsvermerk ging auch an das Justizministerium, dessen Amtschefin an der Runde lieber nicht teilnahm. Schon zuvor hatte sie den Informanten an die Staatsanwaltschaft Stuttgart verwiesen und ihm die Durchwahl des Chefs der Abteilung für Wirtschaftskriminalität, Hans Richter, gegeben. Doch Pflitsch wollte nicht von sich aus auf die Ermittler zugehen, sondern von diesen offiziell geladen werden – auch wegen der für ihn heiklen Rechtslage: Bis heute habe ihn die LBBW nicht von seiner Schweigepflicht entbunden. Das Justizressort sah seinerseits lange keinen Grund, die Hinweise an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten: „Ein Anlass dazu hat nicht bestanden.“

Die Vernehmung als Zeuge wird nun doch geprüft

Die Begründung des Ministeriums, die Projekte in München und Moskau seien ja bereits im Fokus der Ermittler gewesen, führt indes in die Irre. Tatsächlich waren 2009 aufgrund eines StZ-Berichts umfassende Ermittlungen gegen frühere Geschäftsführer der LBBW Immobilien angelaufen; der Abschluss sei inzwischen absehbar, sagt eine Sprecherin, komme aber wohl nicht mehr in diesem Jahr. Doch von dem Korruptionsverdacht in Moskau erfuhren die Staatsanwälte offenkundig erst aus den Medien, und die Sanierung der Münchner Projekte hatten sie gar nicht im Blick; geprüft wurden bisher nur Vorgänge vor dem Amtsantritt des Sanierers Vetter.

Erst im August dieses Jahres, mit acht Monaten Verzögerung, bekam die Staatsanwaltschaft das Protokoll des Gesprächs mit Pflitsch doch noch – als Anhang zu anderer Korrespondenz mit Regierungsvertretern. Doch sein darin dokumentiertes Angebot, die Behauptungen anhand von Akten zu belegen, harrt noch immer der Annahme. Zum Vorwurf der falschen Halbjahresbilanz will die Staatsanwaltschaft den Ex-Geschäftsführer nach wie vor nicht hören. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass er dazu etwas Relevantes beitragen könne, sagt die Behördensprecherin. Dabei waren die Vorermittlungen infolge seiner Weigerung, den Halbjahresbericht zu unterschreiben, in Gang gekommen. Was die Projekte in Moskau und München betrifft, seien seine Angaben zu vage und pauschal. Gleichwohl prüfe man, ihn zu diesen beiden Punkten als Zeugen zu vernehmen; das Ergebnis stehe noch aus. Ein Verfahren gegen LBBW-Chef Vetter, betont die Sprecherin, gebe es derzeit nicht.

Innenminister erbittet Hinweise auf Korruption

Pflitsch selbst, der ungehörte Zeuge, wollte sich auf StZ-Anfrage nicht äußern. Doch in Schreiben an Vertreter der grün-roten Regierung zeigte er sich enttäuscht über die aus seiner Sicht unzulängliche Aufklärung. Seit Monaten biete er nun seine Mitarbeit an, aber darauf werde nicht wirklich eingegangen. Wie im Fall des EnBW-Deals, verblieb er in seinem letzten Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, müsse dann wohl „die eigentliche Arbeit der Strafverfolgungsbehörden durch andere übernommen werden“.

Zumindest von Innenminister Reinhold Gall kann sich Pflitsch indirekt bestärkt fühlen. Der SPD-Mann hatte kürzlich beklagt, dass Korruptionsverdachtsfälle in der Wirtschaft kaum noch zur Anzeige gebracht würden – aus Sorge vor einem Imageschaden. Von einem anonymen Meldesystem erhofft er sich nun „wieder vermehrt Hinweise“. Vielleicht sollte Gall seinen Appell im Kabinett wiederholen.