Sport: Jürgen Kemmner (jük)
Es wäre sicher unfair, wenn man Rosbergs WM-Führung damit schmälert, indem man das das technische Pech von Hamilton ins Feld führt. Oder?
Zumindest nach der Saison fragt danach keiner mehr. Ohne Motorschaden läge Hamilton jetzt neun Punkte vor Nico statt 19 dahinter, aber am Ende zählen Titel und nicht Beinahetitel. Verdienter Titelgewinner ist, wer am Ende der Saison die meisten Punkte auf dem Konto hat – ob er dabei von irgend einem Gebrechen des Rivalen profitiert hat, spielt dann keine Rolle mehr.
Was hat Rosberg in dieser Saison besser gemacht als in den Jahren zuvor?
Nico hat sich – wie jeder Topfahrer – immer weiter entwickelt. Und vielleicht auch mal das Glück des Tüchtigen gehabt. Sein unverschuldeter Startcrash von Malaysia hätte leicht im Ausfall enden können, und zuletzt in Mexiko hat ebenfalls nicht viel gefehlt, dass er nach dem Start in Kurve eins von der Strecke ins Aus befördert worden wäre.
Inwieweit hat er bei Mercedes davon profitiert, dass Michael Schumacher drei Jahre sein Teamkollege war – und er sich meist gegen ihn durchgesetzt hat?
Diese drei Jahre waren für den Aufbau des Teams wichtig und für Nico nicht minder. Er gewann zwei Jahre nach dem ersten Start der Werk-Silberpfeile den Großen Preis von China – und Michael war ein Sieganwärter, bis eine Radmutter bei seinem Boxenstopp klemmte. Einen Monat später fuhr Michael im Qualifying die beste Zeit, und zwar in Monaco, der Mutter aller Rennstrecken, welche die Fahrer am meisten fordert.
Vergleichen Sie den Hamilton, den Sie als Formel-1-Neuling 2007 bei McLaren-Mercedes kennengelernt haben, mit dem von heute.
Lewis hat die Jahre seit seinem Einstieg 2007 geprägt wie kein anderer Fahrer in dieser Phase und 51 Rennen gewonnen, noch ehe er seinen 200. Grand Prix absolvierte, statistisch also mehr als jedes vierte Rennen. Es fehlen ihm jetzt noch 40 Siege auf Michael Schumacher. Lewis hat eine enorm beeindruckende Bilanz, und ich kenne niemand, der dieser Aussage widersprechen würde.
Hat er das Zeug zu einer Formel-1-Legende?
Lewis ist das sicher bereits für seine Fans.
Warum ist Hamilton ein härterer Gegner für Rosberg als Schumacher es war?
Hypothetische Fragen beantworten ist eine Kunst, die keiner kann – ich bin keine Ausnahme. Wir wissen nicht, wie sich Lewis damals gegen Nico geschlagen hätte, niemand weiß, wie es bei Michael weitergegangen wäre, hätte er die Karriere nicht beendet.
Haben Sie zu Rosberg und Hamilton noch gelegentlich Kontakt?
Wir schreiben uns, wenn’s dazu Grund gibt, ab und an. Aber eher kurz und knackig wie eine Qualifikationsrunde und nicht lang mit Boxenstopp. Ich war in den vergangenen dreieinhalb Jahren nur dreimal bei einem Formel-1-Rennen, zusammengerechnet keine drei Stunden, habe Lewis und Nico aber bei anderen Gelegenheiten getroffen. Und vielleicht schmeißt der neue oder der alte Weltmeister am Jahresende ja eine Party . . .
Landläufig hält sich die Meinung, Rosberg sei ein braver Familienmensch und kühler Analytiker, Hamilton ein wilder Partygänger und Instinktfahrer. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen mit den beiden?
Keineswegs. Formel 1 bedeutet auch mediales Rollenspiel, vom Partygehen wird man genauso wenig schnell wie vom Auf-dem-Sofa-Sitzen und Familie hüten. Es ist doch wunderbar, das zwei Sportler, die so unterschiedlich beschrieben werden, und es vielleicht auch sind, auf die Tausendstelsekunde gleich gut mit 1000 PS umgehen können.
Mercedes dominiert die Formel 1 seit 2014, das ist nicht optimal für eine attraktive Serie.
Das liegt nicht an denen, die vorausfahren, sondern an jenen, die nicht vorausfahren können. Mercedes und sein Silberpfeil-Werkteam hat sich alles hart erarbeitet und fährt wohlverdient da, wo es ist. Immer und ewig wird das nicht so sein – aber eine ganze Weile lang noch, denke und hoffe ich.
Besteht Hoffnung durch das Reglement 2017?
Mehr Chancen auf engere Rennen hätte ich gesehen, wenn das Reglement unverändert geblieben wäre. Unwahrscheinlich, dass bei einer Reglementsänderung alle Topteams gleich gute Arbeit abliefern. Siehe 2014. Seit der letzten, einschneidenden Reglementsänderung dominieren die Silberpfeile, und das mehr, als jemals ein Team zuvor in der Formel-1-Historie. Natürlich ist es schön zu sehen, dass unsere 2010 initiierte und gestartete Idee der Werk-Silberpfeile sich so prächtig entwickelt hat – dank großartiger Arbeit aller in Brackley, Brixworth und Stuttgart.
Ross Brawn scheint neuer Formel-1-Promoter zu werden. Wäre das nichts für Sie gewesen?
Wenn Ross in die Formel 1 zurückkommen sollte, wird er das richtig machen. So wie alles andere zuvor auch. Ich kann ihn dann ja hie und da zur Strecke fahren, wie früher.