Peer Steinbrück ist ein Freund klarer Worte. Der SPD-Politiker hat stets polarisiert. Seinen Abschied aus der großen Politik nutzt er für ein eindringliches Plädoyer.

Berlin - Eine Abschiedsrede ist so eine Sache. Eine Gratwanderung zwischen peinlicher Selbstüberhöhung und ebenso selbstgefällig wirkendem Kleinreden des eigenen Wirkens. Peer Steinbrück weiß dies wohl, als er um Punkt 10 Uhr zu seiner letzten Rede im Bundestag zum Pult schreitet. Nach dieser Rede wird er endgültig politisch Geschichte sein. Das erkennt man daran, dass selbst der Linke Diether Dehm ihm applaudiert. Am Ende sind sie alle gnädig. Er ist es übrigens auch. Zwar spricht er erst scheinbar dienstbeflissen über das vorgegebene Thema, die Auswärtige Kulturpolitik, aber er weiß sehr wohl, dass dies an diesem Tag keinen so recht interessiert. Es ist sein Moment. Und so begibt er sich nach knapp sechs Minuten dann doch auf den schmalen Grat, zieht persönlich Bilanz, pathosschwer und ironieleicht zugleich.

 

Es läge, so Steinbrück, selbstredend nahe, eine längliche Abhandlungen über das Große und Ganze vorzutragen, aber er wisse ja nun genau, dass dies der Präsident „in genau vier Minuten und 57 Minuten unterbrechen würde.“ Also würdigt er zunächst kurz wie ein persönliches Vermächtnis Europa. „Ich gehörte als jemand, der 1947 geboren ist, zu der ersten Generation, die nicht auf den Schlachtfeldern Europas geopfert worden ist.“ Die Einheit Europas, die diesen Frieden absichert, sei für ihn deshalb „ein Glücksfall , der jeden Einsatz dafür rechtfertigt, dass es so bleibt.“ Deshalb dürfe dieser „wunderbare Kontinent nicht auf den Euro, nicht auf die EZB, nicht auf nächtliche Sitzungen des Europäischen Rates, nicht einmal auf den Brexit und schon gar nicht auf den Krümmungsgrad der Salatgurke reduziert“ werden.

Schließlich endet er mit zwei „eher banalen Erkenntnissen“. Er sei ja nun, als er vor 47 Jahren in die SPD eintrat, davon ausgegangen, dass bei den Parteien die Zuordnung „von Sumpfhühnern und Schlaubergern ziemlich einseitig“ sei. Er zählte sich „natürlich zur Partei der Schlauberger“. Inzwischen habe er „nach einer längeren Lernkurve“ begriffen, „dass die Verteilung solcher Sumpfhühner und Schlauberger in und zwischen den Parteien der Normalverteilung der Bevölkerung folgt.“ Zweite Erkenntnis: Er habe erst sehr spät begriffen, dass es in der Politik nicht nur darauf ankommt, was man sagt und was man macht, „sondern auch, wie man dabei guckt.“ Diese Einsicht habe er jüngst auch noch einmal „dem Kollegen Schäuble“ übermittelt. Alle lachen, seiner Partei hat er auch noch einen mitgegeben, Mission erfüllt. „Das war der letzte Ton aus meinem Jagdhorn“, sagt Steinbrück, alle erheben sich, Gratwanderung geglückt.

Bereits Steinbrücks Start als Kanzlerkandidat der SPD Ende 2012 geriet zur Pannenshow

Selten genug waren diese Auftritte zuletzt. Steinbrück mischte sich nicht mehr ein. Und wäre nicht die Zeit schon über ihn als Spitzenpolitiker hinweg gegangen, man hätte fragen können, womit er sich eigentlich sein Geld als Abgeordneter noch verdiene. Aber wer wollte schon nachtreten bei einem Mann, der beachtliche Spuren hinterließ, obwohl er seine beiden größten Ziele verpasste und keine einzige Wahl gewann. In Nordrhein-Westfalen war er als Nachfolger von Wolfgang Clement gerade mal drei Jahre Ministerpräsident, da wurde er 2005 auch schon abgewählt. Eine Schmach und der Anfang vom Ende der rot-grünen Ära im Bund. Kanzler Gerhard Schröder erzwang Neuwahlen, die kurioserweise Steinbrücks nächsten Karrieresprung ermöglichten. Steinbrück wurde in der großen Koalition Finanzminister, bewährte sich an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel als Krisenmanager. Legendär, das Versprechen der beiden, die Sparguthaben der Deutschen seien sicher.

Weil sich Steinbrück, als die SPD 2009 in der Opposition landete, ausgiebig seinen lukrativen Geschäften als Gastredner widmete, geriet bereits sein Start als Kanzlerkandidat der SPD Ende 2012 zur Pannenshow. Ein dezidiert linkes Wahlprogramm ließ dem waschechten Sozialliberalen Helmut Schmidtscher Prägung außerdem nicht die von ihm eingeforderte „Beinfreiheit“. Der Stinkefinger auf einem Magazin-Cover, die schlappen Sprüche, „hätte, hätte, Fahrradkette“: Da passte nichts zusammen. 2013 fuhr Steinbrück für die SPD folgerichtig das zweitschlechteste Wahlergebnis ihrer bundesrepublikanischen Geschichte ein. Danach wurde es ruhig um Steinbrück. Jetzt will er sich in Hamburg mit ganzer Kraft um das Vermächtnis seines Vorbilds Helmut Schmidt kümmern.

Der Spruch der bleibt: „Hätte, hätte, Fahrradkette“

„Ein Großer verlässt die Bühne“, sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht, nach Steinbrücks letztem Auftritt in der Fraktion am Dienstag. Angesichts der zwiespältigen politischen Bilanz Steinbrücks und seiner notorischen Neigung, seine Partei aufzureiben, manchmal auch vorzuführen, wirkten diese Worte etwas deplatziert. Aber so ist die SPD nun mal. Schließt ihre Alpha-Tiere immer erst dann ins Herz, wenn sie endgültig nichts mehr zu melden haben, dann aber richtig. In der Fraktionssitzung kämpften deshalb sicher auch einige derer mit Tränen der Rührseligkeit, die ihm früher lustvoll Knüppel zwischen die Beine geworfen haben. Tief verneigte sich Steinbrück vor den Genossen, die ihm stehend applaudierten. Eine Geste der Demut, ausgerechnet von jenem Mann, der sein Gegenüber in der Regel intellektuell in einer deutlich niedrigeren Liga verortet.

Eine letzte Forderung ließ er nicht missen. „Mehr Beinfreiheit für künftige Frontmänner und Frontfrauen“, forderte er. Und auch seine Geschäftstüchtigkeit stellte er abermals unter Beweis. Jedes Mal, wenn in künftigen SPD-Fraktionssitzungen ein Abgeordneter seinen Spruch „hätte, hätte, Fahrradkette“ bemühe, würden Tantiemen fällig. Der Tarif: eine Tafel Schokolade.