Der außenpolitische Sprecher der Linkspartei im Bundestag, Jan van Aken, hat einst für die Vereinten Nationen ABC-Waffen kontrolliert und entschärft. Er hält sowohl die Behauptungen der USA wie auch Russlands zum Giftgas-Angriff in Syrien für wenig stichhaltig.

Berlin - Der ehemalige UN-Waffeninspekteur Jan van Aken zweifelt sowohl die Behauptungen der USA wie auch Russlands an. Im Interview erklärt er, warum.

 
Herr van Aken, bevor wir über den Militärschlag reden, eine Frage zum Motiv der US-Attacke. Sie sind als ehemaliger UN-Chemiewaffeninspekteur vom Fach: kann die Verantwortung für den Giftgasattacke in Syrien so eindeutig dem Assad-Regime zugeordnet werden, wie Donald Trump dies tut?
Wir wissen ziemlich sicher, auch bestätigt durch die Vereinten Nationen, dass Sarin eingesetzt worden ist. Es ist im Moment aber völlig unklar, wer für dieses abscheuliche Verbrechen verantwortlich ist. Das lässt sich aus der Ferne nicht beurteilen. Das Pentagon hat inzwischen ja ein paar Bilder veröffentlicht, die beweisen sollen, dass ein Assad-Flugzeug das Giftgas abgefeuert hat. Das Material ist aber so dürftig, dass es bei der Wahrheitsfindung überhaupt nicht weiter hilft. Genauso wenig stichhaltig ist allerdings auch die Darstellung Russlands, wonach syrische Flugzeuge ein Giftgas-Waffenlager der Rebellen getroffen haben sollen. Sowohl das Assad-Regime als auch die Rebellen sind in der Lage, einen solchen Angriff zu begehen. Wer es war, können nur UN-Inspekteure vor Ort glaubwürdig feststellen.
Also liegt ihrer Ansicht nach auch Russland falsch?
Ich halte diese Version allein schon deshalb nicht für glaubwürdig, weil wir ganz sicher von russischer Seite aussagekräftige Bilder der Attacke auf ein Waffenlager der Rebellen bekommen hätten, wenn es diese denn gegeben hätte.
Was macht die Beweisfindung so schwer?
Es gibt eben keine Bilder und keine Videos, die den Angriff dokumentieren und die erste Rückschlüsse darauf erlauben, ob es sich beispielsweise um eine Granate oder eine Rakete handelt, von welcher Bauart das Kriegsgerät ist und welche Flugkurve es beschrieben hat. Bei zwei Chlorgasangriffen in den letzten Jahren konnte man unter anderem auf diese Weise eindeutig Assad die Schuld zuschreiben – allerdings nur durch Untersuchungen vor Ort. Ich kenne diesmal bisher aber nur das Bild eines Einschlagkraters auf einer Straße, auf dem ein Stück Blech zu erkennen ist. Das soll angeblich der Ort sein, an dem das Sarin frei gesetzt wurde. Aber selbst das kann man aus der Ferne nicht beurteilen. Das können nur Kontrolleure, die das Gelände untersuchen und Proben nehmen.
Kann man Sarin überhaupt gebrauchsfertig in einem Waffenlager deponieren oder wird es vor dem Einsatz sicherheitshalber getrennt gelagert?
Beides gibt es. Man kann Sarin fertig herstellen, es ist aber nicht sehr stabil. Im Chemiewaffenprogramm von Assad, das die Vereinten Nationen vor zwei Jahren abgebaut haben, war es so, dass die beiden Vorläuferchemikalien getrennt aufbewahrt und erst unmittelbar vor dem Einsatz gemischt wurden, wobei dann das Sarin entsteht. Unabhängig davon ist aber der Umstand viel wichtiger, dass die Herstellung von Sarin eine komplexe Angelegenheit ist und ich es deshalb für unwahrscheinlich halte, dass die Rebellen selbst Sarin herstellen können. Wenn sie es am Ende doch waren, dann handelte es sich wohl um erbeutete Granaten und Raketen aus dem Assad-Bestand. Nur der IS kann auf Seiten der Rebellen Giftgas herstellen. Allerdings setzt der IS kein Sarin ein, sondern Senfgas, und Senfgas war bei der jüngsten Attacke ganz sicher nicht im Einsatz.
Für die US-Attacken heute Nacht bedeutet das demnach, dass die Beweislage nicht ausreicht?

So ist es. Die Entwicklung erinnert mich an den Beginn des Irak-Kriegs. Damals war für die USA das vermeintliche Biowaffenprogramm Saddam Husseins das Motiv, das es nicht gegeben hat. Es wurde bombardiert, bevor die UN-Inspekteure mit ihrer Arbeit fertig waren. Unter den Folgen leiden wir heute noch, unter anderem auch in Syrien. Trump wiederholt den Fehler des damaligen Präsidenten George Bush. Das ist hochgefährlich und erneut eine Verletzung des Völkerrechts.