Er kennt die Nationalmannschaft, er kennt Russland, er kennt den VfB Stuttgart – und hat zu alldem eine Meinung. Im Interview spricht Serdar Tasci aber auch über seine Zukunft.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - In Stuttgart wurde er Profi, deutscher Meister und Nationalspieler. Zuletzt verbrachte Serdar Tasci fast fünf Jahre bei Spartak Moskau. Mit Spannung blickt er auf die WM in Russland – aber auch den VfB hat er im Auge behalten. Im Interview spricht der 31-Jährige über seine Zeit in Russland, aber auch über BenjaminPavard, den Innenverteidiger des VfB.

 
Herr Tasci, Sie haben mit einer kurzen Auszeit die vergangenen fünf Jahre bei Spartak Moskau gespielt. Seit wann war die Vorfreude auf die WM in Russland zu spüren?
Ehrlich gesagt, erst seit wenigen Wochen. Zwar war auch schon beim Confed-Cup vor einem Jahr eine gute Stimmung im Land, doch erst gegen Ende dieser Saison sind auch die meist modernisierten oder neuen Stadien voller geworden. Ich würde sagen: Die Euphorie ist zuletzt auch in den Städten stetig gestiegen.
Ist die Stimmung in den Stadien denn im Ligaalltag vergleichbar mit der Atmosphäre in deutschen Arenen?
Eigentlich nicht. Denn es gibt in Russland nicht die enormen Zuschauerzahlen wie in der Bundesliga, wo sehr viele Spiele ausverkauft sind. Vor allem die Partien von kleineren Clubs sind in Russland dagegen eher weniger gut besucht – dafür herrscht aber bei den Derbys vor 40 000 oder 50 000 Fans eine richtig tolle Stimmung.
Abgesehen von den Derbys wird es auch wenig Fans geben, die ihr Team zu Auswärtsspielen begleiten – bei den Entfernungen . . .
. . . stimmt, zu Auswärtsspielen sind Reisen mit einer Flugdauer von drei oder vier Stunden keine Seltenheit. Andererseits haben die großen Moskauer Vereine, besonders Spartak, Fans im ganzen Land, die dann in ihrer jeweiligen Heimatstadt in die Stadien kommen. Wir hatten also meistens mindestens ebenso viel Unterstützung wie der Heimverein, eher mehr sogar.
Während der EM vor zwei Jahren in Frankreich sorgten russische Hooligans für unschöne Szenen – ist dieses Problem auch während der Saison in der Premier Liga präsent?
Für uns Spieler nicht. In den Stadien habe ich solche Szenen in viereinhalb Jahren nicht einmal erlebt.
Gewöhnt man sich als Spieler eigentlich an diese ständige Reiserei?
Es ist in Russland schon extrem. In der vergangenen Saison war der Aufsteiger aus Chabarowsk neu in der Liga. Die Stadt liegt ganz in Osten Russlands nahe Japan, mit dem Flugzeug waren wir fast neun Stunden unterwegs – einfach. Wir sind einige Tage vor dem Spiel angereist, um uns an die Zeitverschiebung zu gewöhnen. Wer in der Bundesliga spielt, kennt diese Dimensionen natürlich nicht. Aber man gewöhnt sich einigermaßen daran.

Mit Chauffeur durch den Moskauer Verkehr

Wie hatten Sie sich denn ansonsten in Moskau eingelebt?
Moskau ist eine tolle Stadt, ich kann jedem nur einen Besuch empfehlen. Aber auch hier gilt: Die Dimensionen sind riesig. Die ersten zweieinhalb Jahre habe ich in der Stadt gewohnt, das war schön, aber zum Trainingsgelände brauchte in jeweils 90 Minuten.
Mit dem Auto?
Ja, mit dem Auto und durch den Moskauer Verkehr, der Grund für die lange Fahrzeit ist. Im Gegensatz zur vermeintlichen Stauhauptstadt Stuttgart ist das schon nochmal eine andere Nummer.
Und sicher nervenaufreibend.
Immerhin saß ich selten selbst am Steuer, da uns ausländischen Spielern vom Verein ein Chauffeur zur Seite gestellt wurde. Zuletzt wohnte ich auch näher an den Trainingsplätzen, also außerhalb von Moskau.
Wie attraktiv ist die russische Liga aktuell denn für ausländische Stars?
Zumindest bei den großen Clubs ist die Chance groß, in der Champions zu spielen, da sich zwei Vereine der Premier Liga direkt für die Gruppenphase qualifizieren. Das ist für viele Spieler durchaus ein Anreiz, und der finanzielle Aspekt spielt natürlich auch eine Rolle. Gerade aus Südamerika kommen immer noch viele Spieler nach Russland.
Haben Sie den Schritt nach Moskau mal bereut?
Spartak Moskau wollte mich damals unbedingt, obwohl klar war, dass ich noch eine Weile verletzt sein werde. Zudem war das Angebot finanziell sehr gut. Bereut habe ich diesen Wechsel nie.

Gespräche, aber keine Vertragsverlängerung

Obwohl Sie damit so ein wenig aus dem Blickfeld verschwunden sind – auch für den Bundestrainer.
Ich bin auch vor diesem Wechsel schon nicht mehr regelmäßig zum Nationalteam eingeladen worden. Aber klar, ich hatte gehofft, durch Einsätze in der Champions League wieder auf mich aufmerksam machen zu können. Es ist nun anders gekommen, andererseits habe ich mit Spartak zwei Titel gewonnen in den vergangenen Jahren.
Trotzdem haben Sie das Kapitel Russland nun beendet. Was kommt jetzt?
Es war eine schöne Zeit bei Spartak, der Club wollte noch einmal verlängern, es gab Gespräche, doch ich habe mich anderweitig entschieden.
Die Bundesliga . . .
. . . ist natürlich hoch interessant. Aber ich kann mir auch was anderes vorstellen.
Beim VfB spielen mittlerweile viele gute Bekannte von Ihnen: Christian Gentner, Andreas Beck, Mario Gomez, auch Dennis Aogo kennen Sie aus dem Nationalteam.
Eine Rückkehr zum VfB ist momentan kein Thema aber wahrscheinlich werde ich nach der Karriere wieder in der Region leben.
Wie haben Sie den Weg des VfB zuletzt verfolgt?
Ich habe – wie immer seit meinem Abschied – versucht, viele Spiele zu sehen. Und zuletzt war es echt überragend. Es hätte ja fast für die Europa League gereicht. Aber wer weiß? Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass sich der Verein nun noch einmal auf die Bundesliga konzentrieren kann.
Kann sich der Club wieder im oberen Drittel der Bundesliga etablieren?
Davon gehe ich aus. Die Signale sind gesetzt, es wird gut gearbeitet, die bereits getätigten Transfers machen auf mich einen guten Eindruck. Man sollte aber nicht den Fehler machen und jetzt Wunderdinge erwarten. Der VfB wird Schritt für Schritt wieder dorthin kommen, wohin er gehört.

Die Zukunft von Benjamin Pavard – beim VfB?

Auf ihrer Position glänzte zuletzt der junge Franzose Benjamin Pavard – prompt wird über einen Wechsel zu einem großen europäischen Club spekuliert.
Er hat tatsächlich richtig gute Spiele gemacht, jetzt ist er als 22-Jähriger bei der WM dabei – das ist überragend. Ich bin sicher, er hat eine große Zukunft vor sich.
Was würden Sie ihm raten?
Dass er vorerst beim VfB bleibt. Die Bundesliga gehört zu den Top-Ligen, beim VfB kann er regelmäßig spielen und sich weiter entwickeln. Andere Möglichkeiten ergeben sich dann ohnehin immer wieder.
Mario Gomez hat es über den VfB in den deutschen WM-Kader geschafft. Was trauen Sie der Nationalmannschaft zu in Russland?
Spanien, Frankreich, Brasilien – es gibt viele gute Mannschaften bei der WM. Aber Deutschland ist eben Deutschland. Wenn ich mir den aktuellen Kader so anschaue, bin ich sicher, dass die Mannschaft wieder sehr weit kommen wird, die Titelverteidigung ist absolut möglich. Auch wenn die letzten Testspiele nicht gut waren, wenn das erste WM-Spiel angepfiffen wird, wird das deutsche Team voll da sein. Ich sehe in Deutschland und Brasilien die beiden Topfavoriten.
Zurück zu Russland: Wie sehr leiden die Russen denn unter der vermeintlichen Chancenlosigkeit ihrer Nationalmannschaft?
Zunächst einmal gehen die Spieler trotz der mäßigen Leistungen beim Confed-Cup einigermaßen hoffnungsfroh in die WM. Und auch die Fans gehen fest davon aus, dass die Heimmannschaft zumindest die Gruppenphase übersteht.