Der Orthopäde Winfried Laschner ist aus der DDR geflohen, um sich in Stuttgart seine beruflichen Träume zu erfüllen. Als Mannschaftsarzt war er jahrelang ganz nah dran am VfB Stuttgart und begleitete die Tänzer des Stuttgarter Balletts um die ganze Welt. Auch mit 80 Jahren ist er noch für seine Patienten da.

Stuttgart - Wenn man Winfried Laschner fragt, warum er ursprünglich Medizin studieren wollte, kann er sich daran gar nicht mehr erinnern, so selbstverständlich erscheint ihm die Entscheidung im Nachhinein. „Im Leben macht man gescheite Dinge und weniger gute. Die beste Entscheidung in meinem Leben war, Medizin zu studieren und Arzt zu werden“, sagt Laschner ohne zu zögern. Im Dezember ist der Orthopäde 80 Jahre alt geworden. Ein Alter, in dem man sonst längst die wohl verdiente Rente genießen könnte.

 

Doch Laschner ist nach wie vor berufstätig. „Weil mir die Arbeit Spaß macht. Deshalb mache ich das.“ In seinem Zuhause am Frauenkopf mit herrlichem Ausblick wirkt der Orthopäde ein bisschen, als wäre er nur zu Besuch. „In der Küche kenne ich mich nicht so aus“, gibt er zu. Nach wie vor halten ihn seine Verpflichtungen und Hobbys davon ab, viel Zeit auf dem heimischen Sofa zu verbringen. „Meine Frau und ich können es uns auch gar nicht vorstellen, rund um die Uhr aufeinanderzuhocken“, sagt der 80-Jährige.

In seiner früheren Praxis im Karl-Olga-Hospital, die er im Jahr 2003 verkaufte, assistiert er noch bei Hüftoperationen. Donnerstags gibt er Sprechstunden für Patienten, die darauf bestehen, von ihm persönlich behandelt zu werden. Auch mit dem Stuttgarter Ballett, das er jahrelang auf Reisen begleitet hat, ist er bis heute eng verbunden. Zweimal die Woche schaut er dort vorbei und berät die Tänzer medizinisch, wenn Bedarf ist. Nur mit einem Kapitel in seinem beruflichen Leben hat er komplett abgeschlossen: „Seit ich beim VfB als Mannschaftsarzt aufgehört habe, bin ich nie wieder bei einem Spiel im Stadion gewesen.“ Dabei ist er nach wie vor Fan der Roten, aber auch von RB Leipzig, aus Verbundenheit mit seiner früheren Heimat. Die Trennung vom VfB sei aber nicht harmonisch verlaufen, sagt Laschner. Nachtragend oder gar verbittert wirkt er deswegen aber nicht.

Proteste gegen Ungerechtigkeiten

Auch nicht, wenn er über die Anfänge seiner Karriere spricht, die zunächst nicht reibungslos verlief. Denn trotz guten Studiums, seiner Arbeit als Landarzt und seinen erfolgreichen, wissenschaftlichen Arbeiten bleibt ihm eine Laufbahn als Hochschullehrer in Leipzig verwehrt. „Ich bin tolerant und wollte keinen Unterschied zwischen den Menschen machen“, sagt Laschner, der mit dieser Einstellung in der damaligen DDR aneckt. Als seinem Chef, einem international angesehenen Orthopäden, von heute auf morgen der Zutritt zur Klinik untersagt wird, organisiert Laschner den Widerstand gegen diese politische Entscheidung – mit Erfolg. Sein Chef darf wieder operieren, aber er selbst bekommt keine weitere Anstellung. „Also beschloss ich, woanders Hochschullehrer zu werden“, sagt Laschner.

Flucht aus der DDR

Als er im Urlaub in der Slowakei ein Ehepaar aus Bad Urach kennenlernt und daraus eine enge Freundschaft entsteht, entwickelt sich der Plan, aus der DDR zu fliehen. Ein riskanter Plan. Laschner und seine Frau fahren im Jahr 1973 offiziell in den Urlaub nach Budapest, wo sie das befreundete Paar aus Bad Urach treffen. Diese hatten ihnen gefälschte Pässe organisiert. Doch der Stempel stimmt nicht exakt mit dem überein, den man an der Grenze von Österreich nach Budapest bekam. „Unsere Freunde fragten uns, ob wir es trotzdem wagen wollen. Wir sagten ja“, sagt Laschner. Frei nach dem Motto „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, gelingt es dem Ehepaar Laschner tatsächlich, mit den gefälschten Ausweisen über die Grenze zu gelangen. Zunächst kommen sie bei einem befreundeten Arzt in Stuttgart unter – und in dieser Stadt bleiben sie. Doch auch in Westdeutschland soll es Winfried Laschner nicht gelingen, Hochschullehrer zu werden. „Vielleicht war ich schon zu alt? Ich hatte das Gefühl, die wollen mich einfach nicht“, sagt Laschner. Nach einem bedrückten Schweigen fügt er hinzu: „Mein großes Ziel der Universitätslaufbahn habe ich nicht erreicht. Das empfinde ich als Niederlage.“

Spannende Jahre beim VfB Stuttgart

Statt dessen wird er Oberarzt an der Stuttgarter Baumannklinik und leitet dort die orthopädische Abteilung. Eines Tages gehört auch Ottmar Hitzfeld, zu dieser Zeit VfB-Profi, zu seinen Patienten. „So kam es, dass sich auch andere VfB-Spieler bei mir behandeln ließen und schließlich wurde ich als Mannschaftsarzt eingestellt“, sagt Laschner. Bei allen Heimspielen ist der Teamarzt nun an der Seite seiner Mannschaft, behandelt verletzte Knie, Sehnen und Gelenke. „Ich habe immer direkt vor dem Stadion geparkt und dann standen mir alle Türen offen. Das war schon spannend“, erinnert er sich mit einem Lächeln. Es ist eine aufregende Zeit, die er von 1976 bis 1984 beim VfB mitbekommt.

Der legendäre Jürgen Sundermann ist Trainer, als die Mannschaft 1977 den Aufstieg in die Bundesliga schafft und in der Saison darauf spektakulär auf dem vierten Platz landet. Spieler wie Hansi Müller, Dieter Hoeneß oder Karlheinz Förster gehören zu der Mannschaft, die Laschner damals betreut. Aber auch Jürgen Klinsmann und den heutigen Bundestrainer Jogi Löw erlebt er als junge Spieler. „Besonders gut habe ich mich mit Gerhard Mayer-Vorfelder verstanden. Der hatte Persönlichkeit“, erinnert sich Laschner an den damaligen VfB-Präsidenten.

Nach dem Fußball kommt das Ballett

Doch die spannende Zeit für den Fußballfan Laschner endet beim VfB jäh, als der neue Trainer von ihm verlangt, den Verein auch bei Auswärtsspielen zu begleiten. „Wir Mannschaftsärzte hatten uns gerade erst bundesweit dazu verpflichtet, die Spieler der Gegnermannschaften genauso gut zu behandeln, wie die eigenen.“ Noch heute empfindet er es als ärgerlich, dass der Verein sich über dieses Abkommen hinweg setzte und auf dem Einsatz bei Auswärtsspielen bestand. „Ich konnte das beruflich und auch privat nicht leisten“, sagt Laschner. Obwohl er seine Freizeit häufig für den Beruf opfert, setzt der Arzt hier eine Grenze, auch um nicht noch weniger Zeit für seine damals noch kleinen Zwillingstöchter zu haben. Seitdem hat er das Stadion nicht mehr betreten. „Den ein oder anderen Spieler sehe ich aber noch. Darüber freue ich mich auch immer.“

Zeit zum Bedauern bleibt dem Arzt damals nicht. Denn durch seine Arbeit bei dem Cannstatter Klub sind die Tänzer des Stuttgarter Balletts auf ihn aufmerksam geworden. Nach dem Tod von John Cranko, der 1973 während eines Rückflugs von Amerika starb, ist man beim Ballett auf der Suche nach einem Arzt, der die Tänzer auch während der Reisen um die ganze Welt begleitet. Marcia Haydée, Birgit Keil, Richard Cragun und Egon Madsen sind die großen Namen, die das Stuttgarter Ballett zu dieser Zeit schmücken – und die Laschner unter seine ärztliche Obhut nimmt. Der Orthopäde begleitet sie bei ihren Reisen, beispielsweise nach Südamerika, und opfert dafür seinen Urlaub. „Als Opfer habe ich das aber nie empfunden“, sagt er. „Allerdings“, räumt er ein, „kam die Familie oft zu kurz.“ Von den Ländern, die er mit dem Ballett bereist, sieht er nicht all zu viel: „Ich habe mich verpflichtet gefühlt für die Tänzer da zu sein, wann immer sie mich gebraucht haben.“

Parallel dazu macht er sich 1984 mit einer eigenen Praxis in der Stadtmitte selbstständig, außerdem arbeitet er als Belegarzt erst im Waiblinger Krankenhaus und schließlich im Karl-Olga-Hospital. „Das habe ich als Alleinunterhalter gemacht, ohne Vertretung“, sagt er nicht ohne Stolz. Kein Wunder also, dass er seine Praxis auch nach dem Verkauf nicht ganz aufgeben kann. „Die Inhaber erlauben mir, dort noch tätig zu sein“, sagt er bescheiden. Allerdings nimmt er sich vor, in Zukunft seine Verpflichtungen langsam weniger werden zu lassen. „Ich will es langsam ausklingen lassen“, sagt er. Doch das Ballett, da ist er sich sicher, will er auch weiterhin besuchen.

Zur Person: Winfried Laschner

Winfried Laschner wurde am 13. Dezember 1937 bei Danzig geboren. Durch die Kriegswirren kam seine Familie nach Thüringen.

1956 – 1962 Studium in Leipzig

Von 1962 an arbeitet er als Landarzt in verschiedenen Dörfern in der Nähe von Leipzig.

1965 macht Laschner die Facharztausbildung zum Orthopäde in Leipzig

1973 fährt das Ehepaar Laschner offiziell in den Urlaub nach Budapest. Von dort aus flüchten sie nach Westdeutschland. Sie ziehen nach Stuttgart, wo Laschner eine Stelle als Oberarzt in der Baumannklinik bekommt.

1984 macht sich Laschner mit einer eigenen Praxis selbstständig, dazu ist er Belegarzt am Stuttgarter Karl-Olga-Hospital.

Von 1976 bis 1984 ist Laschner Mannschaftsarzt beim VfB Stuttgart

Von 1984 an bis heute betreut Laschner die Tänzer des Stuttgarter Balletts medizinisch.

Winfried Laschner ist verheiratet und hat zwei Kinder.