Eine Berufsunfähigkeitsversicherung wird auch von Verbraucherschützern dringend empfohlen, um bei schwerer Krankheit oder Unfall nicht in die Armut abzurutschen. Doch nicht jeder bekommt einen Vertrag – und nicht jeder Versicherte Geld.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Zigtausende sind betroffen, Jahr für Jahr: Fast 175 000 Bundesbürger wurden laut Zahlen der gesetzlichen Rentenversicherung 2015 ganz oder teilweise erwerbsunfähig. Im Schnitt erhalten diese Männer und Frauen eine Erwerbsminderungsrente von rund 670 Euro im Monat. Wer nicht oder weniger als fünf Jahre gesetzlich versichert ist, geht ganz leer aus. In seltener Übereinstimmung raten Verbraucherschützer wie Versicherungsgesellschaften deshalb zum Abschluss einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung, um bei Verlust des Jobs durch Krankheit, Depression oder Unfall den Lebensunterhalt zu sichern.

 

An diesem Punkt hört die Einigkeit aber auch schon wieder auf, denn die Geschäftspolitik der Versicherer wird von Verbraucherschützern massiv kritisiert. „Wer eine einzige und abgeschlossene Psychotherapie hinter sich hat, bekommt oft schon keinen Versicherungsschutz“, sagt Ana Lozancic, Beraterin bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Große Schwierigkeiten haben auch Menschen, die körperlich hart arbeiten müssen: „Für viele Handwerker sind die Versicherungsprämien so hoch, dass sie sich eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht leisten können“, erklärt Alexander Beurmann, Versicherungsberater bei der bundesweit tätigen Sozietät Falken Sammer Deppner.

Jeder vierte Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsrente wird abgelehnt

Doch selbst wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung hat, bekommt im Ernstfall nicht immer Geld: Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wurden 2014 rund 23 Prozent aller Leistungsanträge abgelehnt. Diese Zahl stammt aus der letzten Branchenerhebung des GDV und bezieht sich auf Angaben von Unternehmen, die 84 Prozent des Marktes in der Berufsunfähigkeitsversicherung abdecken. Hinweise auf die wichtigsten Ablehnungsgründe liefert eine kleinere Erhebung der auf Versicherungen spezialisierten Ratingagentur Franke und Bornberg: In den meisten Fällen seien die Antragsteller noch zu mehr als 50 Prozent ihrer früheren Arbeitszeit einsatzfähig gewesen, schreiben die Experten. Ein weiteres Viertel der Ablehnungen hätten die Anbieter damit begründet, dass der Kunde bei Vertragsabschluss falsche oder unvollständige Angaben gemacht habe.

Dieser Vorwurf sei oft schwer zu widerlegen, sagt der auf Berufsunfähigkeitsversicherungen spezialisierte Anwalt Florian Schlenker von der Stuttgarter Kanzlei Prettl, Ebner-Klöppl und Partner. Viele Kunden machten aus Unkenntnis Fehler bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen, die ihnen vor Vertragsabschluss von der Versicherung zugeschickt werden. Auf Fragen nach Beschwerden im Hals-Nasen-Ohren-Bereich solle man vorsichtshalber auch eine einfache Grippe angeben, empfiehlt Schlenker, denn vor Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente frage die Versicherung bei den behandelnden Ärzten die gesamte Krankengeschichte ab – und könne jede Abweichung von den Angaben des Versicherten zum Anlass nehmen, die Leistung zu verweigern.

Fragwürdige Gutachten

Angreifbar sind nach Schlenkers Erfahrung dagegen häufig die Gutachten über den Grad der Berufsunfähigkeit, die von Versicherungen beauftragte Sachverständige erstellen. „Es gibt eine ganze Szene von Gutachtern, die vorrangig nur für Versicherer arbeitet und genau weiß, was die lesen wollen.“ Eine gängige Methode seien etwa neuropsychologische Tests, die der Entdeckung von Hirnstörungen dienten. Wer diese bestehe, dem werde von einigen Gutachtern jede Erkrankung abgesprochen – obwohl die Tests zur Ermittlung emotionaler Probleme wie Depressionen oder Angststörungen ungeeignet seien. Vor Gericht bestünden durchaus gute Chancen, ein solches Gutachten anzufechten. Allerdings reichen nur rund zehn Prozent der Versicherten, deren Antrag abgelehnt wurde, Klage ein.

Viele Betroffene sind wohl einfach zermürbt: Durchschnittlich 168 Tage vergehen laut der Erhebung von Franke und Bornberg von der ersten Meldung einer Berufsunfähigkeit bis zur Entscheidung über die Auszahlung der Leistungen. Zum Teil liegt das zwar an verspäteten Angaben der Versicherten oder der beteiligten Ärzte, aber auch die Versicherungsgesellschaften haben es nach den Erfahrungen von Rechtsanwalt Schlenker nicht immer eilig: „Der Versicherte reicht seine Unterlagen ein und erfährt manchmal erst nach Wochen, dass etwas fehlt. Liefert man dann nach, dauert es wiederum Wochen bis zu dem Bescheid: ‚Auf Basis dieser Unterlagen können wir nicht entscheiden, wir müssen die Ärzte fragen.‘“

Verbraucherschützer fordern Reform der Reform

Der Bundesverband der Versicherten fordert angesichts der zahlreichen Schwierigkeiten eine Rückkehr zum 2001 abgeschafften gesetzlichen Berufsunfähigkeitsschutz. Angesichts der Belastung der gesetzlichen Rentenkasse ist diese Forderung allerdings umstritten: „Der demografische Wandel wird ohnehin noch erhebliche Kosten mit sich bringen“, gibt der Direktor des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF), Dirk Ulbricht, zu bedenken. Gesetzlichen Handlungsbedarf sieht er nur für Handwerker und andere Beschäftigte, deren Tätigkeit hohe Risiken mit sich bringt.

Büroangestellten dagegen könne eine private Absicherung zugemutet werden – die nach Ansicht Ulbrichts für diese Gruppe auch nicht zwingend ist. „Man muss sich bewusst dafür entscheiden, wie man sein Geld einsetzen will und mit welchen Risiken man leben kann und möchte. Die Berufsunfähigkeit kann drohen, das Alter kommt sicher.“ Vordringlich ist aus Sicht des IFF-Direktors, für den Ruhestand zu sparen und existenzielle Risiken mit einer Haftpflichtversicherung abzudecken.