Erstmals lassen Bund und Länder erkennen, in welcher Reihenfolge sie die Corona-Beschränkungen wieder aufheben wollen. Aber auch Verschärfungen sind nicht ausgeschlossen.

Berlin - Sie will weiter nichts überstürzen. Nach ihrer neuerlichen Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer betonte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstagabend „die große Verantwortung, alles in unserer Macht stehende zu tun, damit es keinen Rückfall in eine schwierigere Phase gibt“. Noch traut Merkel der zuletzt gesunkenen Zahl von Corona-Neuinfektionen nicht. Deshalb gibt es für sie auch „keinen Automatismus“ hin zu einer Normalisierung.

 

Diesen anhaltend vorsichtigen Kurs tragen die Länderchefs weiter mit. Sie stellten klar, dass der Weg aus der Corona-Krise keine Einbahnstraße ist und es auch wieder Verschärfungen geben kann: „Wenn es erneut zu einer überregionalen Infektionsdynamik kommt, die eine Überforderung des Gesundheitssystems befürchten lässt, müssen die Beschränkungen auch in allen Ländern ganz oder teilweise wieder eingeführt werden“, heißt es in dem neuen Beschluss. Erstmals wird zudem festgehalten, dass es lokal zu noch drastischeren Maßnahmen wie der Absperrung bestimmter Regionen kommen könnte, wenn es „eine regionale Dynamik mit hohen Neuinfektionszahlen“ gäbe: „Darüber hinaus können auch Beschränkungen nicht erforderlicher Mobilität in die besonders betroffenen Gebiete hinein und aus ihnen heraus im Einzelfall geboten sein.“

Kleine Öffnungsschritte beschlossen

Vor diesem Hintergrund wurden aktuell nur kleine Öffnungsschritte beschlossen, über die schon im Vorfeld weitgehend Einvernehmen hergestellt worden war: Von nächster Woche an werden bundesweit wieder Gottesdienste abgehalten – mit Gesundheitsschutzkonzepten, die die Religionsgemeinschaften ausgearbeitet haben. Unter hygienischen Auflagen dürfen im ganzen Land wieder Spielplätze, Museen, Ausstellungen und botanische wie zoologische Gärten öffnen.

Für alle weiteren Schritten soll abgewartet werden, wie sich der erste, vor allem den Einzelhandel betreffende Öffnungsbeschluss vom 15. April auf die Infektionszahlen auswirkt – wegen der verzögerten Umsetzung und der Inkubationszeit des Virus ist das erst kommende Woche möglich, weshalb dem baden-württembergischen Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) zufolge „die großen Themen der Öffnung“ erst nächsten Mittwoch mit Merkel besprochen werden sollen: „Erst wenn wir wissen, wie die Lockerungen wirken, können wir seriös entscheiden.“

Gleichwohl ist nach der Runde am Donnerstag zum ersten Mal zumindest schemenhaft erkennbar, in welcher Reihenfolge Bund und Länder die Corona-Auflagen wieder aufzuheben gedenken – die erste Exit-Strategie, wenn man so will. Und so meinte denn auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), es sei den Regierungschefs „heute besser gelungen als manches Mal zuvor“, Stückwerk zu vermeiden, „Zeitachsen“ zu definieren und eine längerfristige Perspektive zu geben: „Perspektive heißt, dass wir auch ein bisschen Licht am Ende des Tunnels sehen.“ Konkretisiert werden soll der Fahrplan der Kanzlerin zufolge in der nächsten Woche, „sodass wir nicht nur prinzipiell sagen ,Wir wollen mal wieder aufmachen‘, sondern auch die Schritte nennen“.

Kita-Öffnungen besonders dringlich

Ganz oben auf der Dringlichkeitsliste steht die Rückkehr der Kinder in Kitas, Kindergärten und Schulen. Dafür soll Kanzleramtschefs Helge Braun (CDU) nun mit seinen Länderkollegen bis Mittwoch einen Beschlussvorschlag erarbeiten - auf Grundlage der Konzepte, die die Fachministerien bereits erarbeitet haben. „Fachlich ist jetzt genau überlegt worden, wie man schrittweise öffnen kann“, sagte der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher für die SPD-regierten Länder, „hinter den Stufen steht aber noch kein Datum.“ Das soll es am Mittwoch geben, falls die Corona-Fallzahlen bis dahin nicht sprunghaft angestiegen sein sollten. Braun & Co. wurden auch beauftragt, bis dahin einen Vorschlag „zur schrittweisen Wiederaufnahme des Sportbetriebes zu erarbeiten“. Kretschmann zufolge wird kommende Woche zudem besprochen und eventuell auch entschieden, ob und unter welchen Bedingungen kleinere private wie öffentliche Veranstaltungen wieder zugelassen werden. Aus dem Beschluss vom Donnerstag ist freilich nicht allzu viel Hoffnung auf einen nahen Termin abzuleiten, dies sei, so heißt es, „noch nicht abzusehen und abhängig vom weiteren epidemiologischen Verlauf“.

Für die übernächste Videokonferenz, die ebenfalls noch im Mai stattfinden dürfte, sind die zuständigen Ministerien in Bund und Ländern von ihren Chefs aufgerufen, „Vorschläge für Rahmenbedingungen schrittweiser Öffnungen von Gastronomie- und Tourismusangeboten und für die weiteren Kultureinrichtungen vorzubereiten“. Dann wird es also um Kinos und Theater, den inländischen Fremdenverkehrsbetrieb sowie Cafés, Hotels und Restaurants gehen - für Söder „die größte Herausforderung, weil in der Gastronomie ein Mundschutz wenig Sinn macht und das Distanzgebot, das das zentrale Element ist und bleibt, angesichts von Alkohol zumindest schwerer konsequent umsetzbar ist“.

Zum Leidwesen derjenigen, die einen Sommerurlaub planen oder schon gebucht haben, kommt die Regelung der Reisetätigkeit im Fahrplan von Bund und Ländern erst zu einem späteren Zeitpunkt. Kanzlerin Merkel verwies darauf, dass die Öffnungsdebatte in Deutschland im europäischen Vergleich „auf einem sehr komfortablen Niveau“ stattfinde, während sich beispielsweise das Nachbarland Frankreich noch bis mindestens 11. Mai im „totalen Lockdown“ befinde: „Deshalb steht die Frage, ob man innerhalb Europas reisen kann, jetzt noch nicht auf der Agenda - das muss ich ganz einfach so sagen.“

Mehr langfristige Klarheit, nämlich eine negative, gibt es bei den mindestens bis zum 31. August untersagten Großveranstaltungen. Was darunter zu verstehen ist, hat die Ministerpräsidentenkonferenz nun genauer definiert. Dazu gehören „Volksfeste, größere Sportveranstaltungen mit Zuschauern, größere Konzerte, Festivals, Dorf-, Stadt-, Straßen-, Wein-, Schützenfeste oder Kirmes-Veranstaltungen“.