Hildrizhausen steht unter Käferquarantäne. Seit dort der exotische Asiatische Laubholzbock gefunden wurde, durchstreifen amtliche Käferfahnder das Dorf im Schönbuch. Vier Jahre lang gilt dort nun der Ausnahmezustand.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Hildrizhausen - Der Katastrophenalarm kauerte in einem Plastikkübel. Als am 5. August, einem Freitag, ein Mann mit einem Eimerchen in der Hand an der Tür klingelte, war das Rathaus schon geschlossen. Der Bürgermeister Matthias Schöck öffnete ihm trotzdem. Der Gast erzählte, er habe eine Fernsehsendung gesehen über einen aus Asien eingewanderten Schädling und hielt Schöck den Eimer hin. Damit bekam dieser ein Problem überreicht, von dem er „nicht unbedingt dachte, dass man sich mit ihm beschäftigen muss“, wie Schöck es formuliert.

 

Im Kübel war ein Asiatischer Laubholzbockkäfer. Der eingeschleppte Exot besiedelt in Europa bevorzugt Laub-, aber auch Obstbäume und bedeutet für seine Wirte den sicheren Tod. Der Käfer selbst ist harmlos, aber seine Larven fressen sich durch die Stämme befallener Bäume, bevor sie diese verlassen. Die Bäume sterben nach wenigen Jahren. Etwa 30 Eier legt jedes Holzbock-Weibchen unter der Rinde ab, einzeln. Was eine Verbreitung des Exoten im Kreis Böblingen bedeuten würde, dürfte leicht vorstellbar sein. Eben erst ist der Schönbuch zum schönsten Wald Deutschlands gewählt worden.

Die Gemeinde steht amtsoffiziell unter Quarantäne

Deshalb steht Hildrizhausen zweieinhalb Wochen nach dem Fund amtsoffiziell unter Käferquarantäne. Der Bürgermeister, der Landrat Roland Bernhard und sechs Fachleute für den Forst sitzen im Rathaus an einem Tisch und versprechen „absolute Transparenz“, mehrfach. Auf diese Pressekonferenz folgt an diesem Montag eine Versammlung, bei der Fragen der Bürger beantwortet werden sollen.

„Wir werden den Käfer ausrotten“, sagt Bernhard. Das ist allerdings nicht so einfach. Vier Jahre lang gilt in einem befallenen Gebiet der Ausnahmezustand. So fordert es die EU, die wegen der zunehmenden Verbreitung des Exoten in Europa ein strenges Regelwerk zur Bekämpfung erlassen hat. Gemäß den Erfahrungen aus der Vergangenheit vergehen bis zur tatsächlichen Ausrottung aber eher zwölf als vier Jahre. Was daran liegt, dass befallene Bäume schwer zu identifizieren sind.

Der Forstmann Daniel Berner stellt Holzscheiben auf den Tisch, die aus den Stämmen gefällter Bäume gesägt wurden. Die Käferweibchen bohren Ritzen in die Rinde, um in ihnen Eier abzulegen. Die Stelle harzt, der Schaden ist aber zunächst kaum zu erkennen. Beginnt der Nachwuchs, sich ins Holz zu fressen, keimt der Verdacht. Fingerdicke Löcher im Stamm, mit Rändern so glatt, als wären sie mit der Maschine gebohrt, sind typisch für den Exoten. Aber sie sind kein Beweis, denn sie können auch von heimischen Insekten stammen, etwa vom Alpenbock. Der steht unter strengem Naturschutz. Für die letzte Gewissheit werden DNA-Analysen in Auftrag gegeben.

Die absolute Transparenz hat auch ihre Nachteile. Letztlich müssen die Fachleute offenbaren, dass sie bis jetzt nicht wesentlich mehr wissen als am Tag des Fundes im Eimer. Das Fällen von acht befallenen Bäumen können sie verkünden und dass an drei Stellen insgesamt 14 Käfer gefangen wurden. Morgen können es 15 sein und gleich darauf neun Bäume. Amtliche Käferfahnder durchstreifen das 3600-Einwohner-Dorf. Sie klingeln bei Gartenbesitzern, lassen Spürhunde an Stämmen nach den Insekten schnüffeln. Baumkletterer werden folgen, um bis in die Wipfel hinein nach den typischen Bohrlöchern zu suchen.

Etliche Quadratkilometer müssen untersucht werden

Auf einer Fläche von gut drei Quadratkilometern um einen Käferfund müssen sämtliche Bäume untersucht werden. Ganz Hildrizhausen misst zwölf Quadratkilometer. Bisher standen alle befallenen Bäume am südwestlichen Ortseingang. „Im Moment sieht es günstig aus“, sagt Hermann Maier, der im Auftrag des Regierungspräsidiums befallene Gebiete sichtet. Der Käfer scheint nur begrenzt verbreitet. Aber womöglich hat ein Grundeigentümer vor Jahren schon einen Baum gefällt und den Schädling verschleppt.

Die Folgen des Befalls werden erst im Herbst sichtbar. „Es ist bitter, aber es gibt keine andere Möglichkeit“, sagt Regina Maier, die Leiterin des Kreis-Landwirtschaftsamts. Im Umkreis von 100 Metern um einen befallenen Baum müssen nahezu alle Laubbäume gefällt und verbrannt werden. „Das ist Verordnung“, sagt Maier. Der Kahlschlag ist nur verschoben, weil die Käfer derzeit ihre Eier ablegen. Üblicherweise besiedeln sie einen Baum, bis er stirbt, und wandern dann auf einen benachbarten ab. Werden sie in der Zeit der Eiablage aufgescheucht, fliegen sie weite Wege. Dann beginnt womöglich an anderer Stelle in ein, zwei Jahren dieselbe Prozedur, denn mit jedem neuen Käferfund beginnt der vierjährige Ausnahmezustand von vorn.

Nach seinem Ende ist trotz des Kahlschlags „für den Laien kein großer Unterschied erkennbar“, sagt Hermann Maier. Gefällte Bäume werden gegen andere ersetzt, die der Käfer nicht befällt. Allerdings sind die Erfahrungen hierzulande rar. Laut dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen ist in den USA, Kanada, Frankreich, Österreich und den Niederlanden aus zwölf Gebieten die Ausrottung des Käfers gemeldet worden – zusammengerechnet, aus Deutschland kein einziges Mal.