Wie richtet sich der Mensch in der Zukunft ein? Experimente von Künstlern und Architekten zeigen – eher luftig und klein.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Wer ein neuer, anderer Mensch werden will, muss vieles hinter sich lassen, der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche hat dafür das Bild des Phoenix beschworen „verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist!“

 

So weit gehen die Leute, die dem Minimalismus frönen, hoffentlich nicht, aber einen Großteil ihrer Habe werden sie bei der Selbst-Entrümpelung schon oft los, bevor sie in ein dann fast leeres WG-Zimmer einziehen oder sich ein Tiny-House kaufen.

Wohnen in Tiny Houses liegt im Trend. Hunderttausende, die minimalistisch auf wenig Platz – aber doch in einem eigenen Haus – leben wollen, schließen sich auf sozialen Netzwerken, in Vereinen und Verbänden zusammen. Sie tauschen Erfahrungen aus, wo sich die Häuser mit einer Größe von 20 bis 50 Quadratmetern aufstellen lassen, wie man all seine Sachen loswird, wo es architektonisch ansprechende Hausproduzenten gibt.

So viele Brachflächen und Grünstreifen, bebaubare Flachdächer und Garagen, auf denene solche Kleinsthäuser stehen, gibt es freilich nicht, um des Problems fehlenden Wohnraums beizukommen. Doch temporäre, mobile Orte zum Leben schaffen, neue Wohnformen ausprobieren, ist absolut angesagt – nicht nur als Mini-Eigenheim, sondern auch als Unterbringungsmöglichkeit für Geflüchtete oder Menschen, die nach Naturkatastrophen ihr Zuhause verloren haben.

Die Frage, wie man anders wohnen kann und wird – auch angesichts steigender Immobilien- und Energiepreise – hat schon zu früheren Zeiten Baumeister und Philosophen umgetrieben. Eine andere Energiekrise, nämlich die Ölkrise in den 70ern sorgte für das Aus eines der ersten berühmten Tiny Houses: Matti Suuronens „Futuro“ von 1968.

Die Geschichte der Tiny Houses

Der finnische Architekt (1933-2013) sollte ein schnell heizbares Gebilde bauen, das auch auf einem winterlichen Hang stehen könnte. Er war fasziniert von neuen Materialien, sein elliptische geformtes Häuschen, gebaut mit fiberglasverstärktem Polyester und Polyurethanschaum war in zwei Tagen aufgebaut und konnte komplett von einem Helikopter auf den Berg gebracht werden.

Einige Dutzend „Futuros“ wurden gebaut, das Ufo ähnliche Wohngebilde wurde als futuristisch gefeiert und auch für Film- und Fotoaufnahmen benützt. Als während der Ölkrise Plastik teuer wurde und die ersten Umweltschützer gegen Kunststoff protestierten, sank das Wohn-Ufo in der Gunst der Menschen. Die ersten Modelle sind längst im Designmuseum in Rotterdam und München.

Das museumsreife Gebäude ist gleichwohl Teil eines Forschungsprojekts, das das Wohnen grundsätzlich untersucht. Ist das Haus eine zweite Haut, ein Schutz vor der Außenwelt, vor Lärm, Hitze, Kälte? Muss der Mensch überhaupt noch das Innere verlassen, wenn er alle Interaktionen medial, via Internet erledigen kann?

Philosophen, Künstler, Designer, Historiker, Architekten und Landschaftsarchitekten – darunter Vilém Flusser, Alessandro Mendini, Hans Hollein, Bruce Nauman – beleuchten das Thema in klugen Aufsätzen, die in dem Buch „Open House – Designing Spaces for Living“ über die Gestaltung von Lebensräumen versammelt sind.

Der Erste, der den Begriff „Mikrohaus“ verwendete, war Ken Isaacs, der auch in dem Buch vertreten ist. Der amerikanische Designer schrieb 1974 in ein Buch über modulare Häuser mit dem Titel „Wie man eigene Wohnstrukturen baut“ und zeigte dort auch Grundrisse und Produktionshinweise.

Er entwarf flexible modulare Systeme, die sich nach den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und niedrige Produktionskosten haben. Isaacs unterrichtete an der Cranbrook Akademie experimentelle Architektur. Sein „Fun House“ (1967) sollte auf alles Überflüssige verzichten und mobil ohne Fundament aufstellbar sein und zugleich vor Hitze und Wind schützen, Schatten und Schutz bieten – ein Vorläufer der Tiny Houses.

Fliegende Häuser

Wie will der Mensch in Zukunft wohnen, das könnte zum Beispiel so aussehen – wie eine Mischung aus fliegenden Häusern, Raumfahrtmobil und futuristischem Gebilde aus recyceltem Material und Solarpaneelen und vier Flügeln, wie der Künstler Andreas Kressig im Jahr 2022 es entworfen hat.

In der Luft hängende Zelte, technische ausgetüftelte Objekte wie Räder, die auch im Wasser fahren und überdies Übernachtungsmöglichkeiten bieten, sind hier ebenso versammelt wie Neonlichter vor Glaswänden, die poetische Wohnlabyrinthe darstellen und Wohnklötzchen aus recyceltem Beton aus dem 3D-Drucker.

Und mit „A Place To Call Home“ (ein Ort, den man ein Heim nennt) thematisieren Joseph Ashmore und Laura Heycoop im Jahr 2021 für Shelter Projects das Thema Recht auf Schutzraum– und wie wenig Platz Menschen zur Verfügung haben können. Sie schufen als „radikale symbolische Geste“ einen von einer Wiese abgezirkelten Erdboden mit 17,5 Quadratmetern, eine Grundfläche für ein Schutzgebäude für eine Gruppe von fünf Menschen. Das Projekt erinnert daran, dass diese Fläche nur einen Bruchteil der üppigen durchschnittlich 49 Quadratmeter darstellt, die jeder Mensch in Deutschland im Durchschnitt heute für sich beansprucht – noch.

Info

Buch
Simon Lamunière: Open House. Designing Spaces for Living. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich. (Texte auf Englisch und Französisch). 323 Seiten, 38 Euro

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