Die Dramatik
„In Doha fand neulich das engste Rennen der MotoGP-Geschichte statt. Die ersten 14 Fahrer lagen innerhalb von 6,5 Sekunden, zwei Zehntel Unterschied pro Runde haben darüber entschieden, ob ein Pilot aufs Treppchen kam oder Achter wurde – das war Irrsinn! Diese enorme Leistungsdichte liegt hauptsächlich an den Regeln: Vorgeschrieben ist seit ungefähr zehn Jahren eine Einheitselektronik, einem Riesenkonzern wie Honda ist es deshalb nicht möglich, Ressourcen aus anderen Bereichen wie der Formel 1 oder der Forschung zu intelligenten, lernenden Elektroniksystemen zu verwenden. Außerdem fährt jeder den Einheitsreifen von Michelin, die Spritmenge ist auf 22 Liter begrenzt. Diese drei Vorgaben verhindern die Dominanz eines Herstellers. Ducati hat zwar die höchste Leistung und das beste Startsystem, wird aber in der zweiten Hälfte der Rennen durch Reifen- und Spritverbrauch etwas eingebremst. Die Yamaha ist ein bisschen langsamer, dafür jedoch in den Kurven stärker und reifenschonender. Dieses Puzzle so zusammenzusetzen, das alles optimal passt, ist für alle Teams enorm schwierig. Und es sorgt zugleich für eine unvergleichliche Spannung.“
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Die Show
„In der MotoGP gibt es keine Boxenstopps, keine Reifenwechsel, kaum mal eine Safety-Car-Phase oder Unterbrechung. Der Zuschauer weiß: Wer den Pulk von 20 Piloten anführt, liegt im Rennen auch wirklich vorne. Er hat nur Überholmanöver seiner Konkurrenten zu fürchten, diese sind allerdings an fast jeder Ecke und aus eigener Kraft möglich – es bedarf keiner Hilfen wie dem DRS-System in der Formel 1. Die MotoGP zeigt simple, saubere, spektakuläre Action. Und dazu noch Bilder einer unvergleichlichen Fahrdynamik. Wie sich die Piloten rechts und links in die Kurven legen, bei 65 Grad Schräglage mit ihren Ellbogen über den Asphalt schleifen, den Helm fast auf dem Boden: das sind dermaßen wilde Ritte, die ein Autorennen einfach nicht bieten kann.“
Das Tempo
„Die Entwicklung ist rasant, in Katar wurde zum Auftakt der Saison gleich ein neuer Geschwindigkeitsrekord aufgestellt – Johann Zarco fuhr auf seiner Ducati 362,4 km/h. Das war zwar am Ende der Gerade mit einem Verbremser verbunden, doch von solchen Zahlen lebt der Mythos MotoGP. Die Kraft dieser Motorräder ist brachial, auf einer Landebahn des Frankfurter Flughafens wären bei passender Übersetzung und Abstimmung Tempo 400 und selbst 450 kein großes Problem. Die Bikes wiegen 157 Kilogramm, dazu kommt der Fahrer, der inklusive der kompletten Ausrüstung ungefähr 70 Kilogramm auf die Waage bringt. Das bedeutet bei rund 290 PS ein Verhältnis von weit mehr als einem PS pro Kilogramm – das ist unglaublich! Wer mit diesen Raketen auf zwei Rädern bei 300 Sachen Gas gibt, spürt immer noch eine enorme Beschleunigungskraft. Entsprechend gefährlich ist die MotoGP, diese Motorräder verlangen einen äußerst respektvollen Umgang.“
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Die Typen
„Noch nie zählten so viele Weltmeister und Grand-Prix-Sieger zum Feld – das fahrerische Niveau in der MotoGP ist höher als je zuvor, was auch mit der Ausbildung der Piloten zu tun hat. Mittlerweile gibt es nicht nur in Spanien, wo Motorradfahren Volkssport ist, eine hervorragende Struktur von bezahlbaren Rennserien, die aufeinander aufbauen und in denen sich Talente perfekt entwickeln können, sondern weltweit sehr gute Plattformen für Nachwuchsfahrer. Dazu kommt, dass die MotoGP aktuell ein Sammelbecken großer Stars ist, die trotzdem nahbar, bodenständig und geerdet sind. Sie rempeln sich zwar mal bei 300 km/h auf der Strecke an, aber letztlich ist es ein grundehrlicher Sport mit echten Kerlen, die keine flachgebügelten PR-Maschinen sind, wie man sie aus anderen Sportarten kennt.“
Die Strahlkraft
„Aktuell gibt es weltweit fast kein Land mehr ohne exklusiven TV-Partner, entsprechend groß ist der Werbewert der MotoGP. Sie überstrahlt alles. Auch deshalb tummeln sich gleich sechs der größten und namhaftesten Hersteller in dieser Serie. Ducati, Honda, Yamaha, Suzuki, KTM und Aprilia wollen durch Erfolge auf der Rennstrecke einen Imagetransfer auf die Straße schaffen – und sie wissen, dass sie dafür keine bessere Bühne als die MotoGP finden könnten. Nur BMW und Kawasaki haben sich dafür entschieden, etwas weniger Geld zu investieren, sie konzentrieren sich auf andere Serien. Das ist sehr schade, im Fall von BMW aber nachvollziehbar: Die Automarke aus München ist so stark, dass das Zweiradprodukt schon allein deshalb sehr gut läuft.“