Experte über die Zukunft der Lebensmittel-Lieferdienste „Das wird eine Nische bleiben“
Der Wirtschaftswissenschaftler Gerrit Heinemann glaubt nicht, dass Lebensmittel künftig überwiegend im Internet gekauft werden. Er hat Gründe für diese Zweifel.
Der Wirtschaftswissenschaftler Gerrit Heinemann glaubt nicht, dass Lebensmittel künftig überwiegend im Internet gekauft werden. Er hat Gründe für diese Zweifel.
Stuttgart – Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein lehrt und forscht seit Jahren zu digitalem Handel. Im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung äußert er sich über die Zukunft der Lebensmittel-Lieferdienste. - Herr Heinemann, während der Corona-Pandemie haben die Online-Bestellungen von Lebensmitteln stark zugenommen. Erwarten Sie, dass dieser Trend anhält?
Corona war ohne Frage ein Dammbruch für den Online-Handel mit Lebensmitteln. Die Branche hatte hier bislang die rote Laterne, entsprechend viel Potenzial gab es. Allerdings werden die Wachstumsraten nicht auf dem Niveau des Jahres 2020 bleiben. Man darf sich da nichts vormachen: Der Lebensmittelversand wird die Supermärkte nicht verdrängen, sondern eine Nische bleiben.
Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Gerade bei Frischeprodukten ist es einfach ein enormer logistischer Aufwand, die Kühlkette bis zur Haustüre aufrechtzuerhalten. Und der Kunde muss auch zu Hause sein, wenn die Ware eintrifft. Man kann Käse im Sommer ja nicht ungekühlt vor die Türe stellen oder dem Nachbar geben, in dessen Kühlschrank womöglich auch nicht genügend Platz ist. Berufstätige im Homeoffice könnten hier potenzielle Kunden sein, aber das ist eben begrenzt. Die meisten Unternehmen beliefern aufgrund dieser Herausforderungen ohnehin nur große Städte, um die Transportwege möglichst kurz zu halten. Das ist insgesamt ein sehr urbanes Angebot, das die Landbevölkerung klar benachteiligt.
Wäre es dann stattdessen ein mögliches Modell, sich auf den Versand lang haltbarer Lebensmittel zu fokussieren?
Auch das ist nur bedingt rentabel. Die Gewinnmargen in der Lebensmittelbranche sind sowieso schon relativ gering, dann kommen noch Versandkosten dazu. Und viele Kunden sind nicht bereit, entsprechend höhere Preise zu bezahlen. Es ist kein Zufall, dass hier der Discounter erfunden wurde. Die Deutschen kaufen vor allem Grundnahrungsmittel extrem preisorientiert. Die Wohlstandsproblematik und die weiter wachsende Arm-reich-Schere werden dazu beitragen, dass das auch mittelfristig so bleibt.
In Frankreich oder Großbritannien sind Lieferdienste etablierter. Wie lässt sich das erklären?
Kein Land hat ein so dichtes Netz an Supermärkten wie Deutschland. Die Einkaufsmöglichkeiten sind flächendeckend verteilt, auch in ländlichen Regionen. Das ist zum Beispiel in Frankreich anders. Die Kunden in Großbritannien sind zudem grundsätzlich online-affiner als die in Deutschland. Daher wäre es überraschend, wenn das gerade bei den Lebensmitteln anders wäre.
Sehen Sie eine Wachstumsgrenze?
Der Online-Handel mit Lebensmitteln wird in Deutschland weiter zunehmen, aber nicht dominieren. Zehn Prozent Marktanteil halte ich für das Maximum in den kommenden zehn Jahren. Das wäre dann schon ein gigantisches Volumen.