Hasskommentare verunsichern, schüchtern ein und diskreditieren den demokratischen Diskurs. Nutzer, die sich solchen Nachrichten ausgesetzt sehen, können sich aber dagegen wehren.

Stuttgart - Jeder zwölfte Jugendliche hat bereits Erfahrungen mit Hate Speech gemacht. Das ist das Ergebnis einer vom Campact in Auftrag gegebenen Studie, die 2019 veröffentlicht wurde. Hassrede kann laut der Organisation unter anderem zu Depressionen und Schlafstörungen führen. Sie verunsichere und sei eine Belastung für den Alltag. Im schlimmsten Fall stachelt verbale Gewalt im Internet zu Attacken gegen Minderheiten auf, wie es jetzt beim Anschlag in Hanau zu erleben war. Der Rechtsterrorist Tobias R. hatte im Netz einen Resonanzraum für seine hasserfüllten Ansichten gefunden.

 

Das Problem beginnt bereits bei der Definition von Hate Speech. Das Ministerkomitee des Europarats hat 1997 Hate Speech als Ausdrucksform definiert, die „Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von Hass, die auf Intoleranz gründen, propagiert“. Die Bundeszentrale für politische Bildung sagt hingegen, „Hassrede“ sei ein politischer Begriff und unterliege einer sehr offenen Definition. Nicht jeder Hasskommentar sei strafbar.

Mehrere Organisationen beraten bei Hate Speech

Menschen haben verschiedene Möglichkeiten, sich gegen die Belästigung zu wehren: Sie können sich zum Beispiel an die Meldestelle „respect!“ des Demokratiezentrums Baden-Württemberg wenden, an die Organisation „HateAid“ aus Berlin oder die „Hate-Speech-Beauftragten“, die von einer Landesregierung ernannt werden. In Baden-Württemberg gibt es diese nicht, aber beispielsweise in Hessen oder Bayern.

Jannes Rupf, Projektkoordinator Politische Bildung beim Internationalen Bund (IB) Süd in Stuttgart, informiert Jugendliche in Workshops über die Folgen von Attacken im Internet. Der IB bietet eine Workshop-Reihe mit dem Titel „#HassIstKeineMeinung“ an, in denen auf die Ursachen, rechtliche Aspekte und Abwehrmethoden gegen diese Herabwürdigungen eingegangen wird.

Prozesskosten werden von der Organisation übernommen

„HateAid“ bietet eine Sofortberatung an, erklärt Jannes Rupf. Die Organisation vertritt auch Betroffene, wenn es zu einem Prozess kommt. Ist es so weit, übernehme die Organisation die Kosten, das heißt Opfern entsteht kein finanzielles Risiko. Im Gegenzug verpflichten sich Betroffene, das ihnen zugesprochene Schmerzensgeld an den Verein zu spenden.

Das Vorgehen gegen Hate Speech ist sehr einfach: Wer in den sozialen Medien übel angegriffen wird, macht zum Beispiel einen Screenshot des Angriffs und zeigt ihn der Meldestelle „respect!“, die bewertet, ob eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft angemessen wäre.

Hasskommentare zu löschen reicht nicht

Auch wenn es bereits Möglichkeiten gibt, sich zu wehren, hat Rupf Forderungen an die Politik: Sie müsse den gesetzlichen Rahmen für die Verfolgung von Hate Speech schaffen, aber auch die Justiz- und Polizeibehörden mit finanziellen Mitteln zur Verfolgung der Delikte ausstatten, erklärt der Politikwissenschaftler. Es reiche nicht, dass die Betreiber sozialer Netzwerke die Hasskommentare löschen würden. Man müsse Menschen mit antiliberalen Ideen zur Verantwortung ziehen.

Friederike Hartl äußert sich ähnlich wie Jannes Rupf. Die Bildungsreferentin des Stadtjugendrings Stuttgart bietet pro Jahr 15 bis 20 Workshops an, die sich mit Rassismus, Antisemitismus und Hate Speech beschäftigen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Hassreden in Klassenchats mehr werden. Auch die Wahrnehmung von pädagogischen Fachkräften zu diesem Thema nimmt zu, und sie erkennen darin Probleme.“ Sie habe es erlebt, dass sich Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, durch verbale Einschüchterungen leiser werden und sich aus dem virtuellen Raum zurückziehen. Angegriffene müssten gestärkt werden und Solidarität im öffentlichen Raum erfahren.

Und dann gibt es noch eine ganz einfache Lösung, für alle, bei denen die persönliche Betroffenheit das erträgliche Maß nicht überschreitet: „Man sollte sich immer auch überlegen, ob man sich auf Facebook auf eine Diskussion einlasse und wie viel Energie man darauf verschwende“, rät Hartl.