Die Wildtierökologen aus Freiburg wissen nicht, wo sich der „Kallenberger Wolf“ zur Zeit aufhält. Die Mitarbeiterin Laura Huber-Eustachi vermutet, dass er noch ein Revier und eine Partnerin sucht.

Korntal-Münchingen/Freiburg - Der Wolf, der vor zwei Wochen in Korntal-Münchingen gesehen wurde, ist wohl ein wild lebendes Tier. Die Experten der Forstwirtschaftlichen Versuchsanstalt in Freiburg (FVA) haben über ihn zwar noch keine näheren Erkenntnisse. Sie sind sich aber sicher, dass er nicht aus einem der zahlreichen Tierparks oder Gehege entkommen ist, in denen Wölfe leben. Laura Huber-Eustachi von der FVA erklärt, wie sie dazu kommt.

 
Frau Huber-Eustachi, weiß man mittlerweile Näheres über den „Kallenberger Wolf?“
Nein. Wir wissen weder, woher er kam, noch ob es ein Männchen oder ein Weibchen ist, und auch nicht, wo er sich jetzt aufhält. Wir haben nur das Video als überprüfbaren Nachweis, das wir analysiert haben – und keine weiteren Informationen.
Kann es sein, dass es sich um ein Tier handelt, das aus einem Tierpark stammt?
Das halten wir für relativ unwahrscheinlich. Die Parks informieren uns, wenn ein Tier geflüchtet ist. Im Moment haben wir keine solchen Meldungen.
Wie können Sie denn so sicher sein, dass es sich bei dem Tier auf dem Kallenberger Video tatsächlich um einen Wolf handelt?
Es gibt Hunderassen, die ganz ähnlich aussehen wie der Wolf, etwa der tschechisch-slowakische Wolfshund oder der Saarloos-Wolfhund. Diese sind zum Beispiel ebenso hochbeinig. Wir haben nicht einzelne Merkmale beurteilt, sondern die Gesamterscheinung und das Verhalten des Tieres. Unser Team ist der Meinung, es handele sich um einen Wolf. Nachdem wir zu dieser Ansicht gekommen sind, haben wir die Wolf-Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes eingeschaltet. Auch deren Experten schlossen sich uns an.
Weiß man, ob es sich um ein Tier handelt, das zu einem Rudel gehört?
Wir gehen davon aus, dass es ein Wolf war, das einzeln durch das Land streift. Er war vermutlich auf der Durchreise, weil er nach einem Lebensraum sucht.
Wie groß ist die „Wohnung“ eines Wolfs?
Wir wissen aus der Lausitz, dass das rund 200 Quadratkilometer sein können. Die Größe ist abhängig von vielen sogenannten „Habitatfaktoren“, der Einrichtung der Wohnung – also der Bebauung, der zur Verfügung stehenden Rückzugsräume, der verfügbaren Beutetiere.
Gibt es Überlegungen, das Tier einzufangen, um es beispielsweise mit einem Sender auszustatten? Könnte man so seinen Weg weiter verfolgen – ähnlich wie das bei Luchsen schon getan wurde?
Man kann auch ohne Sender ganz gut feststellen, wenn ein Wolf irgendwo sesshaft geworden ist.
Wie geht das?
Mit Kamerafallen, aber auch über die Analyse von Kot. Der Wolf setzt seinen Kot auf Feldwegen ab. Spürhunde können Wolfskot erkennen, man kann die Exkremente meistens von dem von Hunden unterscheiden und auch von dem von normalen Waldtieren, zum Beispiel einem Fuchs.
Wollen die Wissenschaftler ein Bewegungsprofil des „Kallenberger Wolfs“ erstellen?
Wir nehmen alle Meldungen auf, auch solche von gefundenen Beutetieren. Auf diese Weise konnten wir im Sommer den Weg des Schluchseewolfwes ansatzweise nachvollziehen. Welche Route das Tier wirklich zwischen den einzelnen Nachweisen benutzt hat, wissen wir natürlich nicht.
Angenommen, der „Kallenberger Wolf“ ist weitergewandert: Kommt er zurück? Erinnern sich Wölfe, wo sie schon einmal waren?
Wölfe sind intelligente Tiere. Man hat in Forschungsprojekten erkannt, dass sie zielstrebig große Strecken zurücklegen und beispielsweise auch eine Stadt umlaufen.
Was passiert, wenn ein Wolf eine Partnerin oder einen Partner gefunden hat?
Das Paar lebt lebenslang monogam zusammen, Wölfe werden in freier Wildbahn im Durchschnitt zehn bis 13 Jahre alt, in Gefangenschaft bis zu 18 Jahre. Ein Paar hat im Jahr im Durchschnitt vier bis sechs Welpen. Deren Sterblichkeit ist sehr hoch: Die Hälfte der Jungen überlebt die ersten beiden Jahre nicht. Die einjährigen Tiere ziehen noch die nächste Generation mit auf, dann gehen sie fort und gründen ein eigenes Rudel im eigenen Lebensraum.
Wichtige Frage: Ist ein hungriger Wolf für den Menschen gefährlich?
Nein. In unseren Wäldern gibt es sehr viel Wild als Nahrung. Der Wolf möchte keine Konflikte, wir Menschen passen nicht in sein Beuteschema. Schafe, Ziegen oder andere Weidetiere sollte man mit Elektroweidezäunen schützen. Wölfe mögen keine Stromschläge.