Die Angaben der Bahn und des Verkehrsministeriums liegen weit auseinander. Inwieweit leidet das Unternehmensvermögen unter einem Ausstieg?

Stuttgart - Im Wahlkampf vor der Volksabstimmung hat das Thema Ausstiegskosten eine besonders große Bedeutung erhalten. Die Plakate der Projektbefürworter beziehen sich in erster Linie auf die Frage, ob etwa 1,5 Milliarden Euro ausgegeben werden sollten, um dann, so der Tenor, später "nichts zu haben". Für die Bahn ergeben sich im Falle eines Projektabbruchs "negative Effekte" von 2,861 Milliarden Euro, davon sind 1,522 Milliarden Ausstiegskosten, die man sich vom Land erstatten lassen will, sowie von 1,345 Milliarden Euro Kosten für Reinvestitionen, die bei der Sanierung des bestehenden Kopfbahnhofs bis 2054 anfallen würden. Der Konzern bezieht sich bei dieser Behauptung auf den Bericht der Wirtschaftsprüfer Price Waterhouse-Coopers, ein regelmäßiger Auftragnehmer der Bahn, der im Rahmen der Schlichtungsverhandlungen 2010 diese Summe genannt hat. Eine zweite Firma, Susat und Partner, hatte 1,1 Milliarden Euro attestiert.

 

Die von den Projektgegnern bestimmte Firma Märkische Revision kam damals lediglich auf 452,9 Millionen Euro, weil sie nur jenen Aufwand zu berücksichtigen bereit war, der eine echte Kostenbelastung darstelle, unmittelbar auf eine Entscheidung zum Abbruch des Projektes zurückzuführen und mit denen kein Nutzen (in der Vergangenheit wie in der Zukunft) für die DB AG verbunden sei.

Welche Kosten kommen bei Abbruch zustande?

Mittlerweile hat sie in einem Gutachten im Auftrag des Landesverkehrsministeriums die Zahl auf 350 Millionen Euro nach unten korrigiert. Tatsächlich ausgegeben seien inzwischen 174 Millionen Euro. Hinzu kämen Vergabe- und Planungskosten sowie Kosten von rund fünf Prozent des Auftragsvolumens aus laufenden Ausschreibungsverfahren von 129 Millionen Euro und ein Risikozuschlag von 37 Millionen Euro. Die Differenz der von der Bahn und Gegnern ins Feld geführten Ausstiegskosten beträgt so 1,15 Milliarden Euro. Allerdings haben OB Wolfgang Schuster und Thomas Bopp für die Stadt und den Verband Region Stuttgart eigene Schadensersatzforderungen an das Land angemeldet.

Strittig zwischen den Befürwortern und den Gegnern sind nicht die angesetzten Kosten, sondern nur welche, die bei einem Projektabbruch zum Tragen kommen oder nicht. Die drei großen Themen sind dabei der Zuschuss des Flughafens von 112,2 Millionen Euro plus Zinsen, die Bau- und Planungskosten für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und die Rückabwicklung der Grundstücksverkäufe von 2001.

Kein Tiefbahnhof, keine Neubaustrecke

Ohne Stuttgart 21 werde es auch keine Hochgeschwindigkeitsstrecke entlang der Autobahn A8 nach Ulm geben, sagten zuletzt der Bahn-Chef Rüdiger Grube und der Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Die Projekte seien zwei Seiten einer Medaille; im Finanzierungsvertrag für das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm sei dies auch so fixiert. Ein Aus für den Tiefbahnhof bedeute zugleich auch das Aus für die Neubaustrecke, weshalb die bisher angefallenen Bau- und Planungskosten vom Land zu erstatten seien, falls es das Ende beschließe.

Die Projektgegner können dagegen auf einen Vermerk des Bundesverkehrsministeriums verweisen, in dem Stuttgart 21 als reines Städtebauprojekt bezeichnet wird und in dem erwähnt wird, dass es keinen Rechtsanspruch gebe, dass die Neubaustrecke zeitgleich mit Stuttgart 21 fertig werden müsse. Außerdem sei in der Schlichtung akzeptiert worden, dass die Schnellstrecke ohne Weiteres mit der bestehenden Filstalstrecke über die planfestgestellte Güterzuganbindung in Wendlingen erfolgen könne - und erst recht mit dem Alternativprojekt K21 kompatibel wäre.

Was passiert mit bereits gezahlten Geldern?

Der Flughafen hat zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Projekts 112,2 Millionen Euro bezahlt, die er nebst Zinsen zurückerstattet bekommt, wenn S21 scheitern würde. Die Bahn möchte diesen Betrag als Schadensersatz geltend machen.

Ähnlich verhält es sich bei einer etwaigen Rückabwicklung der Grundstücksverkäufe von 2001. Damals hat die Stadt Gleisvorfeld, Abstellbahnhof, Rosensteinviertel und Gäubahn zum Verkehrswert von 805 Millionen Euro von der Bahn in der Hoffnung gekauft, es von 2011 an nützen zu können. Weil das Geld schon zehn Jahre vorher floss, hat die Stadt nur 459 Millionen Euro bezahlt. Die Bahn hat mit diesem Geld gut gewirtschaftet. Greifbar ist es aber nicht mehr - die für Stuttgart 21 nötige Risikovorsorge wurde 2009 in vollem Umfang aufgelöst und die Zinserträge wurden dem außerordentlichen Ergebnis zugeführt.

Bahn hätte keine Probleme mit ihrem Vermögen

Würde Stuttgart 21 nun gestoppt, bekäme die Stadt die bezahlten 459 Millionen Euro nebst Zinsen (5,5 Prozent pro Jahr) zurück. Diesen Betrag von rund 750 Millionen Euro (Teile des Rosensteinviertels verbleiben bei der Stadt, die darauf bereits ein Berufschulzentrum baut) rechnet die Bahn den "Ausstiegskosten" hinzu. Es entstünde nämlich ein Vermögensschaden aus dem entgangenen Gewinn. Die Wertsteigerung hätte sich durch die Umwandlung der quasi wertlosen Gleisareale in Bauland ergeben. Dass es dazu trotz des Kaufvertrags tatsächlich käme, wird von Projektgegnern bezweifelt. Anlass dafür sind nicht zuletzt die Bemühungen der Stuttgarter Netz AG, vor Gericht durchzusetzen, zumindest Teile des Bahnhofs weiterzubetreiben. Dann wäre der Verkauf gegenstandslos.

Die Projektgegner verweisen zudem auf eine Notiz des Bahnvorstands an seinen Aufsichtsrat von 2009, in der steht, dass ein Projektabbruch zu "entsprechenden Korrekturbuchungen" führen würde. Von "Ausstiegskosten" war nicht die Rede. Die Rückabwicklung würde sich lediglich auf die Liquidität des Unternehmens auswirken, nicht aufs Vermögen, hieß es damals.