Claudia Ungers Beurteilungen entscheiden über Medaillenränge und sogar über Weltmeistertitel. Die Frau aus dem Steckfeld war bei den Eiskunstlaufmeisterschaften vor Kurzem in Degerloch technische Expertin. Ein Job mit viel Verantwortung.

Degerloch - Die Verantwortung, die Claudia Unger hat, ist enorm. Als technische Spezialistin darf sie sich weder eine kurze Unaufmerksamkeit noch einen kleinen Fehler erlauben – ihre Beurteilung entscheidet über Medaillenränge und sogar über Weltmeistertitel und kann Sportler schlimmstenfalls in ihrer Karriere um Jahre zurückwerfen. Auch am Wochenende war die 38-jährige baden-württembergische Landestrainerin bei den Deutschen Eiskunstlaufmeisterschaften auf der Waldau als technische Spezialisten bei den Herren tätig. Die Aufgabe der Steckfelderin, die ansonsten als Trainerin beim TEC Waldau aktiv ist, ist es, die vom Sportler gezeigten Elemente zu identifizieren und zu schauen, ob es sich dabei auch um diejenigen Elemente handelt, die von den Sportlern für ihr Programm eingereicht worden sind.

 

Eine enorme Verantwortung

„Man muss in ganz kurzer Zeit spontane Entscheidungen treffen, die hieb- und stichfest sind und die man mit Argumenten belegen kann“, sagt Unger. Ob nun bei Deutschen Meisterschaften, Weltmeisterschaften oder den Olympischen Spielen – bei jedem Wettkampf gibt es nur einen technischen Spezialisten – somit trägt Unger eine enorme Verantwortung.

Zur Unterstützung stehen ihr aber nicht nur der Controller zur Seite, der für die technisch korrekte Übertragung ihrer Daten sorgt, sondern auch noch ein Assistent. Welche Aufgabe dieser genau übernimmt, entscheidet jeder technische Spezialist selbst. Unger hat es gern, wenn beide sich an der Beobachtung beteiligen – schließlich sind drei Köpfe besser als einer und erleichtern die Arbeit.

„Es geht wahnsinnig schnell, und es gibt enorm viel zu beobachten“, sagt Unger. „Beispielsweise bei den Vierfachsprüngen und Dreifach-Axeln. Wir beobachten die Landung, wenn sie nicht ganz rückwärts ist, gibt es einen sehr großen Abzug. Dann sind die Sportler natürlich schnell weiter hinten. Binnen einer zehntel Sekunde muss man ganz genau erkennen, war der Sprung jetzt rum, oder war er es nicht? Waren es zwei Umdrehungen oder nicht? Wann hat er die Position erreicht? Hat er sie tief genug erreicht?“

Nach der Kür bleiben drei Minuten Zeit

Zwar kann Unger auch auf die Videoanalyse am Ende der Kür oder des Kurzprogramms zurückgreifen, aufgrund der Vielfalt des Programms ist aber Vorsicht geboten. „Wir dürfen nicht länger als drei Minuten nach dem Ende der Kür brauchen“, sagt Unger. „Das muss schneller gehen. Gerade bei internationalen Wettbewerben mit Fernseh-Liveschaltungen gibt es einen gewissen Zeithorizont, in dem die Fernsehteams ihre Sportler zeigen und in dem Werbepausen geplant sind.

Da fließt sehr viel Geld. In diesem Zeithorizont muss die Entscheidung fallen.“ Zwar ist Unger im Vergleich zu den einige Meter weiter rechts sitzenden Preisrichtern nicht für die Wertung zuständig, allerdings basiert diese auf ihrer Beobachtung. Das von ihr identifizierte Element wird von ihrem Controller in den Computer gegeben und erscheint bei den Preisrichtern. Eine fehlerhafte Ausführung des Elements wird im Programm vermerkt, sodass es auch die Preisrichter sehen. „Ich sage beispielsweise ‚Triple axel under‘, also nicht zu Ende rotiert, mein Controller gibt es mit einem „Kleiner-Zeichen“ in den Computer. Sobald die Preisrichter das Kleiner-Zeichen sehen, müssen sie einen Abzug vornehmen“, erklärt Unger.

Nah am Sport zu sein, ist eine Voraussetzung

Seit 2005 ist die einstige deutsche Spitzenläuferin aus Stuttgart technische Spezialistin beim Weltverband (ISU). Jährlich werden der ISU von der Deutschen Eislauf Union nur zwei bis drei Kandidaten für die Ausbildung und Prüfung vorgeschlagen. Nur wer in der Prüfung hervorragend abschneidet, erhält die Berechtigung international zu arbeiten. In Deutschland gibt es insgesamt drei technische Spezialisten, die den internationalen IFU-Standards entsprechen und somit auch bei Welt- und Europameisterschaften zum Einsatz kommen.

Voraussetzung ist, dass ein technischer Spezialist nah am Sport dran ist und alle Entwicklungen der Sportart mitbekommt. Es reiche nicht, dass man nur einmal im Monat an der Eisbahn sei, sagt Unger. Daher sind die meisten Spezialisten auch Trainer. Während Unger nach wie vor zweimal im Jahr international tätig sein kann, muss sie ihre nationale Arbeit als technische Spezialisten reduzieren, da sie als baden-württembergische Landestrainerin aus Befangenheitsgründen nicht bei Wettkämpfen ihrer eigenen Athleten urteilen darf.

Die neuen Titelträger:

Meisterklasse Damen: Nicole Schott (Essen), Meisterklasse Herren: Franz Streubel (Oberstdorf), Meisterklasse Paare: Mari Vartmann/Aaron van Cleave (Düsseldorf/Berlin), Meisterklasse Eistanz: Nelli Zhiganshina/Alexander Gazsi (Oberstdorf), Eistanz Junioren: Katharina Müller/Tim Dieck (Berlin/Dortmund), Eistanz Nachwuchs: Anne-Marie Wolf/Kieren Wagner (Chemnitz).