Der Stuttgarter Extremsportler Jonas Deichmann, 32, hat auf dem Rad so ziemlich alle Langstreckenrekorde gebrochen, die man nur brechen kann. Was für ein Ziel hat dieser Mann 2020?

Lokales: Tom Hörner (hör)

Stuttgart - Seit einigen Jahren ist der Stuttgarter Extremsportler Jonas Deichmann, 32, im Hauptberuf Abenteurer. Man könnte ihn auch als Überbrückungshelfer bezeichnen. Er weiß, wie man Ziele erreichen kann, die unerreichbar scheinen.

 

Die letzte Rekordfahrt von Jonas Deichmann liegt noch gar nicht so lang zurück. Vom 8. September bis zum 19. November 2019 ist er vom Nordkap nach Kapstadt geradelt. Deichmann ist der absolute Minimalist unter den Langstreckenpedaleuren. Zwei Trikots, zwei Hosen, eine Windweste – mehr als fünf Kilo Gepäck packt er nie auf seinen Titanrenner. Mancher Radausflügler, der sich am Wochenende über die Schwäbische Alb quält, braucht mehr. „Wer schnell sein möchte, muss leicht sein“, sagt er.

Schnell ist der Typ, der seinen Job als Verkaufsmanager bei einer schwedischen Firma vor drei Jahren an den Nagel gehängt hat und stets ohne Begleitfahrzeug auf Achse ist. Die 18 000 Kilometer lange Strecke vom Nordkap bis an die Südspitze Afrikas hat er in 72 Tagen, 7 Stunden und 27 Minuten bewältigt. Damit unterbot er die bisherige Bestleistung um 30 Tage. Bis Nordafrika wurde er von dem Düsseldorfer Fotografen und Langstreckenprofi Philipp Hympendahl begleitet. Dann musste der wegen einer Lebensmittelvergiftung aussteigen. Deichmann erwischte es wenig später auch – aber er strampelte weiter, was nicht ohne Risiko war: Vor ihm lag die Sahara, mit der abgelegenste Teil auf der Route. „Plötzlich allein zu sein war schwierig“, sagt er. „Aber es hat auch den Vorteil, dass du nur noch für dich verantwortlich bist.“

Am Strand und in der Hängematte

Als wir an Silvester telefonieren, ist Jonas Deichmann gerade in Salvador da Bahia, im Nordosten Brasiliens, in jenem Land, das so etwas wie eine zweite Heimat für den weit gereisten Radsportler geworden ist. Er liebe die aufgeschlossene Art der Menschen, sagt er. Jetzt sei er da, um sich am Strand und in der Hängematte von seinem Kap-zu-Kap-Trip zu erholen. Sein Fahrrad habe er doch sicher dabei? „Nein, das will ich im Moment nicht sehen“, sagt Deichmann. „Jetzt will ich erst mal zwei Monate ausspannen.“

Er wohnt auf seinem Rad

Jonas Deichmann wurde in Filderstadt geboren, wuchs in Wendlingen auf, im Alter von zehn Jahren zog seine Familie in die Pforzheimer Gegend. Wo wohnt er heute? „Eigentlich auf dem Rad“, sagt er. Einen festen Wohnsitz habe er nicht.

Direkt nach seiner Ankunft in Südafrika war Deichmann zurück nach Deutschland geflogen – um Freunde und Verwandte zu besuchen und Vorträge zu halten. Nach so einer Strapaze müsse man sich beschäftigen, erklärt er, sonst drohe die Gefahr, dass man in ein Loch falle. Jonas Deichmann ist ein gefragter Motivationsredner, vor allem Firmen wollen von ihm wissen, wie man schier Unmögliches erreichen kann. Dabei geht es weniger um die Anekdoten eines Zweiradverrückten, sondern darum, wie er so eine Tortur anpackt – und packt.

Alles eine Frage der Einstellung

„Natürlich muss man körperlich fit sein“, sagt Deichmann. „Aber letztlich ist alles eine Frage der Einstellung. Es geht darum, ein großes Ziel auf viele kleine Ziele herunterzubrechen. Es ist ja nicht so, dass ich mich aufs Rad setze und 18 000 Kilometer fahre. Ich fahre 250-mal bis zum nächsten Schokoriegel.“ Am Ende einer jeden Etappe gönnt er sich ein Snickers. Ist die weltweite Versorgung mit Karamell-Erdnuss-Riegeln wirklich lückenlos? Eigentlich schon, sagt Deichmann. „Das einzige Land, in dem ich kein Snickers bekam, war der Sudan, weil es dort keine ausreichende Kühlkette gibt.“

Wenn ihm ein Land gut gefällt, kehrt er zurück

Was bekommt der in Rekordzeit Durchreisende von Land und Leuten mit? „Als Radfahrer ohne Begleitfahrzeug recht viel“, sagt Deichmann. „Schon allein deswegen, weil ich mich um die Verpflegung und die Übernachtungen kümmern muss.“ Wenn ihm ein Land besonders gut gefalle, wie Georgien, Kenia oder der Iran auf seiner jüngsten Tour, kehre er zurück. Mit dem Fahrrad, aber ohne Zeitdruck.

Und wie bereitet er sich auf seine Gewalttouren vor? Bei 50 000 Kilometern, die Jonas Deichmann jedes Jahr auf dem Sattel abstrampelt, ist eine gewisse Grundkondition, um es vorsichtig auszudrücken, vorhanden. Kurz vor dem Kap-zu-Kap-Start absolvierte er in den Anden ein Höhentraining. Und nicht zu vergessen das Heimtraining: „Ich platziere mich mit dem Rad vor einer weißen Wand. Fernsehapparat und Radio werden ausgeschaltet. Dann strample ich los – zehn Stunden, bis der Wecker klingelt.“ Falls es mit Sponsoren und Vorträgen mal nicht mehr laufen sollte, könnte der Ausdauerkönig bei einem Stromanbieter anheuern.

Mit Greta über sämtliche 8000er?

Jonas Deichmann hat auf dem Rad inzwischen so ziemlich alles erreicht, was man erreichen kann. 2017 fuhr er in 64 Tagen die Eurasien-Route von Portugal nach Wladiwostok/Russland. 2018 ist er in 97 Tagen vom Norden Alaskas bis nach Feuerland geradelt. Alles in Rekordzeit. Auch weil ihm so langsam die Langdistanzen auszugehen drohen, drängt sich die Frage auf, was er sich für 2020 vorgenommen hat. „Es wird etwas sein, was vorher noch keiner gemacht hat“, sagt er. „Und es wird schwerer sein als alles Bisherige.“ Ob’s wieder was mit dem Rad zu tun hat? Jonas Deichmann weicht aus. So leicht lässt sich der Radprofi nicht aufs Glatteis führen. Die Katze aus dem Sack lassen will er auf einer Outdoor-Messe am 22. Februar in München. Nur so viel verrät er: „Es hat auch was mit Umweltschutz zu tun.“

Womöglich wird er mit einem Mountainbike und Greta Thunberg auf dem Gepäckträger sämtliche 8000er bezwingen. Zuzutrauen ist dem Mann alles.