Stefan Hetzer motiviert seit 20 Jahren den Schwimmer Christof Wandratsch. Im Interview erklärt der Trainer, warum die Durchquerung des vermeintlich friedlichen Bodensees extreme Probleme birgt.

Herr Hetzer, wie schätzen Sie die Leistung Ihres Schützlings ein?
Es war ganz brutal, der erwartete Hammer. Wir haben uns immer gefragt, warum so einen schönen, friedlichen und gemütlichen See noch keiner unter regulären Wettkampfbedingungen bezwungen hat. Jetzt wissen wir es. Das war eine der härtesten Sachen, die ich erlebt habe.
Wandratsch hat die Meerenge von Gibraltar, den Ärmelkanal und den Fehmarnbelt durchquert, letzteren in Weltrekordzeit. Das sind doch härtere Passagen als den Bodensee zu durchschwimmen, oder?
Nein. Es war ein sehr, sehr harter Kampf. Wir haben an vielen Stellen gemerkt, was da mit dem Körper passiert, mit dem Schwimmer und mit dem Team. Wir haben gesehen, welche Herausforderungen die Natur uns stellt. Wir haben gegen diesen See gekämpft und gemerkt, dass wir kleinen Menschen gar nichts sind gegen diesen See. Man muss Demut und Respekt vor der Herausforderung haben. Verliert man sie, macht man Fehler. Der See zeigt einem, dass er nicht so gemütlich ist, wie er scheint. Das ist ein friedliches Ungeheuer.
Hatten Sie solche Schwierigkeiten erwartet?
Wir hatten Glück. Wir hatten traumhafte klimatische Bedingungen. Die Natur hat uns ihr Herz geöffnet. Das war in anderen Versuchen hier auch schon ganz anders. Das Gefährliche ist: man denkt, das ist eine schöne Obstgegend mit netten Leuten. Da kann man schön Essen gehen. Aber man kann jetzt nicht meinen: Badehose an, einfetten und dann schwimmt man los. 64 Kilometer, das machen wir in 20 Stunden. So ist das nicht.
Was waren die größten Schwierigkeiten?
Es gibt zum Beispiel unerwartete Whirlpools, das sind Querströmungen, die man nicht sieht. Dann muss auf einmal die Richtung gewechselt werden, man kann die Ideallinie nicht mehr schwimmen. Dann muss man Umwege machen. Es kann aber auch passieren, dass man stundenlang Gegenströmung hat, die ist auch unberechenbar. Das letzte Stück kurz vor Bregenz war so, wo der Alpenrhein in den Bodensee mündet. Du bist hundert Meter vor dem Ziel und kommst kaum rein.
Sie hatten versucht, im Vorfeld die gefährlichen Strudel zu lokalisieren. War dies nicht gelungen?
Doch schon. Aber es kommt eine große Ermüdung hinzu. Solche Whirlpools zu durchschwimmen, kostet viel Kraft und Konzentration. Es nagt auch an der Seele, wenn man da nicht durchkommt und die Geschwindigkeit sich verlangsamt.
Wandratschs Durchschnittsgeschwindigkeit von 3,2 Kilometern in der Stunde erstaunt am meisten.
Er ist ein Wettkampfschwimmer und möchte so eine Durchquerung auch mit einer adäquaten Leistung erbringen. Er ist kein Spinner, der mal von A nach B schwimmt, sondern erbringt eine hervorragende sportliche Leistung, die vergleichbar beispielsweise mit den Freiwasserergebnissen der gegenwärtigen Schwimm-WM in Barcelona ist.
Wie hält ein Schwimmer diese Strapaze durch?
Christof war sehr stark im Kopf. Aber wir haben heute auch grenzwertig handeln müssen. Das geht nur in Teams, in denen man sehr lange zusammen ist. Da kann man sich auch solche Sachen an den Kopf werfen wie wir heute. Wir mussten ihn motivieren, manipulieren, sanktionieren. Da muss man der böse und der gute Onkel sein. Ich bin dann sein Gehirn, ich muss ihn aktivieren. Er weiß nicht mehr, ob er Männlein oder Weiblein ist. Für uns war heute ein wichtiger Punkt: Christof musste erfüllen, was er versprochen hat. Es muss ein Ergebnis nach so viel harter Arbeit kommen. Aber nach dem erfolgreichen Wettkampf fallen wir uns in die Arme. Dann gibt es einen Bruderkuss, und alles ist vergessen .