Exzentrische Bürgermeisterkandidaten Die Quälgeister von Plüderhausen

Thomas Hornauer lässt sich bei seinen Wahlkampfauftritten stets von einem Mitarbeiter seines Streamingkanals Telemedial filmen. Foto: Gottfried Stoppel

Bei Bürgermeisterwahlen bewerben sich häufig Kandidaten, die völlig chancenlos sind, aber extrem exzentrisch auftreten. Beobachtungen aus Plüderhausen, wo Thomas Hornauer und Fridi Miller zurzeit die Kommunalpolitik aufmischen.

Plüderhausen - An diesem Abend trägt Thomas Hornauer Schwarz. Er will den amtierenden Bürgermeister zum Rücktritt zwingen, das ist der Plan, und Schwarz stehe für Beerdigungen. Er setzt sich auch nicht gleich aufs Podium, wo sein Namensschild steht, sondern in die erste Zuschauerreihe. „Ich bin ein alter Rock-’n’-Roller“, lässt er das Publikum wissen. „Ich gehöre nicht zu denen da oben.“

 

Die Staufenhalle ist voll an diesem Abend, 600 Leute sitzen in den Stuhlreihen, manche oben auf der Empore, ein paar Jugendliche stehen im Foyer. Vorne auf der Bühne die Bürgermeisterkandidaten: Andreas Schaffer, 63, amtierender Bürgermeister. Christian Maier, 45, Vertriebsleiter aus dem badischen Seebach. Friedhild „Fridi“ Miller, 48, Familienhelferin und Dauerbewerberin aus Böblingen. Und eben Thomas Hornauer, 57, Unternehmer, Esoteriker sowie nach eigenem Bekunden Hoheit über sein eigenes Königreich.

Seit 32 Jahren derselbe Bürgermeister

Plüderhausen, 9300 Einwohner, eine Gemeinde im Rems-Murr-Kreis, sechs Kilometer östlich von Schorndorf. Am Marktplatz gibt es einen Optiker, eine Eisdiele, einen Schreibwarenladen, einen leer stehenden Bäcker. Im Rathaus sitzt seit 32 Jahren derselbe Bürgermeister. Schaffer ist einst mit dem Slogan „Ein Schaffer für Plüderhausen“ angetreten, seither wurde er fast immer ohne Gegenkandidat wiedergewählt. Aber in diesem Jahr ist es anders, jetzt hängen überall im Ort Wahlplakate und Wahlaufkleber, es gibt Weißwurstfrühstück, Kandidatenchecks in der Lokalzeitung, Podiumsdiskussionen und Medienrummel.

„Es wird wieder diskutiert“, sagt ein älterer Herr in der Staufenhalle und guckt amüsiert. Seine Nebensitzerin schüttelt den Kopf. „Das geht alles zu weit.“

Manche Leute im Ort sagen, die Wahl sei ein Kasperletheater, eine Witzveranstaltung, peinlich für Plüderhausen. Manche Leute reden von einem Trump-Effekt. Sie sagen das, weil Thomas Hornauer und Fridi Miller gemeinhin als Spaßkandidaten gelten – und als durchgeknallt. Zwei, die immer wieder Aufsehen erregen. Der gelernte Gießer Hornauer, weil er mit Erotik- und Astro-Hotlines, später mit seinem esoterischen Sender Telemedial viel Geld gemacht hat. Und weil er vor rund acht Jahren das Vereinigte Heilige Deutsche Königreich ausrief, als „Mentaldemokratie“, „Kollektivbewusstsein“, „Gegenbewegung zur professionellen Volksverblödung“. Miller, weil sie nach einem Auftritt bei Günther Jauchs „Wer wird Millionär“ (sie gewann 32 000 Euro) vor ein paar Jahren immer wieder in den Medien war, weil sie sich auf über 50 Bürgermeisterposten beworben hat und Hunderte Strafverfahren am Laufen hat. Man liest oft von den zwei Exoten in diesem Wahlkampf. Fragt man Hornauer und Miller, sagen sie, nicht sie selbst, sondern die anderen seien die Exoten.

Millers Lieblingsfeind heißt Angela Merkel

Wer verstehen will, was dahintersteckt, muss die beiden zu Hause besuchen. Ein paar Tage vor der Podiumsveranstaltung sitzt Fridi Miller am Esstisch in ihrer Sindelfinger Wohnung. Sie trägt schwarze Leggins, schwarze Stiefel, ein schwarzes Shirt mit Peace-Zeichen. Auf dem Tisch stapeln sich Mappen mit Zeitungsartikeln, Terminplänen, Stimmzetteln, Amtsschreiben. „Ich bin Einzelkämpferin.“

Auf ihren Wahlkampfflyern steht, dass sie für Menschenrechte kämpft, für Liebe, für Weltfrieden. Früher war sie Prokuristin bei Daimler, heute lebt sie hauptsächlich vom Ersparten aus Dutzenden Gewinnspielen. Die Flyer mit dem schwarz-rot-goldenen Hintergrund sind noch aus dem vergangenen Jahr, da ist sie zur Bundestagswahl angetreten.

Vor allem kämpft die 48-Jährige gegen vieles: gegen Angela Merkel, die in Drogen- und Kinderhandel verwickelt sei. Gegen den Sindelfinger Oberbürgermeister – aus demselben Grund. Gegen die Politiker, Juristen, Sozialarbeiter, Journalisten, die alle in einer Psychogruppe, einer Sekte aus Freimaurern und Scientologen steckten. Sie nennt sie „kriminelle Vereinigung“ und „Kinderhändler“. Wenn sie sich in Rage redet, wird sie auch ausfällig.

Vor vier Jahren wurde ihr vor Gericht das Sorgerecht für ihre Tochter aberkannt. Damals habe man ihr gesagt, sie sei „psychisch dekompensiert“. Dahinter stecke auch "diese Sekte", sagt Miller. Sie streicht sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, ihr Blick wandert unruhig von rechts nach links. Einmal habe sie ein Gutachten gesehen, darin stand, dass sie Verschwörungstheorien anhänge. Deshalb sei sie schuldunfähig.

Seither hat Fridi Miller nach eigener Aussage über 300 Strafanzeigen gestellt, um das Sorgerecht für ihre Tochter wieder zu bekommen. Und sie hat die Politik für sich entdeckt – um aufzudecken, sagt sie. Und um irgendwann Angela Merkel abzulösen. „Ich bin die Einzige, die durchschaut hat, was diese korrupten Kriminellen machen.“ Sie sei schon immer ein „Schnellschuss-Allround-Genie“ gewesen.

Bizarre Videos im Netz

Es gibt Videos im Internet, in denen sie sich mit Putin und Trump verbündet und Merkel dazu aufruft, sich erst einmal um Deutschland zu kümmern. Es gibt ein Video im Netz, in dem sie mit einem Messer fuchtelt und den Kinderschändern, die an ihrem Unglück schuld hätten, den Tod wünscht. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verleumdung des Sindelfinger Bürgermeisters gegen sie.

An den Wänden im Wohnzimmer hängen überall bunte Bilder, Kindermalereien, Fotos von ihrer Tochter, Fanbriefe, dazwischen eine „Happy-New-Year“-Girlande. Am Fenster klebt ein Teddybär mit Weihnachtsmann-Mütze, und der Weihnachtsbaum, den sie vor vier Jahren noch mit ihrer Tochter geschmückt hat, steht immer noch neben dem Sofa.

Fridi Miller war sich sicher, dass sie die Bürgermeisterwahl in Sindelfingen im letzten Jahr gewinnen würde. Sie habe Anhänger ohne Ende gehabt. Am Ende bekam sie 4,4 Prozent der Stimmen. Nur, das habe sie inzwischen verstanden: Bei den Wahlen werde manipuliert, es könne nicht sein, dass sie nur auf ein bis fünf Prozent komme. Einmal, in dem 1200-Seelen-Dorf Kolbingen kam sie auf 20 Prozent.

Und Plüderhausen? Damit sei es ihr ernst, sagt Miller. Sie mache da gemeinsame Sache mit Thomas Hornauer – er der Unternehmer, sie die Aufdeckerin. Eine Doppelspitze. Schließlich kennen sie sich, weil Miller mal einen Auftritt in einer seiner Sendungen hatte.

Das Königreich des Thomas Hornauer

Thomas Hornauer empfängt die Reporterin in seinem backsteinernen Palast, dem Lichtkristallzentrum, einer ehemaligen Nudelfabrik am Ortseingang von Plüderhausen. Er sitzt hinter einem weißen Schreibtisch im Bernsteinzimmer, gleich neben dem Thronsaal. Um ihn herum glitzern Tausende Citrine und Karneole an den Wänden, an der Decke, vor den Fenstern. Der weiß gekachelte Boden wird von bunten LED-Lichtspielen erleuchtet. Hornauer trägt eine schwarze Hose, einen schwarzen Frack, einen schwarzen Mantel und die Kette mit der goldenen Krone um den Hals. Seine Mitarbeiter reden ihn mit „Königliche Heiligkeit“ an, manchmal auch mit „Thomas“. Sein Königreich, erklärt er dann, habe keinen territorialen Anspruch. Es gehe darum, das Innere zu beherrschen, das eigene Selbst.

Gerade hat er sein achtes Krönungsjubiläum gefeiert, jetzt muss sich Hornauer eigentlich um Paradise Valley kümmern, dem Wallfahrtsort in Thailand für seine Schüler, die Christbuddhisten. „Bürgermeister zu werden wäre für mich die größte Strafe“, sagt er und lacht laut. „Es gibt hier im Ort so viel Dreck aufzuwühlen, das würde mein Heiliges beschmutzen.“

„Ich wollte, dass mal jemand gegen den Schaffer antritt“

Es ist nicht einfach zu verstehen, was hinter seiner Bürgermeisterkandidatur steckt. Ungefähr sieben Stunden lang hat es Hornauer am vergangenen Sonntag bei seiner eigenen Wahlveranstaltung erklärt. In Plüderhausen, sagte er, gebe es Geldwäsche, Korruption, Manipulation, all das. Es brauche Räume für die Jugend und für Jugendkulturarbeit, überhaupt für Kultur, für Trommeln auf dem Marktplatz oder für ein Lagerfeuer. Es müsse sich was verändern. „Ich wollte, dass mal jemand gegen den Schaffer antritt.“ Nur, das habe er sich zwischenzeitlich gedacht: Er mit seinem Lichtkristallzentrum würde als Bürgermeister wohl schnell in einen Interessenkonflikt geraten, deshalb schlage er doch eher Fridi als Bürgermeisterin vor. „Die deckt auch auf.“

In den langen Fluren seines Kristallzentrums hängen Fotos von Hornauer in bunten Gewändern in Thailand, Indien, Afrika. Er kenne niemanden, der in Sachen Kulturaustausch so erfahren sei wie er, schließlich sei der von ihm ausgerufene Christbuddhismus Inbegriff von Toleranz. Manchmal sagt Hornauer auch Dinge wie: „Wir müssen die germanische Tradition bewahren.“ Oder er teilt Videos von rechten Gruppen auf Facebook, in denen es um den Schutz deutscher Frauen vor vermeintlich übergriffigen Flüchtlingen geht. Schwer zu sagen, was hinter diesen rätselhaften Widersprüchen steckt. „Ich wirke unheimlich bewusstseinserweiternd, selbst wenn ich nicht rede“, sagt Hornauer.

Als er vor der großen Kandidatenvorstellung durch das Foyer der Staufenhalle geht, sind da viele, die ihn kennen. Er wirkt in solchen Situationen nicht mehr exzentrisch, sondern bürgerlich, schüttelt Hände, klopft Schultern und macht Sprüche, über die die Leute lachen. „Ich kenne ihn seit 32 Jahren“, sagt einer, den Hornauer Jürgen nennt. „Klar ist er anders, ein bisschen durchgeknallt, aber er hat auf unkonventionellen Wegen viel geschafft im Leben. Und er hat so viel Geld, dass er niemandem nach dem Mund reden muss.“ Dass vielleicht was dran sei an dem, was Hornauer sage, finden ein paar Leute, die man nach ihm fragt. Auch, dass er womöglich einfach ein bisschen aufrütteln wolle. Manche sagen es zögerlich, andere offen: Von der Strippenzieherei im Rathaus habe man im Ort einfach genug. „Herr Hornauer meint es ernst mit uns Jugendlichen“, sagen drei Jungs um die zwanzig. „Er hat den Mut, mal wirklich was zu verändern.“

Der Donald-Trump-Effekt

Aber es gibt auch viele Leute, die nur den Kopf schütteln und fragen, wie man das Ganze ernst nehmen könne. Die sagen, dass die Finanzlage in Plüderhausen seit Jahrzehnten schwach sei und allein deshalb manche Projekte nicht umgesetzt werden konnten. Und die vor allem Fridi Miller für verrückt erklären.

„Gegen Diskussion habe ich nichts“, sagt Bürgermeister Andreas Schaffer. „Es kann sich eben so gut wie jeder Erwachsene um das Amt bewerben. Unsere Demokratie muss das aushalten.“ Nur sei das, was in den letzten Tagen im Wahlkampf passiere, einfach anstrengend und trübe die Stimmung in der Gemeinde. „Was mich stört, ist die Art und Weise, wie über unseren Ort gesprochen wird. Man könnte meinen, wir leben in einem leblosen, unattraktiven Nest hinter einer Bretterwand.“

Vieles von dem, was sich in diesen Tagen in Plüderhausen abspielt, erinnert an Donald Trump. Jemand, der sich für den Guten hält, für den Genialsten, den Veränderer, den, der Missstände beseitigt und ein vermeintlich verlogenes System aufdeckt. Jemand, der ständig nach Anerkennung strebt, das Drama sucht. Narzisstische Menschen, sagen Psychologen, seien sehr von sich selbst überzeugt.

„Diese Menschen glauben, dass sie sehr besonders sind“

Es gibt Studien, die zeigen einen Zusammenhang zwischen Narzissmus und Verschwörungstheorien. „Diese Menschen glauben, dass sie sehr besonders sind“, sagt der Psychologe Michael Grosz von der Universität Tübingen. „Wird das vom Umfeld nicht anerkannt, vermuten sie oft, dass irgendetwas falsch läuft. Die Schuld suchen sie dann nicht bei sich, sondern zum Beispiel im System.“

Auf dem Podium in der Staufenhalle wirft Fridi Miller Thomas Hornauer zu Beginn ihrer Vorstellungsrede Schizophrenie vor. Und Hornauer wird später über Miller sagen, dass es ihr nur um das Ausleben einer Geltungssucht gehe. Die einstigen Verbündeten haben sich über Facebook und den Kurznachrichtendienst Whatsapp zerstritten. Miller hat ihren Namen auf einem Wahlplakat über den von Hornauer geschrieben, und sie hat vorgeschlagen, aus seiner Villa ein Mehrgenerationenhaus zu machen. Weil Hornauer nicht zulässt, dass sich jemand über seine Heiligkeit stellt, und weil Miller sich nicht beherrschen lässt, kann es für Plüderhausen wohl nach der Wahl an diesem Sonntag keine Doppelspitze geben.

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