Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), schlägt vor, die bislang geheimen Mitschriften der Ratssitzungen zu veröffentlichen und strebt dadurch mehr Transparenz an.

Nachrichtenzentrale: Andreas Schröder (sö)

Frankfurt - Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, spricht sich für eine Veröffentlichung der bisher geheimen Sitzungsprotokolle des Zentralbankrates aus. „Ich halte das für einen notwendigen nächsten Schritt“, sagte Draghi der „Süddeutschen Zeitung“. Das EZB-Direktorium werde dem EZB-Rat einen entsprechenden Vorschlag „zur Diskussion und Entscheidung vorlegen“, ergänzte er. Bis jetzt werden nach Ratssitzungen weder das Abstimmungsverhalten der einzelnen Ratsmitglieder, zum Beispiel in Bezug auf Veränderungen des Leitzinses, noch die Diskussionen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Protokolle der EZB-Ratssitzungen liegen 30 Jahre unter Verschluss.

 

Draghi hatte bereits vor mehr als einem Jahr gesagt, dass es bei der Zentralbank Überlegungen zur Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle gebe. Der EZB-Chef unterstützt mit seinem neuerlichen Vorstoß den Vorschlag anderer Notenbanker: Auch die zwei EZB-Direktoren Jörg Asmussen und Benoît Coeuré hatten eine Abkehr von der Geheimhaltung der Sitzungsprotokolle gefordert. In der Geldpolitik der Notenbank sei mehr Transparenz notwendig, die Protokolle sollten nach Ansicht der beiden Direktoren detailliert über das Abstimmungsverhalten Auskunft geben. Die US-Notenbank Fed und die Bank of England veröffentlichen ihre Protokolle; die Europäische Zentralbank sei die einzige große Notenbank der Welt, die ihre Aufzeichnungen noch geheim halte.

Am Kapitalmarkt werden zusätzliche Informationen befürwortet. „Mehr Transparenz ist grundsätzlich zu begrüßen“, heißt es bei HSBC Trinkaus. „Die EZB würde damit noch berechenbarer für die Märkte“, urteilt die Postbank.

Mehr Klarheit in Bezug auf die Hilfen für Europas Banken

Der EZB-Rat besteht aus 23 Mitgliedern, er ist das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank. Der Rat besteht aus den 17 Präsidenten der nationalen Notenbanken der Eurozone, Bundesbank-Chef Jens Weidmann vertritt Deutschland. Hinzu kommt das sechsköpfige Direktorium. Das Führungsgremium der EZB ist wie folgt zusammengesetzt: Präsident Mario Draghi, sein Vize Vítor Constâncio, Jörg Asmussen, Benoît Coeuré, Yves Mersch und Peter Praet. Der Rat tagt in der Regel zwei Mal im Monat. Nach einer der beiden Sitzungen erläutert der Zentralbankpräsident während einer Pressekonferenz die geldpolitischen Beschlüsse der EZB und gibt Hinweise auf den weiteren Kurs der Notenbank. Heute steht Draghi dafür wieder zur Verfügung.

Der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Gerhard Schick, begrüßt die Initiative Draghis, hält aber eine Offenlegung der EZB-Sitzungsprotokolle alleine nicht für ausreichend. Er fordert zudem mehr Klarheit in Bezug auf die Hilfen für Europas Banken: „Vor allem fehlt es an Transparenz bei den Krisenmaßnahmen der EZB und der nationalen Notenbanken zu Gunsten des Bankensektors.“ Die Bürger sollten auch informiert werden, wenn die Zentralbank Milliardensummen in marode Banken pumpe, meint Schick. Auch nach Ansicht der EZB-Direktoren Asmussen und Coeuré muss die EZB noch transparenter werden, wenn sie im kommenden Jahr die Aufsicht über die 130 größten Banken der Eurozone übernimmt. Es sei dann im Interesse der EZB, die parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament zu haben. Die EZB wird große, systemrelevante Banken beaufsichtigen, deren Bilanzsumme mehr als 30 Milliarden Euro beträgt oder mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des jeweiligen Mitgliedstaates ausmacht.

Die einheitliche Bankenaufsicht ist Teil der europäischen Bankenunion, die als Reaktion auf die Schuldenkrise den Finanzsektor in Europa stabilisieren soll. Die Bankenaufsicht ist derzeit noch national organisiert. In Deutschland ist dafür noch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) zuständig.