Die Initiative „Helfende Hand“ will nur Schutzräume anbieten – sagt sie. Dafür sind wir zuständig, sagt die Polizei. Die Initiative betreibt Panikmache, meint der Chef der Händlervereinigung.

Heilbronn - Gero Meier ist ein Mann wie ein Baum. Der 49-Jährige ist groß, kräftig und durchtrainiert – und als Boxtrainer jemand, der sich zu wehren weiß. Seinem Bekannten, der ebenfalls ein passionierter Kampfsportler ist, hat das Training unlängst nicht viel geholfen. Am 24. Juli geriet dieser Bekannte zusammen mit seiner Frau und drei befreundeten Paaren nachts beim Heilbronner Götzenturm in eine Schlägerei. Drei der Männer mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Aber auch von den jugendlichen Angreifern sei mindestens einer erheblich verletzt worden, berichtet Meier.

 

Acht Tage nach diesem Vorfall startete er zusammen mit Bernd Dorst, dem Inhaber des Kampfsportstudios Thai-Bulls Heilbronn, die Facebook-Initiative Helfende Hand. Die beiden Männer ließen Aufkleber und T-Shirts drucken, die eine weiße Hand auf schwarzem Grund zeigen. Sie gehen seitdem in Heilbronn von einem Geschäft zum nächsten und von Kneipe zu Kneipe, um für ihre Sache zu werben. Wer Hilfe sucht, dem solle die weiße Hand an der Ladentür zeigen: Hier bekommt er sie. „Wir wollen einen Schutzraum bieten, sonst nichts“, betont Meier. Mehr als 60 Aufkleber hat er eigenen Angaben zufolge bereits verteilt, im Stadtzentrum ist das Symbol immer wieder zu sehen.

„Das macht keinen Sinn“, sagt Thomas Gauß

Das T-Shirt will Gero Meier auch tragen, wenn er das Heilbronner Weindorf besucht, das an diesem Freitag beginnt. Er hat andere aufgerufen, seinem Beispiel zu folgen, als Aufruf zur Zivilcourage, sagt er. Doch es gibt auch Kritik. Einige halten das Ganze für eine clevere Marketingaktion eines Thaibox-Studios und für einen Aufruf zur Panikmache, so etwa Thomas Gauß. Er ist der Vorsitzende der Stadtinitiative, einem Händlerverein mit knapp 200 Mitgliedern. „Das ergibt gar keinen Sinn“, sagt er. Wenn man sich überhaupt unsicher fühlen müsse, dann nachts, „und da sind unsere Geschäfte geschlossen“.

Gauß hat die Mitglieder angeschrieben und sie aufgefordert, die Aktion sorgfältig zu prüfen. Er verweist auf den kommunalen Ordnungsdienst. Die uniformierten Mitarbeiter des Ordnungsamtes gehen in der Stadt in Ergänzung zur Polizei Streife. Auch Vertreter des Ordnungsamtes haben das Gespräch mit Gero Meier und Bernd Dorst gesucht. Das Tragen des T-Shirts beim Weindorf könne und wolle die Stadt nicht verbieten. Gleichwohl würde man es begrüßen, wenn darauf verzichtet würde, um keine Unruhe zu stiften. Artig hat Meier das auch auf Facebook gepostet und Verständnis für die Bedenken geäußert. Tragen wird er das Shirt dennoch. Nach zwei Bombendrohungen beim Heilbronner Volksfest im Juli und in der Innenstadt im August verrät die Stadt nicht viel über ihr Sicherheitskonzept für das Weindorf. Beide Male hatten junge Männer aus Langeweile mit ihren leeren telefonischen Drohungen die halbe Stadt lahmgelegt.

Nun werden wieder 350 000 Besucher erwartet. Alle sind gebeten, große Taschen und Rucksäcke zu Hause zu lassen. „Die Sympathisanten der Helfenden Hand sind als Privatpersonen willkommen“, teilen die Stadt und die Heilbronn Marketing GmbH als Veranstalterin zudem mit. „Für die Sicherheit sorgen die Polizei und die zuständigen Behörden.“

Nach zwei Bombendrohungen ist die Stadt sensibilisiert

Die Helfende Hand ist nicht mehr allein. Mittlerweile gibt es die Facebook-Gruppe Spaziergang, die unter „Zivilcourage und Miteinander für Heilbronn“ firmiert. Die Verantwortlichen betonen ebenfalls, lediglich für Zivilcourage eintreten zu wollen. Etwa 100 Teilnehmer hatte der erste „Spaziergang“, den die Polizei als Demonstration absichern musste. Dreimal sind seitdem – deutlich weniger – Spaziergänger durch Heilbronn marschiert. Einmal patrouillierten Mitglieder der Gruppe der Polizei zufolge auch in Bad Friedrichshall.

Heilbronn ist die zweitsicherste Großstadt im Land

Das Innenministerium und die Heilbronner Polizei kritisieren diese Gruppen. Sie erweckten den Anschein, „dass die eigentlich zuständigen Behörden nicht mehr in der Lage wären, ausreichend für Schutz und Sicherheit der Bürger sorgen zu können“, moniert Hans Becker, der Vizepräsident der Heilbronner Polizei. Dabei lasse sich dies mit objektiven Zahlen keineswegs belegen. Mit 7595 Straftaten je 100 000 Einwohner ist Heilbronn nach Reutlingen die zweitsicherste Großstadt im Land. In Freiburg ist dieser Wert mit 13 296 sogar sehr viel höher als in Stuttgart, wo pro 100 000 Einwohner 10 850 Straftaten gezählt werden. Selbst im beschaulichen Baden-Baden hat die Polizei im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr zu tun als in Heilbronn.

Doch den Statistiken glaubt Gero Meier so wenig wie den Medien. Die Dunkelziffer sei hoch, und in den Zeitungen stehe „auch nur die Hälfte dessen, was tatsächlich passiert“. „Ich kenne die Wahrheit“, sagt der Vater zweier erwachsener Kinder, „ich rede mit den Leuten. Und die Leute haben Angst.“ Er führt zu den Stellen in der Stadt, die er für heikel hält. Es geht zuerst ans Neckarufer, wo unlängst eine junge Frau überfallen worden sei. „Überall dort, wo es kostenloses WLAN gibt, versammeln sich Gruppen junger Flüchtlinge“, sagt er. Die Menschendichte habe zugenommen, so formuliert es Gero Meier, dessen Firma unter schwarz-rot-gelbem Logo Fußbodenheizungssysteme vertreibt.

Angst? Ein subjektives Gefühl

Als er mit dem Thai-Bulls-Chef Bernd Dorst und drei anderen aus dem Studio zur Lern- und Erlebniswelt Experimenta spaziert, zeigt er auf einige junge Männer, die auf einer Bank sitzen und auf ihre Smartphones starren. Sie schauen auf und taxieren ihrerseits die fünf durchtrainierten Männer, die an ihnen vorbeispazieren.

Vor dem Rathaus warten am nächsten Vormittag drei Jugendliche auf ihre Bahn. Ob sie Angst haben, wenn sie in der Stadt unterwegs sind? „Ich habe ein komisches Gefühl, wenn ich an der Kilianskirche vorbeigehe“, sagt Loreen (15): „Da sitzen so viele Männer.“ „Die gucken immer so“, sagt auch Emily (14), „aber das ist das Einzige.“ „Ich finde die okay, die schauen halt in ihre Handys“, meint hingegen Rico. Etwas weiter sitzt Burcu (25) in einem Straßencafé. Angst? „Ich bin immer gut nach Hause gekommen“, sagt die Heilbronnerin, „ich fühle mich nicht bedroht.“ Und der Innenminister Thomas Strobl, der am Freitag um 16 Uhr zusammen mit dem OB Harry Mergel (SPD) das Weindorf eröffnet, dürfte sich als gebürtiger Heilbronner sogar ganz wie daheim fühlen – ganz sicher.