Google Plus hätte der Facebook-Killer werden können. Aber schon der Start im Jahr 2011 wurde völlig verpatzt. Nun muss Google auch noch ein bislang verschwiegenes, massives Datenleck eingestehen und kündigt an, das soziale Netzwerk abzuschalten.

Mountain View - Es ist die herbste Demütigung, die der Internet-Gigant Google je erlebt hat: Am Montag, dem 8. Oktober 2018, musste die Firma ankündigen, ihr Angebot Google Plus einzustellen, jenes soziale Netzwerk, das im Jahr 2011 als hoffnungsvolle Konkurrenz zu Facebook gestartet war. Oder, wie manche damals hofften: als Facebook-Killer.

 

Auf den ersten Blick trägt die Entscheidung Züge einer Notschlachtung. Aufgrund eines Datenlecks hatten 438 Apps bei einer halben Million Nutzer seit mindestens 2015 Zugriff auf persönliche Daten wie Email-Adresse, Alter, Geschlecht, Wohnort und Arbeitsplatz. Der Fehler wurde im März 2018 zwar endlich entdeckt, die Nutzer aber wurden nicht informiert.

Lecks und Lücken

Obendrein muss die oft als Datenkrake, Schnüffelmaschine und Allwissenheitsmonstrum kritisierte Muttergesellschaft der wichtigsten Internet-Suchmaschine der Welt nun kleinlaut ihre Wissenlücken zugeben. Ob und in welchem Umfang das Datenleck ausgenutzt worden sei, könne man nicht nachvollziehen, die dazu nötigen Daten seien längst gelöscht. Dass man eine Profivariante von Google Plus für den internen Gebrauch als Firmennetzwerk weiter anbieten will, erscheint da fast schon wie schwarzer Humor.

Die Abschaltung von Google Plus ist keine panische Radikalreaktion auf eine Sicherheitslücke. Schließlich soll Google Plus noch bis August 2019 online bleiben, damit die Nutzer ihre Daten sichern können. Die Abschaltung war sowieso überfällig. Die breite Akzeptanz durch Nutzer und Entwickler sei ausgeblieben, gibt Google nun zu, der aktive Gebrauch dürftig: „90 Prozent der Nutzersitzungen dauern weniger als fünf Sekunden.“

Wechselstimmung weg von Facebook

Zwar spricht Ben Smith, Vice President of Engineering bei Google, von „den Anstrengungen und der Hingabe“, die in Google Plus gesteckt worden seien. Aber Außenstehenden wird eher der unverständliche Dilettantismus in Erinnerung bleiben, mit dem das Projekt gleich beim Start an die Wand gefahren wurde.

Schon 2011 war klar, was das eigentliche Erfolgsgeheimnis von Facebook ist: der Erfolg. Man kam schon damals zu diesem Netzwerk und blieb, weil bereits so viele andere dort waren, weil man nirgends sonst so viele reale und potenzielle Kontakte geboten bekam. Jemand, der Facebook ernstlich gefährlich werden wollte, musste die Infrastruktur und die Reichweite aufbieten, um vom Fleck weg viele Nutzer zu binden und zu vernetzen. Es gab und gibt nur zwei Firmen, denen man das zutrauen darf: Google und Amazon. Darum wurde die erste Ankündigung von Google Plus mit viel Begeisterung aufgenommen: Hier stieg wirklich ein Champion in den Ring. Wechselstimmung fegte durch Facebook, mancher Nutzer postete „Bin dann mal weg“, noch bevor er ein Konto bei Google Plus besaß.

Ein Start als Ruinenfeld

Die Zugänge aber wurden in einer quälend langen Testphase, mit der keiner gerechnet hatte, nach einem völlig undurchsichtigen Verfahren vergeben. Wer hineinkam, fand kaum Bekannte vor und konnte auch niemanden sofort nachholen. Wer Leute kannte, die drin waren, konnte sich nicht anschauen, was die dort trieben. Durfte man endlich nachrücken, fand man haufenweise Konten, die aus Frust bereits wieder verlassen worden waren. Als Google Plus endlich für alle zugänglich war, präsentierte es sich bereits als Ruinenfeld. Und in der fatalen Wartephase zwischen Googles Wecken des Wechselfiebers und Öffnung der Tore hatte Facebook nachgerüstet, was spontan als entscheidender Vorteil von Google Plus erschienen war: die Möglichkeit, komfortabel zu bestimmen, wer aus einem großen Kontaktekreis welche Beiträge zu sehen bekam.

Die Geschichte von Google Plus ist kein Anlass zur Schadenfreude, sondern einer zum Gruseln. Sie zeigt, wie so manches Facebook-Desaster auch, dass in den neuen Internet-Giganten gar nicht so sehr skrupellose Schurkenhirne der Datenvermarktung sitzen, die Bürgerrechte ihren Profiten opfern. Vom Erfolg Getriebene also, die vom Zentrum der digitalen Revolution aus die sozialen und politischen Umfelder und die Folgen ihres Tuns überhaupt nicht einschätzen können, weil sie so sehr mit dem Klein-Klein ihrer Programmierprobleme beschäftigt sind. Das ist beängstigender als jede klare Strategie.