Wer auf Facebook wirbt, kann passgenau an die Nutzerdaten der Plattform andocken. Cambridge Analytica habe dies genutzt, um Wähler in einen Kokon aus manipulierten Informationen einzuspinnen, sagt Ex-Mitarbeiter Chris Wylie.

New York -

 

New York (AP) - Wem nicht gefällt, wenn der Staat sich einmischt, der ist auch gegen Blitzer-Ampeln. Mit diesem Wissen der Datensammler von Cambridge Analytica soll der Republikaner Ted Cruz einst Iowa für sich gewonnen haben. 2016 hatte der erzkonservative texanische Senator in dem US-Staat die Vorwahlen um die Kandidatur zum Präsidentenamt für sich entschieden und Donald Trump auf den zweiten Platz verwiesen. Zuvor sollen potenzielle Wähler, die in der Nähe von Blitzer-Ampeln lebten, die Nachricht erhalten haben, dass Ted Cruz gegen diese Art von Radarfallen sei.

Cambridge Analytica brüstete sich mit dem Erfolg, aus dem unbekannten Ted Cruz einen wählbaren Kandidaten gemacht zu haben. Wie die Firma ihre Analysen angeblich erstellt, ist jedoch alles andere als unüblich.

Windeln und andere Produkte werden so verkauft; Netflix empfiehlt seinen Nutzern Filme, indem es ihre Vorlieben abgleicht. Diese gebräuchlichen Techniken erscheinen allerdings in einem anderen Licht, wenn - wie die „New York Times“ und der „Guardian“ berichten - Cambridge Analytica unerlaubt Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern gesammelt und dazu genutzt hat, Wahlen zu beeinflussen.

Computer analysieren Daten nach versteckten Mustern

Seit den Enthüllungen ist die Facebook-Aktie stetig gefallen. Das EU-Parlament will den Fall untersuchen, in den USA verlangen Kongressabgeordnete und der Generalstaatsanwalt im Staat Connecticut nach Aufklärung. Nach zwei Jahren, in denen Facebook von der unerlaubten Datennutzung wusste, hat das Unternehmen nun angekündigt, eine externe Firma beauftragt zu haben, die Sache zu prüfen. Wie einflussreich die Praktiken von Cambridge Analytica gewesen sind, ist allerdings noch unklar.

Facebook hat bislang lediglich mitgeteilt, dass die Analyse-Firma unberechtigten Zugang zu den Daten von 270 000 Nutzern gehabt habe. Diese hätten eine App heruntergeladen, mit der sie ihre Persönlichkeit testen konnten. Die Nutzer stimmten dabei zu, dass die App ihre Daten zu Forschungszwecken nutzen dürfe, nicht aber für politische Kampagnen. Die Daten beinhalteten auch Facebook-Freunde der Nutzer und deren Vorlieben, obwohl sie die App gar nicht heruntergeladen und nicht ausdrücklich zugestimmt hatten.

Facebook macht es Werbetreibenden leicht, ihre Zielgruppen anhand differenzierter Informationen zu erreichen. 2013 fanden Forscher heraus, dass auf Facebook ein „Gefällt mir“ bei Hobbys, Interessen oder anderen Merkmalen viel über Menschen aussagt, einschließlich der sexuellen Orientierung und der politischen Ausrichtung. Computer können diese Daten nach versteckten Mustern analysieren, etwa ob gekringelte Pommes auf eine höhere Intelligenz hinweisen. Ebenso ist der sogenannte „Social Graph“, also das Netz der Verbindungen zwischen Nutzern im echten Leben, von unschätzbarem Wert für werbende Unternehmen.

Nutzer landen in einem Informationskokon

Nach Aussagen von Chris Wylie, der Cambridge Analytica mitbegründet und 2014 verlassen hat, nutzte die Firma diese Techniken, um etwas über Nutzer zu lernen und sie in einen Informationskokon einzuspinnen. In der NBC-Sendung „Today“ sagte Wylie am Montag: „Die Idee dahinter ist die: Füttert man jeden Informationskanal eines Menschen mit bestimmten Daten, kann man dessen Wahrnehmung der tatsächlichen Ereignisse verändern.“ Cambridge Analytica habe „Fake News“ so auf eine neue Ebene gehoben.

Cambridge-Chef Alexander Nix sagte nach der erfolgreichen Kampagne für Senator Cruz in Iowa, dass die Firma sogar bei Kernthemen wie dem Waffenrecht maßgeschneiderte Botschaften versandt habe: Für den traditionellen Wähler betonte man, wie wichtig es doch sei, dass Großväter ihren Familien das Schießen beibringen könnten. Wer als introvertiert ausgemacht wurde, las darüber, wie er sich mit Waffen gegen Verbrechen schützen könne.

Mitbegründer Wylie spricht davon, die „seelischen Schwachstellen auszukundschaften“: Die Firma „arbeitet daran, online ein Netz aus Desinformation zu knüpfen, in das sich die Menschen immer weiter verstricken, indem sie auf Blogs und andere Webseiten klicken, die sie Dinge glauben lassen, die gar nicht passiert sind“, sagte Wylie in der Sendung „Today“.

Während der Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 arbeitete Cambridge Analytica nicht nur für Senator Cruz, sondern auch für das Wahlkampfteam von Donald Trump. Allein an der Trump-Kampagne verdiente Cambridge Analytica laut der US-Wahlbehörde mehr als sechs Millionen Dollar (knapp fünf Millionen Euro), auch wenn das Trump-Lager diese Dienstleistungen zuletzt heruntergespielt hat.

Trumps Wahlkampfteam streitet Vorwürfe ab

Cambridge Analytica wurde vom konservativen Milliardär Richard Mercer unterstützt, und gab schließlich Stephen Bannon, dem Wahlkampfleiter und späteren Berater Trumps im Weißen Haus, einen Posten im Verwaltungsrat.

Trumps Wahlkampfteam hat bestritten, Daten von Cambridge Analytica genutzt zu haben. Die Firma selbst weist jegliches Fehlverhalten von sich und behauptet, keine der Facebook-Daten gespeichert und sie auch nicht für die Kampagnenarbeit 2016 genutzt zu haben. Im Fall Ted Cruz ist es durchaus möglich, dass Cambridge Analytica nicht nur mit Facebook-Daten gearbeitet hat, sondern auch mit anderen Quellen, einschließlich Informationen aus der App von Cruz’ Wahlkampagne. Facebook wollte sich dazu nicht äußern, Cambridge Analytica antwortete ebenfalls zunächst nicht auf Anfragen per E-Mail.

Nach Angaben des Pew-Forschungszentrums, holen sich zwei Drittel der Amerikaner zumindest einige ihrer Nachrichten aus den Sozialen Netzwerken. Nun existieren die Nutzer nicht nur in ihrer Facebook-Blase, doch ist es durchaus möglich, dass sie dort fingierte Informationen finden und sich mit jedem weiteren Klick ins Internet von deren Kokon einspinnen lassen.