Seit Iris Scholtes aus dem Schwarzwald ins Remstal umgezogen ist, hat sie für ihren Nachwuchs keinen Arzt mehr. Die Suche in Waiblingen war erfolglos. Die Expertin Annette Weimann bestätigt, dass die Kapazitäten rundum erschöpft sind.

Waiblingen - Stell dir vor, du ziehst samt Anhang ins Remstal und dort ist partout kein Kinderarzt verfügbar. Exakt so ergeht es Iris Scholtes, die vor einigen Wochen mit ihren Kindern im Alter von neun, zehn und 13 Jahren von Freudenstadt nach Waiblingen umgezogen ist. Dabei ist eigentlich alles glatt gelaufen in Sachen Wohnung und neuer Arbeitsplatz. Erst als Scholtes’ Tochter an Blasenentzündungen laborierte und eigentlich die kompetente Untersuchung, Behandlung und Betreuung durch einen Kinderarzt gefragt gewesen wäre, begann eine Art Odyssee am Telefon. Eine mit immer wieder demselben Ergebnis: Sämtliche Kinderärzte direkt in Waiblingen teilten Iris Scholtes mit, sie könnten keine neuen Patienten aufnehmen.

 

Die Kapazitätetn sind komplett ausgeschöpft

Beim Versuch in einem etwas entfernteren Waiblinger Stadtteil, so erzählt die dreifache Mutter, sei man verwundert gewesen, dass sie sich als Kernstadtbewohnerin dorthin orientierte. „Die haben gesagt, wir nehmen unsere eigenen Kinder aus dem Stadtteil“, ähnlich solle es doch anderorts auch sein. Dem allerdings, so musste die Neu-Remstälerin bei mehrfachen anderen Versuchen erfahren, ist eben nicht so. Neugeborene werden angenommen, da werden die letzten kinderärztlichen Kapazitäten mobilisiert. Doch darüber hinaus sind bei den Waiblinger Kinderärzten die Kapazitäten komplett ausgeschöpft oder längst massiv überlastet.

„Das ist ein Riesenproblem“, sagt die Waiblinger Kinderärztin Annette Weimann, für die die Situation der Familie absolut nichts Neues ist. Die Lage versetze die Kinderärzte genauso in Sorge wie die Oberbürgermeister der Städte und natürlich die betroffenen Patienten.

Der Hintergrund der Malaise bei den Kinderarztkapazitäten ist laut Weimann eine grundlegend falsche Bedarfsplanung, die Anfang der 1990er-Jahre unter dem Gesundheitsminister Horst Seehofer festgezurrt und mit verbindlichen Obergrenzen für die Facharztzahlen versehen wurde. Die Mangelsituation sei politisch so gewollt, nicht zuletzt um Kosten zu vermeiden. Und rein rechnerisch liege der Rems-Murr-Kreis sogar noch deutlich über der dabei vorgeschriebenen Versorgungsobergrenze von gut 3500 Kindern je Kinderarzt. Die Tatsachen sehen anders aus. „Wir verwalten einen Mangel“, sagt die Kinderärztin, „wir haben schlichtweg keine Termine mehr.“ Eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 50 Stunden sei für einen Kinderarzt längst normal. „Wenn ich um 22 Uhr nach Hause komme, dann sagt mein Mann ,du kommst ganz schön spät’.“ Und wenn ein Feierabend um 23 Uhr fast zur Normalität werde, leide eben auch das ärztliche Familienleben.

„Wir können keine Termine mehr vergeben.“

Klar sei andererseits, dass für jedes Kind, das als Patient angenommen wird, eine ordentliche Betreuung garantiert sein müsse – samt Impfungen und so weiter. Selbst bei den Neugeborenen stoße man da an Grenzen. Diese würden natürlich angenommen, jeder Kinderarzt übernehme da Kontingente im Rahmen seiner Möglichkeiten. Aber letztlich sei das wie in einem Hotel, vergleicht die Waiblinger Kinderärztin. Wenn die 20 Betten belegt sind, stelle man im Zweifelsfall noch fünf Notbetten auf, aber dann sei eben irgendwann Schluss. „Wir haben absolut keine Kapazitäten mehr, wir können keine Termine mehr vergeben“, stellt die Kinderärztin Weimann fest. „Und das Schlimme ist, wir haben keine Lösungen.“

Genauso wenig übrigens wie die Kassenärztliche Vereinigung. Bei dieser will auch Iris Scholtes noch ihr Glück versuchen. Auch dort wird sie voraussichtlich nicht den erhofften Erfolg haben. Denn auch dort heißt es in solchen Fällen in der Regel, man könne angesichts der gesundheitspolitischen Vorgaben leider wenig tun. Die vor allem für Eltern ohne Auto recht unbefriedigende Empfehlung: größere Kreise ziehen bei der Suche nach einem Kinderarzt für die Sprösslinge und in Nachbarorten das Glück bei Kinderärzten versuchen, die vielleicht weniger ausgelastet sind als die Kollegen in den Städten. Oder, so wird teils auch empfohlen, mit älteren Kindern im Zweifelsfall beim Allgemeinmediziner vorstellig werden.