Fachkräfte aus dem Ausland Warum Deutschland nicht nur fleißiger, sondern offener werden muss

Laut den Studienautoren braucht Deutschland rund 288.000 Fachkräfte aus dem Ausland – jährlich. Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus. Damit künftig Menschen aus dem Ausland herziehen, muss sich auch die deutsche Gesellschaft verändern, findet Hauptstadtkorrespondentin Rebekka Wiese.

Berliner Büro: Rebekka Wiese (rew)

Deutsche Tugenden? Wer danach fragt, hört vermutlich oft von Fleiß, Disziplin und Ordnung. Es sind die Eigenschaften, die viele Deutsche bis heute für sich beanspruchen und mit denen oft erklärt wird, wie Deutschland zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt wurde. Und ja, Fleiß, Disziplin und Ordnung mögen eine gute Grundlage dafür sein. Doch zur Wahrheit gehört auch: Um den Wohlstand in diesem Land zu erhalten, reichen sie nicht aus.

 

Wie gefährdet die deutsche Wirtschaft nicht nur aktuell, sondern auch langfristig ist, zeigt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. Laut den Autoren braucht Deutschland bis 2040 rund 288 000 Arbeitskräfte aus dem Ausland – und zwar jedes Jahr. Nur so lässt sich an Arbeitskraft ausgleichen, was sonst durch demografischen Wandel verloren geht. Ähnliche Prognosen gab es häufiger. Im vergangenen Jahr gab es deshalb eine große Gesetzreform, mit der es Fachkräften erleichtert werden soll, nach Deutschland zu kommen. Doch damit mehr Menschen aus dem Ausland hier arbeiten wollen, muss sich auch gesellschaftlich etwas ändern. Deutschland muss neue Tugenden für sich entdecken: Es braucht mehr Offenheit, Toleranz und den Mut zu neuen Wegen.

Misstrauische Blicke, überlastete Behörden

Faktisch ist Deutschland seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Auch der Wirtschaftsboom in den Fünfziger- und Sechzigerjahren wäre ohne Zuwanderung nicht möglich gewesen. Doch das wurde lange kaum gesehen – und hat Folgen bis heute. Man hört davon, wenn man mit Menschen spricht, die in Deutschland arbeiten, ohne hier geboren zu sein. Sie erzählen von misstrauischen Blicken auf der Straße, von genervten Beamten bei der Ausländerbehörde und dem Gefühl, nicht willkommen zu sein. Die Blicke mögen nicht böse gemeint sein, die Behörden überlastet, die Wahrnehmung subjektiv. Doch all das deutet darauf hin, dass sich etwas ändern muss. Offenheit kann man nicht verordnen. Aber wenn man will, kann man sie lernen.

Das gilt auch für die Toleranz, die unter dem Rechtsruck der vergangenen Jahre gelitten hat. Die Studie zeigt, in welchen Bundesländern bis 2040 besonders viele Arbeitskräfte fehlen werden, wenn keine aus dem Ausland hinzukommen. Ganz oben: Thüringen und Sachsen-Anhalt – und das, obwohl die Autoren einbeziehen, dass dort auch besonders viele Arbeitsplätze weggefallen sein werden. Beides sind Länder, in denen die in Teilen rechtsextremistische AfD besonders hohe Zustimmung bekommt. Besonders für ausländische Arbeitskräfte macht das die Idee wohl nicht attraktiver, gerade dorthin zu gehen.

Migration als Problem

Wenn in den vergangenen Jahren über Zuwanderung gesprochen wurde, dann stets als Problem. Meistens ging es dann um Fluchtmigration. Dass im vergangenen Jahr so viele Asylbewerber nach Deutschland kamen wie seit Jahren nicht mehr, hat der Akzeptanz von Zuwanderung kaum geholfen. Es ändert aber nichts daran, dass Deutschland auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist. Und deshalb über neue Wege nachdenken muss, Migration zu ordnen.

Es gibt ein Instrument, das dabei helfen könnte: Migrationsabkommen, die darauf abzielen, in solchen Fragen besser mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten. Oft geht es darum, dass andere Länder besser bei Rückführungen kooperieren. Im Gegenzug öffnet Deutschland ihnen mehr legale Wege zum deutschen Arbeitsmarkt.

Die Ampelregierung hatte erste Abkommen dieser Art geschlossen. Die künftige Bundesregierung sollte das gezielter verfolgen. Denn sie wird sich fragen müssen, wie man mehr ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland holen kann. Sie sollte dabei auf deutsche Tugenden setzen – alte und neue.

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