Not macht auch Arbeitgeberverbände erfinderisch. Die Not, das ist der Mangel an guten Nachwuchskräften. Deshalb gehen die Metallarbeitgeber mit einem runderneuerten Modell zur nachträglichen Qualifizierung ihrer Beschäftigten in die Offensive.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Not macht auch Arbeitgeberverbände erfinderisch. Die Not, das ist der Mangel an guten Nachwuchskräften: Bis jetzt ist er nur punktuell spürbar, doch in wenigen Jahren könnte er über die Industrie hinwegrollen. Nach einer Verbandsstudie „Arbeitslandschaft 2035“ werden bis 2020 in Deutschland 1,7 Millionen Fachkräfte fehlen. Parallel dazu verlangen immer innovativere betriebliche Abläufe und komplexere Montagesysteme ein besser ausgebildetes Personal, denn einfache Tätigkeiten fallen weg. Damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht zu sehr unter Kompetenzschwund in den alternden Belegschaften leidet, gehen die Metallarbeitgeber mit einem runderneuerten Modell zur nachträglichen Qualifizierung ihrer Beschäftigten in die Offensive.

 

Eine bedeutende Reserve sehen die Verbände bei den Geringqualifizierten. Dazu gehören auch die 15 Prozent der 25- bis 35-Jährigen in Baden-Württemberg, die über keinen Berufsabschluss verfügen. Fast jeder Zweite von ihnen ist arbeitslos. Dieses Potenzial der Kräfte über 25 Jahre soll stärker genutzt werden. Wenn es gelinge, den Anteil der Geringqualifizierten bundesweit um zehn bis 20 Prozent zu senken, könnten 0,4 bis 0,7 Millionen Fachkräfte gewonnen werden, lautet eine Rechnung bei Südwestmetall. Dies soll mit der betrieblichen Teilqualifizierung erreicht werden – einer Ausbildung unterhalb der Facharbeiterebene, die eine gute Basis für den Aufstieg zum Facharbeiter und den Erwerb eines IHK-geprüften Berufsabschlusses bietet.

Bayern ist vorne dran

Die bayerische Wirtschaft ist auf diesem Feld vorne dran, während in Baden-Württemberg in einer Art Pilotphase etwa 100 Teilqualifikationen abgeschlossen wurden und dies auch nur in wenigen Unternehmen. Mit der Kleinstaaterei soll es nun vorbei sein – bundesweit soll das Modell als Dachmarke etabliert werden. „Die Südachse mit Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen treibt das Thema voran“, sagt Stefan Küpper, Geschäftsführer des Bildungswerks der Baden-Württembergischen Wirtschaft. Künftig gestalten die beteiligten Bildungswerke die Teilqualifizierung nach einheitlichen Standards. Das gemeinsame Motto soll lauten: „Eine TQ besser“. Damit will man sogar andere Branchen einbinden, die laut Küpper einen eher noch größeren Bedarf erkennen lassen – etwa das Hotel- und Gaststättengewerbe.

Angetrieben werden damit gerade kleinere und mittlere Betriebe, die das Potenzial noch nicht erkannt haben. Ein zentraler Vorteil sei, dass der Chef die infrage kommenden Mitarbeiter schon gut kennt und sie gezielt für vakante Stellen weiterbilden kann, wirbt der Referatsleiter beim Arbeitgeberverband, Thorsten Würth. Zudem ist es günstig für den Betrieb, wenn er den Kollegen nicht zwei Jahre oder länger von der Arbeit freistellen und ersetzen muss. Bei der Teilqualifizierung werden anerkannte Facharbeiterberufe in fünf bis sechs Module untergliedert. Für jedes Modul gibt es ein eigenes Zertifikat des jeweiligen Branchenverbandes oder Bildungswerks. Die Lernziele werden dokumentiert, so dass sich der Absolvent für die Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer anmelden kann.

Weiterbildung wird oft eher als Bedrohung gesehen

Positive Erfahrungen mit dem neuen Modell hat man im Südwesten bisher allenfalls bei Thyssen-Krupp System Engineering in Heilbronn gesammelt. Dort ergibt sich ein fester Rhythmus, wonach von Montag bis Mittwoch Praxis im Betrieb vermittelt wird und an den übrigen Tagen die Theorie beim Bildungswerk.

„Wir brauchen eine Welt der Teilqualifizierung, die an die Ausbildungsberufe anknüpft“, sagt Küpper, der sich für mehr Vielfalt der Angebote einsetzt. Es sei nicht möglich, jedem Mitarbeiter eine dreieinhalbjährige Schulung zu verschaffen. Ein zweijähriger Facharbeiterabschluss sei auch etwas wert und besser, „als an den Alternativen ,alles oder nichts‘ zu scheitern“. Da sei man anderer Ansicht als die IG Metall, die eher dafür sorge, dass man später nachqualifizieren müsse. Bei dem aktuellen Vorstoß ist sie formal nicht im Boot.

An- und Ungelernte machen über alle Branchen hinweg etwa sieben Prozent der Beschäftigten aus – in der Industrie liegt der Anteil noch höher. Ihnen könnte die Teilqualifizierung erstmals im Leben eine positive Lernerfahrung bringen: das Erfolgserlebnis eines (Teil-)Abschlusses. Bisher sei die Motivation oft nicht sehr ausgeprägt, sagt Würth. Weiterbildung werde eher als Bedrohung gesehen, mit der man fit gemacht werden solle für den Arbeitsmarkt. Die Bereitschaft dazu sei laut Statistik bei den Ungelernten geringer als bei Mitarbeitern mit Berufsabschluss. „Es reicht nicht mehr, mit Appellen zu kommen“, betont Küpper. „Wir müssen die betriebswirtschaftliche Rationalität für die Betriebe und den individuellen Nutzen für die Teilnehmer deutlich machen.“ Das Risiko, arbeitslos zu werden, werde dadurch deutlich verringert.

Gerade Baden-Württemberg war vor 13 Jahren Vorreiter mit einem Tarifvertrag zur Qualifizierung, der Mitte 2012 reformiert wurde. Auch er enthält Regelungen, die eine nachträgliche Weiterbildung ermöglichen. Entstanden ist daraus die von Südwestmetall und IG Metall getragene Agentur Q. Der neue IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger kündigte dennoch an, dass der Tarifvertrag auf den Prüfstand gestellt werde. Küpper reagiert darauf eher kühl: „Wir warten nicht, bis uns der Sozialpartner dies auf den Tisch legt.“ Gehandelt werden soll, bevor das Desaster um sich greift.