Sie sind hochmotiviert, gut ausgebildet, aber haben ein kleines Sprachproblem mit dem Schwäbischen – die Pflegekräfte aus dem Ausland. Die Stuttgarter Sozialunternehmen brauchen sie händeringend.

Stuttgart - In ihrer Not versucht sie es mit Lächeln. Zsuzsanna Ombovarine versteht kein Wort, als sie an ihrem ersten Tag im Seniorenzentrum am Birkenwald die Bewohner duscht, sie anzieht, die Bettwäsche wechselt. Die Ungarin dachte sich nichts dabei, als sie vergangenen August in Stuttgart eine neue Stelle antrat. Pflegearbeit sei schließlich überall Pflegearbeit, glaubte die Krankenschwester und irrte gehörig. „Das Schwäbische war für mich eine Katastrophe, ich war froh über die kroatischen Bewohner, die Hochdeutsch mit mir sprachen.“ Im Sprachkurs, vor allem aber „in der Spätschicht mit Ingo“ hat sie nach und nach Schwäbeln gelernt. Inzwischen hat die 44-Jährige die erforderliche Deutschprüfung abgelegt und ist als examinierte Krankenpflegerin anerkannt.

 

Ihr Sohn brachte sie auf die Idee, sich in Deutschland zu bewerben, er heuerte bei einem Pflegeheim des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Stuttgart an. Zsuzsanna Ombovarine schloss sich ihm an, sie wollte eine bessere Zukunft. 17 Jahre lang hatte sie für 300 Euro im Monat in einem Krankenhaus gearbeitet, 400 Euro verdiente sie sich mit Notdiensten an Wochenenden dazu. „Damit wir mit vier Kindern über die Runden kamen.“

Die Not der Heimträger ist groß, das Personal knapp

60 Ungarn hat der Arbeiter-Samariter-Bund Baden-Württemberg angeworben, weitere zehn Spanier werden noch im Juni in Stuttgart erwartet. Im Herbst kommen die ersten polnischen Praktikanten. Die Branche boomt, aber es fehlt an Pflegefachkräften. Die Not der Sozialunternehmen ist groß: „Wenn wir in Deutschland eine Stellenanzeige schalten, meldet sich niemand“, sagt Bernard Schneider, der Hauptgeschäftsführer der evangelischen Heimstiftung, einem der größten Altenhilfeträger im Südwesten. Olaf Bentlage von der Regionaldirektion Stuttgart der Agentur für Arbeit bestätigt: auf 1850 offene Stellen in der Pflege kommen nur 600 ausgebildete Altenpfleger. Im Dezember hat die Arbeitsagentur spanische Ingenieure zu Bewerbungsgesprächen nach Stuttgart gebracht, „vielleicht machen wir das im nächsten Jahr mit Pflegekräften“, so der Sprecher.

In den EU-Krisenländern aber konkurrieren die Heimträger schon jetzt mit Kliniken um die Bachelorabsolventen. In der Region Stuttgart beispielsweise hat der Klinikverbund Südwest im Frühjahr die ersten Portugiesen und Italiener angeworben.

Bewerbungsgespräche im Hotel in Budapest

Auf eine Initiative der Arbeitsagentur wollte beim ASB niemand warten. „Wir haben vor allem im ländlichen Raum Einrichtungen, die wir nicht voll belegen können, weil wir keine Pflegefachkräfte finden. Das ist für uns eine wirtschaftliche Katastrophe“, sagt Marcus Mehlhose, der Personalleiter des ASB-Landesverbandes. Der Träger suchte sich deshalb im vergangenen Jahr einen ungarischen Personalvermittler, mietete Konferenzräume in einem Hotel in Budapest und lud zu Bewerbungsgesprächen. Allerdings kehrte schon in Budapest Ernüchterung ein: „Wir wollten die Gespräche auf Deutsch führen, haben aber schnell einen Dolmetscher eingeschaltet“, erzählt der stellvertretende Landesgeschäftsführer Daniel Groß.

Die ASB-Verantwortlichen hatten mit guten Deutschkenntnissen gerechnet, weil in Ungarn Deutsch als Pflichtfach unterrichtet wird. Trotzdem wurden die Angeworbenen bereits nach einem dreiwöchigen Deutschkurs in den Heimen eingesetzt, der Sprachunterricht wurde auf den Feierabend gelegt. Christine Kellner, die Leiterin des Seniorenzentrums am Birkenwald, in dem vier Ungarn arbeiten, räumt ein, dass es anfangs viele Beschwerden von Angehörigen und Bewohnern gegeben habe. „Inzwischen haben fast alle die nötige Sprachprüfung abgelegt“, versichert Kellner.

Alles ist besser als in der Psychiatrie in Ungarn

Es ist Kaffeezeit im Seniorenheim. Die Pflegekräfte haben die Bewohner aus ihren Betten geholt und an die Tische gebracht. Jeder ein Stück Apfelkuchen und eine Tasse Kaffee. Die Gespräche kommen nur schleppend in Gang. Zsuzsanna Ombovarine hat sich hinter die Theke zurückgezogen und den Medikamentenschrank aufgeschlossen. Die ungarische Pflegekraft füllt Tabletten und Säfte in Plastikbecher. Beruhigungstabletten für die Schlechtschläfer, Betablocker für die Herzkranken, Stimmungsaufheller für die Depressiven, Neuroleptika für die Dementen. „Ich bin zufrieden mit meinem Job“, sagt die Ungarin. Klagen über die harte körperliche Arbeit in einem Pflegeheim wird man von ihr nie hören. Ihr Vergleich sind die Arbeitsbedingungen in der Psychiatrie von Szombathely, einer Stadt nahe der Grenze zu Österreich. „Dort hat es an allem gefehlt, keine Pfleger, keine Handtücher, keine Seife, kein Lohn. Und auch in Ungarn wollen Patienten und Angehörige immer das Beste.“ Das Sprachproblem, das der Ungarin den Einstieg schwer gemacht hat, lässt sich lösen. Der ASB hat dazugelernt: Die neu angeworbenen Spanier absolvieren bereits in ihrer Heimat einen Deutschkurs.

„Was kann man auf dem Wochenmarkt kaufen?“ Die Deutschlehrerin Helga Benthien muss nicht lange auf eine Antwort warten. Die acht portugiesischen Pflegefachkräfte, die seit Anfang Mai beim Internationalen Bund in Stuttgart Deutsch lernen, zählen eifrig auf: Karotten, Salat, Äpfel. Und immer findet sich einer, der nebenbei für die anderen übersetzt. Vom Markt geht es weiter in die Metzgerei. Die Bockwurst malt Benthien an die Tafel und beim Hühnerfleisch, als sie nicht sicher ist, ob alle verstanden haben, fängt sie kurz an zu gackern. Die Atmosphäre in dem Klassenzimmer an der Hauptstätter Straße in Stuttgarts Mitte ist konzentriert und vergnügt zugleich.

Nach der Unterrichtsstunde erzählt die 24 Jahre alte Ana Diaz auf Englisch, dass von den 50 Studenten, die vor zwei Jahren mit ihr den Bachelor in Gesundheits- und Krankenpflege gemacht haben, gerade noch zehn in Portugal leben. „Und die, die geblieben sind, räumen zum Teil Regale in Supermärkten ein.“ Ana Diaz hat im März den Vertrag mit der evangelischen Heimstiftung geschlossen, die erstmals Arbeitskräfte in einem EU-Krisenland angeworben hat. Vier bis fünf Monate wird die junge Portugiesin in Stuttgart Deutsch lernen, zwei Monate Praktikum in einem Heim machen, zwei Deutschprüfungen ablegen und dann vermutlich Ende des Jahres ihren unbefristeten Arbeitsvertrag mit einem Bruttomonatsgehalt von rund 2500 Euro unterschreiben.

Neben Ana sitzt Alexandre Gomes, der sich ein weißes Hemd angezogen hat, um einen guten Eindruck zu machen. Der 22-Jährige wirkt nachdenklich, wenn er von seiner Heimat spricht. Im April ist in Portugal die Jugendarbeitslosigkeit auf über 35 Prozent geklettert, wer kann, sucht das Weite. Gomes erzählt von Freunden, die sich auf Agenturen einlassen, die ihnen irgendwo in England einen Job in irgendeiner Einrichtung versprechen. Andere zahlen vorab Gebühren für Sprachkurse, um dann festzustellen, dass es die Agentur nur als Briefkastenfirma gibt. Für Gomes ist die Heimstiftung ein Glückstreffer: „Ich weiß, in welcher Region und welchem Bereich ich arbeiten werde.“ Der 22-Jährige fühlt sich gut betreut, trotzdem plagen ihn in den stillen Stunden viele Ängste. „Meine größte Furcht ist, immer der Ausländer zu bleiben, der den Deutschen die Jobs wegnimmt.“ Eine Sorge aber hat er nicht: mit dem deutschen Pflegealltag überfordert zu sein. „Wir haben ein vierjähriges Studium, das ist mehr als die Fachkräfte hier.“

Die nächste Anwerbeaktion in Spanien

Bernhard Schneider von der Heimstiftung plant schon die nächste Anwerbeaktion. „Die spanische Botschaft hat angerufen und uns eine Kooperation angeboten.“ Die Heimstiftung brauche künftig jedes Jahr 60 zusätzliche Pflegefachkräfte, die Zuwanderer seien ein Baustein, um den Bedarf zu decken. Aber nur einer: „Wir bilden verstärkt aus und werben für den Wiedereinstieg von Frauen.“ Andere Träger wie die Caritas in Stuttgart dringen darauf, den Zugang auch für Pflegefachkräfte aus Nicht-EU-Ländern zu erleichtern.

Zsuzsanna Ombovarine kann über das Zuwanderungsrecht nicht klagen, sie hat inzwischen ihre Familie nach Detuschland nachgeholt. Die jüngste Tochter hat den Sprung in die reguläre Klasse der Schwabschule geschafft, der Älteste hat eine deutsche Freundin, nur den Zweitjüngsten plagt das Heimweh. Er hat seinen Frust in Kilogramm umgesetzt und ist jetzt in einer Jumbo-Gruppe mit anderen Kindern. „In Ungarn würde sich niemand um die Befindlichkeit eines dicken Kindes kümmern, in Deutschland schon.“